„Fasziniert von Bewegung“: Bekenntnisse einer Reisenden

Ruth Beckermann
Ruth Beckermann(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ruth Beckermann bereist gern die Welt. Dabei entstehen beiläufig Dokumentarfilme, die in kein bekanntes Genre und keine Schublade passen.

Das Politische, das sich im Persönlichen widerspiegelt, die Suche nach vergessenen Traditionen, Rekonstruktion von Vergangenheit, jüdische Identität – das sind die zentralen Themen in den Werken von Ruth Beckermann. So machte sich die Filmemacherin im Jahr 1999 für ihre Dokumentation „Ein flüchtiger Zug nach dem Orient“ ausgerechnet in Ägypten auf die Suche nach Kaiserin Elisabeth. Die Bilder dieser Reise und die Interpretation der Aufzeichnungen Elisabeths wurden Bestandteile einer Reflexion über die Fremde, aber auch über Mythos und Wirklichkeit.

Auch in ihrem neuen Film „Those who go. Those who stay“, der am Samstag beim Filmfestival Diagonale in Graz als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, begibt sich die Regisseurin, die 1952 als Kind jüdischer Überlebender des Holocaust in Wien geboren wurde, auf eine verschlungene Assoziationsreise. Nicht nur während des Drehs, sondern auch am Schneidetisch folgt sie darin dem Zufallsprinzip. Letztlich ist der Streifen über Migration und Flucht ein Sammelsurium aus neu gedrehtem Material und Szenen aus Beckermanns Archiv, in dem bewusst nichts chronologisch, nichts linear ist. In einer Szene spricht sie mit dem Regisseur Georg Stefan Troller über die Idee, Dokus über willkürlich ausgewählte Personen zu machen, in einer anderen mit ihrem Kameramann Peter Roehsler über ihre Vorstellung von Satan. Dazwischen trifft sie fußballbegeisterte Nigerianer in Italien.

Zusammenhänge selbst herstellen

Einen roten Faden verweigert der Film. Allenfalls das Reisen oder das Irgendwo-Ankommen stellen ein gewisses Kontinuum dar. „Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, fertige Gedanken vorzugeben. Vielmehr mache ich Filme in der Hoffnung, dass die Zuschauer Zusammenhänge selbst herstellen“, sagt Beckermann. „Bewegung hat vielfältige Facetten: die Bewegung der Kamera, Reisebewegungen, Fluchtbewegungen. Gerade über Flucht wird oft sehr eng gesprochen – als sollte keine Beziehung zwischen Flucht aus Europa und Flucht nach Europa hergestellt werden.“

Dokumentarfilme dreht Beckermann bereits seit 1977. Seit sie nach dem Studium der Publizistik und Kunstgeschichte und Studienaufenthalten in Tel Aviv und New York an der Universität Wien zum Dr. phil. promovierte. Ein Jahr später gründete sie mit Josef Aichholzer und Franz Grafl den Verleih Filmladen, wo sie sieben Jahre tätig war. Seit 1985 arbeitet Beckermann als freie Autorin und Filmemacherin. Sie unterrichtete an der UIC Chicago, der Universität Salzburg und der Hochschule für Angewandte Kunst Wien. In den vergangenen 15 Jahren widmete sie sich verstärkt auch Installationen, verwirklichte unter anderem „europamemoria“ (Graz 2003, Wien 2005 und Paris 2006), sowie „Leben!“ (Jüdisches Museum Wien 2008).

Hymnische Kritiken erntete Beckermann 2011 für ihre Dokumentation „American Passages“. Ausgehend von der Wahlnacht 2008, als Barack Obama die Präsidentschaft errang, was sich in den ungläubig-freudigen Augen zahlreicher Afroamerikaner widerspiegelt, gelang es ihr, ein beeindruckendes essayistisches Panoptikum der USA von heute zu erstellen.

Die Reise durch Amerika sei gleichzeitig auch ihr bisher exotischstes und stärkstes Erlebnis gewesen. „Weil ich ursprünglich gedacht habe, dass Europäer und Amerikaner einander sehr ähnlich sind“, sagt Beckermann. „Dann bin ich aber draufgekommen, dass unsere Denkweise, wie wir mit Problemen und dem Leben umgehen, sehr unterschiedlich ist. Wir glauben, wir kennen Amerika, vergessen aber, dass es sich dabei um einen ganzen Kontinent mit verschiedenen Menschen handelt, die miteinander und auch nebeneinander leben.“

Besonders fasziniert habe sie, zu sehen, dass es die USA geschafft hätten, ihre Konflikte zivilisiert zu lösen. „Im nationalistisch geprägten Europa“, so Beckermann, „sind wir noch nicht so weit. Das Gründungsprinzip der USA ist ein inklusives, während das von Europa ein exklusives ist, wie man an Konflikten wie den Balkankriegen, die noch nicht so lange her sind, sehen kann.“

ZUR PERSON

Kosmopolitin. Ruth Beckermann wurde 1952 als Kind jüdischer Überlebender des Holocaust in Wien geboren. Seit 1977 dreht sie Dokumentarfilme – seit sie nach dem Studium der Publizistik und Kunstgeschichte und Studienaufenthalten in Tel Aviv und New York an der Universität Wien promovierte.

Seit 1985 arbeitet Beckermann als Autorin und Filmemacherin. Ihr neuer Film „Those who go. Those who stay“ läuft seit Freitag im Kino und ist am Wochenende auf der Diagonale als bester Dokumentarfilm prämiert worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2014)

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