Alfred Goubran: "Das Ganze erlebt man nur in der Kunst"

Alfred Goubran
Alfred GoubranDie Presse
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Alfred Goubran ist nun auch als Singer/Songwriter in Erscheinung getreten. Mit der "Presse am Sonntag" sprach der 50-Jährige über die Schriftstellerei und die Nachteile der Globalisierung.

Sie feierten heuer im Jänner Ihren 50. Geburtstag. War das eine Art Zäsur?

Alfred Goubran: Nein. Es war ein wenig seltsam. Es gab ein Fest für mich, aber ich hatte das Gefühl, dass dieser Tag eher für die anderen war. Mein Vater ist mit 28 Jahren gestorben. Das war für mich ein problematischer Geburtstag. Da hatte ich eine Zeitlang Todesangst.

Hängt man mit den Jahren mehr am Leben?

Die Frage war bei mir und meiner Arbeit immer: „Geht es sich noch aus?“ In der Literatur etwa strebe ich sieben Romane an, geschrieben hab ich erst zwei. Es ist okay, wenn man mal out ist. Aber irgendwann will man doch gewürdigt werden. Oder zumindest die Aussicht haben, dass sich jemand mit dem eigenen Werk beschäftigt.

Aber soweit, dass Sie wie Friedrich Gulda den eigenen Tod vortäuschen, um die Nachrufe zu lesen, gehen Sie nicht, oder?

Das ist schon eine sehr verlockende Idee. Wahrscheinlich würden viele Künstler gerne spurlos verschwinden, um zu sehen, was sie den Leuten wert waren. Es gehört zum Künstlertum, dass man Bleibendes schaffen möchte.

Sie sind in Klagenfurt aufgewachsen. Was machte das mit Ihnen?

Mein Vater ist wie gesagt jung gestorben, die Mutter hat wieder geheiratet. Kleine Geschäftsleute waren sie. Ich bin ins katholische Internat gekommen. Mir hat es gefallen. Du hast von jedem gewusst, wofür er stand. Ich war der Revoluzzer. Das war fünf Jahre lang okay, dann kam ein neuer Präfekt, der mich rausgeworfen hat. Ich besuchte das letzte Jahr noch draußen eine Schule, fiel aber dann in Deutsch durch.

Hatten Sie danach einen Plan?

Nein. Lange Zeit bin ich nur herumgereist und habe Gelegenheitsjobs gemacht. Es war eine sehr wichtige Zeit für mich. Ich glaube das Entscheidende, ob jemand Künstler wird oder nicht, ist, wie man zwischen 15 und 25 Jahren lebt. Wenn du in dieser Zeit brav auf die Uni oder in die Arbeit gehst, gehörst du der Katz'.

Wie haben Sie Sprache als prinzipielles Mittel der Weltaneignung entdeckt?

Das passierte sehr früh. Als Schüler schrieb ich einen Aufsatz übers Fußballspielen und entdeckte, dass das Geschriebene für mich wirklicher war als das tatsächlich Erlebte. Bald dachte ich, ich wäre der neue Joyce oder Rimbaud. Diese Arroganz hat sich bald gelegt.

„So bin ich erzogen“ heißt eines Ihrer Lieder. Was ist stärker: das Soziale oder das Angeborene?

Mir gefällt der Satz: „Niveau ist, wenn du nicht mehr sagen kannst, aus welchem Milieu jemand stammt.“ Wenn jemand gut, ist, dann hat sie oder er, das selbst aus sich gemacht. Da spielt arm oder reich keine Rolle. Ich finde das Soziale überschätzt.

Dennoch, Erziehung ist der Moment, in dem die Gesellschaft mit ihren Forderungen ins Spiel kommt. Was kann der Einzelne gegen die Instrumentalisierungsversuche tun?

