Ferguson: "Schwarz sein heißt schuldig sein"

USA SHOOTING MISSOURI
USA SHOOTING MISSOURI(c) APA/EPA/LARRY W. SMITH (LARRY W. SMITH)
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Lokalaugenschein. Die Proteste nach dem Tod eines schwarzen Jugendlichen ebben ab, der Ärger über Polizeirassismus aber nicht.

Ferguson. Audrey Grayson ist eine gottesfürchtige Frau und von jener einnehmenden Herzlichkeit, die man in den Vereinigten Staaten vor allem in ländlicheren Gegenden und da besonders häufig bei den Schwarzen findet. Und dennoch ist diese zierliche Pastorengattin, der man die 62 Jahre auch beim zweiten Mal nachfragen nicht glauben will, schon einmal von der Polizei festgenommen worden.

„Sie haben mich verhaftet, weil ich einen Mercedes fahre, und ich musste eine Kaution hinterlegen“, sagte Grayson in der Nacht auf Mittwoch in der Kleinstadt Ferguson im Bundesstaat Missouri, ein großes grünes Schild mit der Botschaft „Jesus ist der Erlöser“ im Arm. „Sie haben mich verhaftet, weil sie nicht glauben wollten, dass jemand wie ich einen Mercedes fährt. Dabei habe ich den Wagen gebraucht gekauft!“

Alle schwarzen Männer und Frauen, mit denen „Die Presse“ in dieser elften Nacht der öffentlichen Proteste nach der Erschießung des unbewaffneten 18-jährigen Schwarzen Michael Brown durch den 28-jährigen weißen Polizisten Darren Wilson sprach, erzählten von persönlichen Erfahrungen mit rassistisch motivierten Übergriffen der Polizei. Alle verurteilten allerdings zugleich die Plünderungen und gewalttätigen Übergriffe einzelner Chaoten, die sich in den vergangenen Tagen unter die fast durchwegs friedlichen Demonstranten gemischt hatten.

Nicht zu schnell gehen

Gordon Coffee (25) aus Jacksonville in Florida zum Beispiel ist Berufssoldat, 2010 hat er im Irak gedient. Weil er derzeit in Missouri stationiert ist, kommt er abends zu den Demonstrationen auf der West Florissant Avenue in Ferguson. Als er 16 war, wurde er mit Freunden am Strand von Jacksonville von einem Polizeikommando überfallen. „Die sind mit gezogenen Waffen auf uns losgestürmt, haben uns gezwungen, uns flach mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen.“ Drogen, Waffen oder Diebsgut fanden die Ordnungshüter nicht. Eine Entschuldigung für diese Behandlung bekamen Coffee und seine Freunde nicht. „Ich diene seit sechs Jahren in der Armee, habe eine College-Ausbildung: So einen Umgang bin ich nicht gewohnt“, sagte er und fügte hinzu: „Ein schwarzer Mann zu sein heißt in Amerika, schuldig zu sein, bevor noch Fragen gestellt werden. Du darfst deine Geldbörse nicht zu schnell aus der Hosentasche ziehen, wenn du dich ausweist, oder zu schnell auf einen Polizisten zugehen. Das geht so nicht. Die sind schließlich dazu da, um uns zu schützen und zu helfen.“

Während Coffee mit der „Presse“ sprach, klauben Saida Powell (26) und Aleidra Allen (25) Müll auf, den die Demonstranten hinterlassen haben. Die Plastiksackerln dafür hatten sie von Aktivisten aus Ferguson bekommen, die darum bemüht sind, das schlimme Bild ihrer Gemeinde in den Medien zu korrigieren. Powell, die für die Fluggesellschaft Delta Airlines arbeitet, war eigens am Dienstag aus Los Angeles angereist, um an den Kundgebungen teilzunehmen.

Wieso? „Ich fand es unfassbar, im Fernsehen und auf Twitter all diese Bilder von Panzerfahrzeugen und Ausschreitungen in einer amerikanischen Kleinstadt zu sehen“, sagte sie. Ihre Heimatstadt, Los Angeles, werde zwar in den Medien immer wieder dafür gelobt, die richtigen Schlüsse aus den tödlichen Unruhen in den Jahren 1965 und 1992 gezogen zu haben. Tatsächlich aber gehe die dortige Polizei mit den Schwarzen noch immer schlecht um: „Wenn die Polizei in L.A. so gegen Demonstranten vorgegangen wäre, wie das hier in Ferguson passiert, wäre der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Das hätte entsetzlich geendet.“

„Aussteigen! Hände hoch!“

Allen arbeitet an der Universität von Missouri-St.Louis in der Abteilung, die sich um Fragen des studentischen Lebens wie zum Beispiel Unterkünfte kümmert. Seit dem Tod von Michael Brown bekommt sie nach und nach Anfragen von Studentenorganisationen aus allen Ecken der USA, die nach Ferguson kommen wollen.

Allen freut das landesweite Interesse an den Bürgerrechten, aber sie hat auch ein wenig Sorge: „Die Polizei muss darüber nachdenken, wie sie damit umgeht, wenn mehr Institutionen von außen hierher kommen.“ Auch sie hat schon Erfahrung mit polizeilichem Rassismus gemacht. Als sie sich einmal in Baton Rouge, der Hauptstadt von Louisiana, mit dem Auto verfuhr und in einem schwarzen Viertel mehrfach im Kreis fuhr, wurde sie von gleich drei Streifenwagen angehalten. „Der Polizist brüllte mich an: ,Aussteigen! Hände hoch!‘ Dabei regnete es in Strömen.“ Als er sah, dass da eine kurzhaarige Frau vor ihm stand und kein junger Mann, endete die Amtshandlung. „Er hat sich nicht einmal entschuldigt. Dabei hatte ich nichts getan, um so behandelt zu werden!“

Bis auf eine kurze Aufregung nach dem Wurf einer Plastikwasserflasche blieb es in der Nacht auf Mittwoch ruhig. Bestenfalls 200 fast ausschließlich friedliche Demonstranten waren da – weniger, als Polizisten und Nationalgardisten im Einsatz waren. „Es ist angenehm ruhig“, sagte ein vierschrötiger Beamter sichtlich erleichtert.

Der Besuch von Justizminister Eric Holder am Mittwoch sollte zur Glättung der Wogen beitragen, hofften alle Gesprächspartner der „Presse“. Der Schlüssel zur dauerhaften Beruhigung der Lage allerdings liege darin, ein faires Ermittlungsverfahren zu Browns Tod einzuleiten. „Wir kennen ja nicht einmal die Fakten“, kritisierte Allen. „Wenn wir nicht sehen, dass Gerechtigkeit waltet, fürchte ich, dass einige Leute verrückt werden.“

AUF EINEN BLICK

Die Demonstrationen gegen polizeiliche Willkür in Ferguson, einem Vorort von St. Louis (Missouri), halten an, werden aber friedlicher. In der 21.000 Einwohner zählenden Stadt, die zu zwei Dritteln von Schwarzen bewohnt wird, hatte ein weißer Polizist am 9. August einen jungen unbewaffneten Afroamerikaner erschossen. Die genauen Umstände sind derzeit noch unbekannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2014)

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