Debüt: Das Wunder Miranda

(c) AP (Reed Saxon)
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Sie filmt, sie singt, sie spielt Theater und jetzt schreibt sie auch noch. Miranda July ein Multitalent zu nennen, wäre trotzdem eine Untertreibung.

Wissen Sie, wie es unter ihrem Bett aussieht? Nein? Nun, wenn es nach Miranda July geht, sollten sie das schleunigst nachholen. Sie scheint sich für die Dinge, die sich so unter einem Bett finden lassen (Staub, alte Zeitschriften oder einfach Nichts), sehr zu interessieren.

Auf ihrer Internet-Kunst-Plattform (learningtoloveyoumore.com) verteilt die 34-Jährige seit einigen Jahren (und schon lange vor Myspace, Facebook und Co) skurrile Aufgaben an ihr anonymes Online-Publikum – ohne in direkten Kontakt mit den Menschen zu treten. So lautet Anweisung 50: „Machen sie ein Foto mit Blitz unter ihrem Bett.“ Die eingesandten Fotos sammeln sie und ihr Kollege Harrell Fletcher. Wer weiß, was die beiden damit machen.

Einen Blick unter ihr Bett macht auch eine ihrer Protagonistinnen in ihrem Erzählband „Zehn Wahrheiten“, der soeben bei Diogenes erschienen ist.

Die 34-jährige Multimediakünstlerin, die 1974 im kleinen Örtchen Bare im US-Bundesstaat Vermont als Miranda Jennifer Grossinger und Tochter zweier poetisch veranlagter Lehrer geboren wurde, ist so etwas wie ein künstlerisches Naturtalent. Sie ist Performance-Künstlerin, Regisseurin, Schauspielerin, Musikerin und Autorin.

Und sie ist in allem, was sie macht, ziemlich gut. Ihre Kunstvideos wurden im New Yorker MoMA und im Guggenheim Museum gezeigt, ihr Spielfilm-Debüt „Ich und Du und alle, die wir kennen“, in dem sie auch die Hauptrolle der Christine verkörpert, wurde 2005 am Sundance Filmfestival und in Cannes mehrfach ausgezeichnet.

Wenig verwunderlich also, dass sie auch diesmal – mit ihrem literarischen Erstling – erfolgreich ist. Allerdings nicht im herkömmlichen Sinn. Denn sie enttäuscht. Und das ist gut so, alles andere wäre langweilig gewesen. Denn hätte sie nun auch noch einen Erzählband mit 18 einzigartigen Geschichten abgeliefert, hätte man ihr endgültig den Stempel „übernatürlich Genial“ aufgedrückt.


Stattdessen hat sie 18 Erzählungen aus der Ich-Perspektive geschrieben, von denen einige sehr kurz und belanglos, mit einem Wort ziemlich durchschnittlich sind – und nur einige wenige, außergewöhnlich gute (in gewohnter Miranda July-Qualität) darunter sind. So wie die Geschichte „Mon Plaisir“, in der die Beziehung zwischen einem Paar, das nur mehr die Liebe zu Tai-Chi teilt, zu Bruch geht, nachdem die beiden eine Statistenrolle in einem Liebesfilm übernehmen – und ihr wahres Ich erkennen.

Auch wenn die Kurzgeschichten, die sie in ihrer Heimat Amerika zunächst in diversen Zeitschriften und Magazinen veröffentlicht hat, nicht das Beste sind, was July bis jetzt produziert hat, das Lob der Kritiker ist ihr dennoch sicher. Das Buch „Zehn Wahrheiten“, das in den USA im vergangenen Herbst (unter dem Titel „No One Belongs Here More Than You“) erschienen ist, wurde in Deutschland bereits sehnsüchtig erwartet – und bis jetzt hymnisch gelobt. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass die dunkelhaarige July mit den strahlend blauen Augen bei Journalisten (vor allem bei männlichen) stets besonders positive Assoziationen auslöst. Der Autor der „Welt“ nennt sie etwa ein „ätherisches Geschöpf“, die „Süddeutsche“ lobt sie als „versponnene, hellsichtige, sensationelle Frau“.


Ihre ersten beruflichen Schritte macht July mit 16. Damals spielt sie die Hauptrolle in einem von ihr geschriebenen Theaterstück über einen zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder (den sie sich im echten Leben als Brieffreund ausgesucht hat) – und führt es mit einer Gruppe von Punks in Berkeley, wo sie aufgewachsen ist, auf. Danach beschließt sie Künstlerin zu werden. Dass sie nie an einer Kunsthochschule studiert hat, war kein Hindernis. „Ich wusste nicht, dass es Schulen dafür gibt“, sagt sie später einmal. Mit der Band „The Need“ veröffentlicht sie 1996 ihr erstes Album. Ihren Künstlernamen „July“ verpasst sie sich sehr früh und führt ihn darauf zurück, dass sie in diesem Sommermonat besonders kreativ sei.

Man könnte Miranda July in gewisser Weise als Charlotte Roche Amerikas bezeichnen, denn ihre Kurzgeschichten drehen sich ebenso unverkrampft um Sex, Sperma und ihren Körper, wie in Roches Debütroman „Feuchtgebiete“, der ebenfalls soeben erschienen ist. July lebt heute in Los Angeles und sagt, dass es bei ihrer Kunst letztendlich immer „um mich selbst geht“. Somit steht also fest: Unter Betten sieht July mit Sicherheit auch gerne.

DAS BUCH

Miranda July wurde 1974 als Miranda Grossinger im US-Bundesstaat Vermont geboren. Ihr literarisches Debüt „Zehn Wahrheiten“ (Diogenes, 18, 40 €) ist soeben erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2008)

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