Es geht um zwei Dinge, wenn man in die Schule kommt. Das eine ist die Erfahrung, dass etwas von außen zugreifen kann, wo die Eltern keine Möglichkeit der Beeinflussung haben. Das kann traumatisch sein. Das zweite ist, dass man lernt, es zu verdrängen. Mancher braucht ein Leben lang, um diese Programmierungen wieder loszuwerden. Man wird vollgefüllt mit falschen Sachen. Ich schreibe meine Essays, um diesen Ballast abwerfen zu können. Nicht alles, was in deinem Kopf herumgeistert, bist auch wirklich du.

Heuer kam Ihr spätes, aber vorzügliches Debütalbum „Die Glut“ heraus. Hat Sie das viele Alleinsein dazu verführt, es nun auch als Musiker zu versuchen?

In gewissem Sinne, sicher. Musik war mir schon früh wichtig. Pharoah Sanders und Deep Purple, Captain Beefheart und Frank Zappa. Komischerweise auch Jethro Tull, weil eigentlich sind mir diese Typen unsympathisch. Bob Dylan kam erst später in mein Leben. Nach dem Konkurs meines Verlags Edition Selene. Da hat er mich aber dann voll erwischt.

Sie leben derzeit viel in Paris, warum?

Ich fühle mich lieber in Paris als Fremder als in Wien. Hierzulande gibt es einen enormen Wirklichkeitsverlust. Etwa durch diese artifizielle Fernsehsprache, die es sonst in keinem Land gibt. Bei uns wird so synchronisiert, dass man alles versteht. Das hat eine Anmutung von Unwirklichkeit. Oder in der Literatur. Da haben alle, egal ob Autoren, Kritiker oder Juroren, Literatur studiert. Das ist sicher von Nachteil. Jeder, der fünf Gedichte geschrieben hat, glaubt, ihn müsse der Staat erhalten. In Paris ist das anders. Hier weiß niemand, wovon er in drei Monaten leben wird.

Sind Sie also eher dafür, dass Künstler nicht subventioniert werden sollen?

Als Schriftsteller habe ich nie Subventionen genommen. Als Verleger, auf Grund der Umstände, nach einigem Zögern doch. Ich finde es sehr schwierig, mich als Künstler zu diesem Thema zu äußern, weil viele Kollegen davon leben. Ich weiß, wenn drei Leute zusammenstehen, macht einer Kultur. Die Angst, dass keine Kultur entstehen würde, wenn sie der Staat nicht fördert, ist ein Blödsinn. Letztlich machen diese Subventionen wettbewerbsunfähig.

Tex Rubinowitz gewinnt den Bachmann-Literaturwettbewerb. Ist das nicht einigermaßen absurd?

Ich verstehe die Generation, die den Bachmann-Preis so toll findet, überhaupt nicht. Alle jungen Leute, die sagen, Amazon ist pfui, finden gleichzeitig den Bachmann-Preis gut. Dabei ist er nur ein Instrument des Marktes. Dazu sage ich: Eine Punkband würde niemals zu einer Casting-Show gehen. Nichts anderes ist diese Veranstaltung.

Ist das Deuten der Zeit die zentrale Aufgabe des Schriftstellers?

Auch. Die Schriftstellerei ist eigentlich ein priesterliches Amt. Wie bei einem Gebet holst du etwas in die Gegenwart, was vorher nicht da ist. Deshalb ist es immer ein wenig problematisch, wenn der Schriftsteller in Gesellschaft ist. Man müsste sich raushalten. Zu Peter Turrini sagte ich einmal: „Du wärst eigentlich der perfekte Volksschriftsteller, aber du kannst nicht permanent auf dem Schoß vom Scholten sitzen.“

Darf man als Dichter eine Beziehung führen?

Jeder Künstler hat andere Parameter, wie er zu seiner Freiheit kommt. Leute wie Eichendorff oder Kafka brauchten einen sicheren Beruf, der sie freimachte für die Kunst. Andere, wie mich, würde das kaputt machen. Es ist eine Frage des Typus. Aber eine gewisse Enthaltsamkeit ist schon gut.

