Reales, virtuelles Leben: „Für Junge kein Unterschied“

INTERVIEW.Medienanthropologe Wolfgang Zeglovits sieht YouTube & Co. als weltweiten Vertriebskanal für private Medienmacher.

Die Presse: YouTube, Facebook und StudiVZ konnten binnen kürzester Zeit Millionen User an sich binden. Was fasziniert die Menschen daran?
Wolfgang Zeglovits: Jedes dieser Services bietet einen speziellen Mehrwert. Außerdem sind alle einfach zu bedienen. So schaffen es auch Laien Videos und Fotos hochzuladen oder ein Weblog einzurichten.

Warum veröffentlichen User selbst erstellte Inhalte im Netz?
Zeglovits:
Das Bedürfnis nach Öffentlichkeit gab es schon immer. Nur fehlten der Masse die technischen Möglichkeiten. Heute ist der PC ein Universalgerät zur Medienerstellung. Jedermann kann Videos auf einem Niveau schneiden, von dem früher Profis träumten. Das Internet ist nur ein Hilfsmittel zur Distribution. Die finanziellen Hürden und das notwendige Know-how sind deutlich geringer als vor wenigen Jahren.

Das Internet ist nur Mittel zum Zweck, nicht aber der Grund für den neuen Exhibitionismus?
Zeglovits: Der Wille zur Selbstdarstellung ist Teil des menschlichen Naturells. Schon in den 1980er Jahren haben Zuseher Videokassetten mit ihren schrägsten Aufnahmen an die „Hoppala“-Redaktion des ORF geschickt. Allerdings mit der Einschränkung, dass sie von der Redaktion bewertet und nur die besten ausgestrahlt wurden. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Bei YouTube hat man eine Garantie, auf Sendung zu gehen. Ganz ähnlich ist es mit Leserbriefen einer Zeitung, bei denen anders als bei einem Weblog eine Vorauswahl getroffen wird.

YouTube oder Flickr arbeiten ausschließlich mit Bildern und Videos. Verliert das Wort an Wert?
Zeglovits: Es ist ein altes, aufklärerisches Problem, dass man dem Wort mehr Rationalität zutraut, als dem Bild. Andererseits war es in Massenmedien immer so, dass sich die Nutzer durch Bilder stets stärker angesprochen fühlten, als durch lange Texte. Ein Medium wie das Web verstärkt diese Tendenz nur, weil niemand lange Artikel auf einem Bildschirm lesen will.

You Tube verzichtet auf eine redaktionelle Vorauswahl. Ist das gut oder schlecht?
Zeglovits: Weder noch. Es verschiebt sich lediglich die Autorität der Auswählenden, nämlich weg von der Redaktion hin zur Community, die letztendlich durch ihre Beurteilung über die Relevanz eines Inhaltes entscheidet.

Wenn die Masse über die Relevanz eines Inhalts urteilt, geht in der Regel Qualität verloren – Stichwort Boulevard vs. Qualitätszeitung.
Zeglovits: Einerseits ja, andererseits stellen Communities auch andere Anforderungen an die publizierten Inhalte, weshalb deren Beurteilung außerhalb traditioneller Bewertungskriterien erfolgt. Nicht nur Redaktionen haben das Problem, dass sie nicht mehr als Autoritäten wahrgenommen werden. Auch staatliche Institutionen werden nicht mehr als die Wahrhaftigkeit an sich akzeptiert. Durch das Mitmach-Internet, das auch als Web 2.0 bezeichnet wird, verlieren klassische Massenmedien an Autorität.

Nicht alles wird mit der Zustimmung des Abgebildeten veröffentlicht. Löst Web 2.0 die Privatsphäre auf?
Zeglovits: Schon zu Beginn des 20.Jahrhunderts wurden Prominente vom Boulevard öffentlich bloßgestellt. Die heutige Problematik ist eher die, dass sich diese Mechanismen nicht mehr auf Prominente konzentrieren, sondern jeder davon betroffen sein kann.

Wer profitiert vom Trend zur Selbstinszenierung?
Zeglovits: Portal-Betreiber und Werbewirtschaft. Durch die immer detaillierteren User-Profile kann die Werbung ihre Zielgruppen immer genauer erreichen. Umgekehrt sind solche User-Daten für die Betreiber inzwischen sehr gut verkaufbar.

Läuft die Generation Web 2.0 Gefahr, vor dem PC zu vereinsamen?
Zeglovits:
Die Jugend von heute unterscheidet nicht mehr zwischen echtem und vernetztem Leben. Die Grenzen sind nur noch für die ältere Generation wahrnehmbar.


Internet-Bekanntschaften werden als gleich wertvoll beurteilt wie jahrelange Schulfreundschaften?
Zeglovits: Jugendliche verfügen gar nicht über ein so langes, soziales Vorleben, aus denen sich jahrelange Freundschaften ergeben könnten. Es gibt bereits Online-Services, die ganz gezielt auf den Trend zur Online-Bekanntschaft setzen. Über das Portal twitter.com etwa kann man seinen Web-Freunden via Internet und Handy jederzeit und überall mitteilen, was man gerade tut. Fast wie im „echten“ Leben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2008)

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