Köhlmeier: "Ich brauche keine Sternschnuppen"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der umtriebige Schriftsteller Michael Köhlmeier hat ein neues Buch über Winston Churchill und Charlie Chaplin veröffentlicht – und feiert nächste Woche seinen 65. Geburtstag. Mit der »Presse am Sonntag« sprach er über den Dialekt in Vorarlberg und die Politik in Österreich.

Sie sind in der Vorarlberger Gemeinde Hard am Bodensee auf die Welt gekommen, ich bin dort aufgewachsen. Ich wusste nicht, dass man dort auf die Welt kommen kann.

Michael Köhlmeier: Ich wurde in einem alten Bauernhaus geboren, ich habe mich immer davor geekelt. Es hat so gestunken. Meine Mutter stammt aus einer Stadt in Deutschland, zwar aus einer kleinen Stadt, aber einer Stadt. Ich habe gelernt: Der Unterschied zwischen einer kleinen Stadt und einer Großstadt ist nicht so groß wie zwischen dem Land und einer kleinen Stadt.


Ist es so?

Meine Mutter hat das Land nicht gemocht. Die Stadt ist Zivilisation. Es hat meine Mutter vor Schmieröl und Abgasen nicht gegraust, aber vor Kuhscheiße und Stallgeruch. Und sie hat so Heimweh gehabt – nach dem Krieg haben wir in den Bergen gewohnt –, dass sie hinausgegangen ist, um die Abgase zu riechen, wenn der Omnibus vorbeigefahren ist. Ihr Vater war Automechaniker.


Können Sie ihr Verhalten nachvollziehen?

Ja. Wenn sich Heimweh oder Erinnerung an Gerüchen festmacht, dann geht es nicht darum, ob die Gerüche gut sind oder nicht. In Coburg, wo meine Tante gewohnt hat, war ich oft in einer wüsten Kneipe und einem wüsten Kino. Es roch nach einem Gemisch aus Pisse, Zigaretten, Bierdunst und Bohnerwachs. Ein einmaliges Parfum, es versetzt mich augenblicklich in meine Kindheit zurück.


Da wir interessanterweise auf Hochdeutsch sprechen: Sind Sie dem Vorarlberger Dialekt verbunden?

Ich war immer ein Praktiker des Dialekts, nie ein Theoretiker. Ich habe viele Songs geschrieben, fast ausschließlich im Dialekt. Auf Hochdeutsch zu singen empfand ich als unnatürlich, als hätte ich Soletti quer im Hals. Ich habe also über den Dialekt nie ernsthaft nachgedacht, ich habe ihn praktisch verwendet, so wie ich mit Ihnen reden würde, wenn Sie sich getrauen würden, Dialekt mit mir zu sprechen.


Wir können schon!

Nein, das tun wir nicht. Der Wortschatz ist im Dialekt deutlich geringer. Es gibt manche Dinge, die der Dialekt treffender sagen kann, sinnlicher vielleicht. Aber in Wirklichkeit hat der Dialekt bedeutend weniger Worte. Der Dialekt ist mehr eine Geste als eine Sprache. Welche Sprache sprechen Sie in der Familie?


Eine kuriose Mischung aus Türkisch, Vorarlbergerisch und Hochdeutsch.

Es war bei mir durchaus ähnlich, unsere Familie war dialektmäßig gespalten. Meine Mutter hat fränkischen Dialekt gesprochen, die Familiensprache hat sich nach ihr gerichtet. Mir kam es als das vornehmere Hochdeutsch vor, dabei gab es noch das richtige Hochdeutsch. Vorarlberger Dialekt haben wir auch gesprochen. Er ist herber.


Vorarlberg hat einen Ruf, den kein anderes Bundesland hat: Das Leben läuft in geordneten Bahnen, jeder hat seinen Platz im Alltag, es gibt kaum Stör- und Problemfaktoren, und wenn, dann ist es nie so arg wie in Wien . . .