Geht es im Leben ums individuelle Glück?

Es gibt zwei Sorten von Menschen. Die einen sagen, die Welt ist für mich da, die anderen, ich bin für die Welt da. Letzteres gilt für mich. Es gibt diesen schönen Film, wo Frank Zappa eine Grenze überschreitet. Der Zöllner fragt: „What are you on?“ Er erwidert: „I'm on duty.“ Man muss draufkommen, woher einen die wahre Pflicht ruft.

Die 68er-Generation, der Zappa angehört, kam bei Ihnen aber nicht immer so glimpflich davon. In Ihrem Buch „Der Pöbelkaiser“ haben Sie die Kollegenschaft einigermaßen angepatzt. Warum?

Einer der Denkfehler der damaligen Tabubrecher und Befreier war, dass sie nicht erkannt haben, in welcher Epoche sie lebten. Sie haben nicht mitbekommen, dass jeder Tabubruch zur Eröffnung eines neuen Marktes führte. So wäre Pornoindustrie ohne Frauenemanzipation nicht denkbar. Viel wichtiger waren die Entwicklungen vorher in den Fünfzigerjahren.

Was waren das für Strömungen?

Das waren etwa die deutsche Technikkritik, die damalige Bürgerrechtsbewegung sowie eine veritable Gewerkschaftsbewegung. Das alles trat in den Hintergrund, als die 68er die Selbstverwirklichung proklamierten.

Die Selbstverwirklichung der 68er harmonierte überraschend gut mit der Entwicklung des Kapitalismus. Woher rührt das?

Mit den 68ern kam das Kalkül. Das ist übel. Wenn ich anfange, das Leben zu verrechnen, dann geht das auf Kosten des Lebens.

Wo sehen Sie den Grundkonflikt in der modernen Welt?

Ich sehe ihn als Kampf zwischen dem Ingenieur und dem schöpferischen Geist. Der eine analysiert alles, und der andere schafft etwas aus dem Nichts. Leider will der Ingenieur oft Gott sein. Damit er in dieser Anmaßung bestehen kann, muss er den wirklich schöpferischen Menschen verdrängen. Aber das Ganze ist immer mehr als die Summe seiner Teile. Das Ganze erlebt man nur in der Kunst. In einem Lied, in einem Gedicht, in einem Roman.

Herr Goubran, darf man Sie auch fragen...


1... ob Elfriede Jelinek eine Dichterin ist?

Bei dieser Frage muss ich immer sagen: Nein. Man möge mir einen dichterischen Satz von ihr sagen. Es gibt seit den Siebzigerjahren diesen intellektuellen Schriftsteller, der eigentlich nur Texte verfasst, aber kein Dichter ist. Das Problem ist, die Kritiker können das nicht mehr unterscheiden.

2... ob es etwas Neues geben kann in der Welt der Dichtung?
Meiner Meinung nach gibt es auch heute den opaken, nicht einsehbaren Raum, der das Neue bringen wird. Einst war es etwa Greenwich Village, jetzt gerade weiß niemand, wo er sich befindet.

3... ob man E-Books lesen darf?
Als Nachschlagewerk und als Sachbuchersatz ist es okay. Über das Buch sagt man so schön, es hätte noch die Information des Waldes. Auch wenn diese nur homöopathisch da sein sollte, so ist sie wichtig.

Steckbrief

1964
Alfred Goubran wurde in Graz geboren. Ab den 1980er-Jahren veröffentlichte er erste literarische Texte, 1993 gründete er seinen Verlag Edition Selene. Der Verlag existiert bis 2010. In diesem Jahr veröffentlicht Goubran auch seinen Debütroman „Aus“.

Nach etlichen schriftstellerischen Werken („Aus“, „Durch die Zeit in meinem Zimmer“) ist heuer Goubrans Debütalbum „Die Glut“ erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2014)

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