Ich würde das gern glauben. Mich irritiert aber der FPÖ-Zuwachs. Und das passiert nicht, weil dort irgendein Politiker wie Jörg Haider auftritt, der eine besondere Anziehungskraft auf die Leute ausübt. Beim Haider konnte man das ja nachvollziehen, viele Leute waren ihm verfallen. Beim Heinz-Christian Strache kann ich mir das nicht vorstellen, er hat kein Charisma. Beim Haider gewann die FPÖ dazu, je aktiver Haider war. Wenn er sich zurückzog, ging es abwärts mit der Partei. Bei Strache ist es umgekehrt.


Wie lautet Ihre Erklärung dafür?

Jedenfalls hat das nichts mit dem Herrn Strache oder dem Herrn Kickl (Generalsekretär Herbert Kickl, Anm.) zu tun. Sobald sich jemand von der FPÖ zu Wort meldet, ist es meistens ein Schas. Am besten tut es der FPÖ, wenn sie gar nichts tut. So baut sich der frustrierte Bürger den Strache im Kopf selbst. Und in Vorarlberg hat die FPÖ überhaupt nichts zu bieten. Der FPÖ-Vorsitzende ist ein ganz beschränkter, dummer Mensch, das weiß auch jeder. Wir wissen, dass die Haider-FPÖ ein ganzes Bundesland moralisch, politisch und wirtschaftlich ruiniert hat. Wir wissen auch, dass sich die FPÖ während der schwarz-blauen Regierungszeit von vorn bis hinten am Allgemeinvermögen bedient hat. Und trotzdem wählt man sie.


Warum?

Alles in mir schreit danach zu sagen: „Da die Leute so blitzdumm sind.“ Das ist eine sehr matte Erklärung. Aber mir geht es auf den Wecker, immer eine Ausrede zu finden, dass das Volk, der große Lümmel (Heinrich Heine), entschuldigt werden muss. Vielleicht sind sie einfach wirklich blöd, wie die Nacht dunkel ist. Ich neige dazu, das zu glauben. Wenn jemand nach diesen Erfahrungen in den letzten zehn Jahren immer noch diese Partei wählt, ist ihm nicht mehr zu helfen. In Wien haben 1700 Polizisten ein von 19 Punks besetztes Haus geräumt, und Harald Vilimsky (FP-Generalsekretär, Anm.) meint: Wäre er Innenminister, wäre die Sache in einer halben Stunde erledigt. Was hätte er getan? Die Leute erschossen?


Ist die FPÖ nicht mehr als das? Die Partei beackert auch andere Themen und Felder, wobei die negativen Schlagzeilen der Vergangenheit vielleicht in den Hintergrund rücken.

Die Frustration der Leute ist so groß. Man kann zwar nicht immer sagen: „Die Journalisten sind schuld“, aber dennoch. In die Art, wie der von mir hochgeschätzte Armin Wolf ein Interview mit einem Politiker führt, hat sich ein Unterton eingeschlichen, der sagt: „So mein Freund, ich weiß ganz genau, dass du ein Betrüger, Lügner, Abzocker und was weiß ich noch alles bist, aber ich krieg' das heraus.“ Es hat sich eine allgemeine Ansicht verbreitet, dass Politiker Gauner sind. Natürlich gibt es welche, aber die meisten sind Leute, die unglaublich hart arbeiten für nicht allzu viel Geld.


Bei all der Jammerei über die Politik leben wir immer noch in einem wohlhabenden Land mit funktionierender Demokratie.

Das allemal. Freiheit und Wohlstand weiß man zu schätzen, wenn man sie verliert. Es ist festzustellen, dass viele Menschen weniger verdienen als vor ein paar Jahren. Bei mir ist das nicht der Fall, ich verdiene mehr, insofern kann ich da nicht mitjammern. Das verbittert also die Menschen, aber verbittert das allein? Ich glaube, dass sich viele nicht ästimiert und gebraucht fühlen. Und da muss man sich fragen: Warum ist das in Österreich so? In Spanien verstehe ich das, dort sind mehr als Hälfte der jungen Leute arbeitslos. Österreich gehört zu den Ländern, die die Krise am allerbesten gemeistert haben.


Was wollen Österreicher also?

Wir haben einen Obrigkeitsstaat. Es muss an der Spitze ein charismatischer Zampano stehen, das wünschen wir uns. Auch wenn er Katastrophen anrichtet wie Haider, dann verzeihen wir ihm, Hauptsache, er hat uns gut unterhalten. Schauen Sie nach Italien: Wie kann ein Land dauernd diesen Berlusconi wählen? Warum? Da er mehr Strahlkraft als andere Politiker hat.


Man könnte glauben, die Zeit der Politiker, die positive Strahlkraft besitzen, ist vorbei. Was meinen Sie?

Immer wenn man meint, etwas sei ewig oder schon vorbei, ändert sich das binnen kurzer Zeit. Zu Beginn jenes Jahres hat es niemand für möglich gehalten, dass die Sowjetunion zusammengebrochen. Im März 1968 las ich im französischen „Figaro“ einen Artikel mit dem Titel: „Was ist mit unserer Jugend los?“ Auf der ganzen Welt waren Jugendrevolten, nur die Jugend von Paris schien zu schlafen. Und im Mai 1968 hat alles vollkommen anders ausgeschaut. Es ist alles so unberechenbar. In der Politik brauche ich keine Strahlfigur. Ich brauche keine Sternschnuppen. Ich bin ein Fan langweiliger Politik. Es ist doch wie beim Müllhinuntertragen. Die Qualifikation eines Menschen, der Müll entsorgt, muss nicht sein, dass er ein Heiliger ist. Er muss es einfach nur so tun, ohne dass unterwegs der Dreck hinausschwappt.


Ihr neues Buch „Zwei Herren am Strand“ (Hanser Verlag) handelt von Winston Churchill und Charlie Chaplin. Haben Sie es historisch oder biografisch angelegt?

Weder noch. Beim Schreiben ist es ein reizvolles Spiel, zwischen Wahrheit und Erfindung hin- und herzupendeln. Mich haben die beiden Figuren interessiert, und ich möchte mit ihnen frei umgehen können. Ein Historiker darf das nicht. Der Punkt, ab dem aus einer realen Figur eine mythische Figur wird, die eine Zeit repräsentiert – dieser Übergang hat mich interessiert. ?

Hr. Köhlmeier, darf man Sie auch fragen . . .
1 . . . ob es je ein Thema gab, worüber Sie mit Journalisten nicht gesprochen haben?
Ich wurde oft nach dem Tod unserer Tochter befragt. Ich habe nicht gern darüber gesprochen, aber die Haltung „Darüber spreche ich nicht“ hat mir auch nicht gefallen. Das hat Totenkultcharakter. Heute kann ich das besser, aber ich möchte nicht ein Thema daraus machen.
2 . . . was das faszinierendste Satzgebilde ist, das sie jemals gelesen haben?
Über einen Satz von Arthur Rimbaud kann ich bis an mein Lebensende nachdenken, ich verstehe ihn aber nicht: „Die Flagge von blutigem Fleisch über der Seide der Meere und den Blumen des Nordpols.“ Er selbst hat später in einer Ausgabe den Satz „Das gibt es nicht“ daneben geschrieben. Mir hat das mit dem Kommentar zusammen gut gefallen. Und der Satz im „Hohelied der Liebe“ (1. Korintherbrief): „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.“


Steckbrief

1949
Michael Köhlmeier wurde am 15. Oktober in Hard am Bodensee geboren. In Marburg, Gießen und Frankfurt/Main studierte er Politik, Germanistik, Mathematik und Philosophie. In den 1970er-Jahren war er im Rundfunk tätig.
1972 gründete Köhlmeier gemeinsam mit Reinhold Bilgeri das Duo Köhlmeier & Bilgeri. Köhlmeier schrieb und sang Lieder im Vorarlberger Dialekt.
1982 erschien sein Roman „Der Peverl-Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen Kopf“. Köhlmeier schrieb etliche Romane, aber auch Erzählungen („Sunrise“), gab Sagen heraus, verfasste Drehbücher und Theaterstücke. Sein neues Buch „Zwei Herren am Strand“ ist soeben im Hanser Verlag erschienen.

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