Henriette Schroeder: „Lippenstift als Kampfmittel!“

(C) Sandmann Verlag
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Ist das Äußere in Kriegs- und Krisensituationen zu vernachlässigen? „Nein“ sagen die Frauen in Henriette Schroeders neuem Buch. Denn es geht ihnen um Menschlichkeit und Würde.

Die Zeichnungen aus der Hölle sind entsetzlichund komisch zugleich, denn Nina Jirsíková gibt Tipps für den „anspruchsvollen Häftling“. Ihre Bilder zeigen ausgemergelte Frauenkörper mit kahl rasierten Köpfen und dunkel eingefallenen Augen, sie tragen zerlumpte KZ-Häftlingskleidung. Jirsíková schreibt dazu: „Verkürze – selbstverständlich heimlich, da streng verboten– das Sackkleid; raffe es fester um die Taille, wobei ein paar Sicherheitsnadeln, irgendwo geklaut, gute Dienste leisten.“ Jirsíková zeichnet den „besitzenden“ Häftling – diejenigen, die Pakete ins KZ bekommen – sowie den „proletarischen“ Häftling mit jämmerlichen Holzschlapfen, und sie nimmt ihr aller Elend aufs Korn. Jirsíkovás „Ravensbrücker Modejournal“ ist aber mehr als eine Satire aus dem finsteren Alltag des Konzentrationslagers; vielmehr kratzt die Tänzerin, die gemeinsam mit Milena Jesenká, der guten Freundin Franz Kafkas, im Frauen-KZ Ravensbrück inhaftiert war, das letzte bisschen Würde zusammen, das den Frauen noch geblieben war.

Die Beschäftigung mit Aussehen und Mode im Angesicht des Todes, der Qualen – und zwar nicht nur im KZ, sondern auch im Krieg, in Diktaturen, in Gefängnissen – erscheint auf den ersten Blick bizarr, ja unpassend. Dass es aber genau das Gegenteil bedeuten kann, zeichnet die Journalistin Henriette Schroeder in ihrem neuen Buch „Ein Hauch von Lippenstift für die Würde“ nach. Anhand von Interviews und kurzen Erzählungen schildert sie (und lässt schildern), wie Frauen trotz aller Widrigkeiten an ihrem Äußeren festgehalten haben. Warum? Die eindringliche Antwort darauf gibt CNN-Journalistin Christiane Amanpour, die während des Bosnien-Kriegs beobachtet hat, wie Frauen gut gekleidet zwischen den Scharfschützen gehastet sind. Schön sein zu wollen unter Beschuss habe nichts mit Eitelkeit zu tun, sagt Amanpour: „Es ging ihnen darum, ihre Menschlichkeit zu bewahren.“

Menschlichkeit und Würde – dieses Argument zieht sich wie ein roter Faden durch alle Geschichten in Schroeders Publikation. Sie zeigt ein Dokument aus dem KZ-Außenlager Oederan (Sachsen), wo sich die Insassinnen mit einer „Modenschau“ über ihre Häftlingskleidung lustig gemacht haben („Man trägt das Kleidchen am bloßen Körper, kein Büstenhalter, kein Unterhöschen, alles ist angenehm und kühl, besonders wie jetzt im Winter“), sie lässt sich erzählen, wie die Uniformierung des Äußeren in den Diktaturen die Frauen gedemütigt hat, und sie fragt nach, wie sich die Frauen diesem Zwang widersetzt haben. Manche wie die Autorin Emily Wu haben während Mao Tse-tungs Kulturrevolution ihre bunten Blusen unter der Mao-Jacke getragen, andere wie die Historikerin Libuše Brodová haben ihre bemalten Lippen demonstrativ spazieren geführt. Kosmetika waren in der Tschechoslowakei nicht gern gesehen, erzählt Brodová. Als sie nach dem Prager Frühling ihren Job bei der Akademie der Wissenschaften verlor, heuerte sie als Putzfrau an – bis zu ihrer Pensionierung wischte sie Böden, und zwar in schicken Overalls, die sie selbst genäht hatte. „Man muss sich im Leben helfen, man kann nicht nur herumsitzen und jammern. Wenn man dies tut, verliert man seine Selbstachtung.“

Zersetzung der Seele. Das Äußere bekommt in Krisensituationen eine ganz andere Bedeutung als im Frieden und im Überfluss, es ist, wie die Wiener Psychotherapeutin Elisabeth Jupiter formuliert, „eine Metapher für das andere Leben – das Leben vorher“ – und ein Festhalten an der Identität. Sich herzurichten sei ein Kampf gegen das Resignieren: „Der Lippenstift als Kampfmittel!“ Und das Verwehren desselben sei eine Art psychologische Folter, wie die Moderatorin Edda Schönherz schildert.

Weil sie aus der DDR fliehen wollte, wurde sie in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Es habe dort nicht einmal Spiegel gegeben, erzählt sie, sie wussten nie, wie sie aussahen. Und dann wurde ihr im Verhör gesagt: „Ihre Haare sind aber lang und zottelig geworden!“ Oder: „Du, guck' mal, wie Du aussiehst!“ Damit, sagt Schönherz, „betrieb die Stasi die Zersetzung der Seele.“ Dabei ist das Verwehren von Kosmetika keine Spezialität vergangener Gewaltherrschaften. Aus dem Straflager in Mordwinien erzählt die Pussy-Riot-Aktivistin Nadezhda Tolokonnikova: „Wenn sie dich morgens mit einem Kamm oder einem Täschchen mit Kosmetika erwischen, werden dir auf fieseste Art und Weise vor der ganzen Mannschaft, vor 600Menschen, die Leviten gelesen.“

»Ungehorsam«. Und auch, dass Kleidung sowohl Widerstand, als auch politische Aktion bedeuten kann, ist keine Erzählung aus der Vergangenheit. Wer könnte das besser begreifen als die Wissenschaftlerin und Autorin Choman Hardi. „Ich komme aus dem irakischen Kurdistan. Ich wurde angehalten, mich ständig zu kontrollieren und mich konservativ zu kleiden, damit Männer durch meine Existenz nicht erregt werden.“ Unkonventionelle Kleidung sei auch eine Form des Widerstands, sagt sie. Im Irak habe Hardi beobachtet, wie sich die Frauen unter ihren Mänteln und Tschadors schick gemacht haben, wiewohl das kein ungefährliches Unterfangen in der traditionell-islamischen Welt ist.

Sich in Gefahr gebracht – das haben in Schroeders Buch so gut wie alle Frauen – um ihre Würde zu bewahren.

ERSCHIENEN

Henriette Schroeder: „Ein Hauch von Lippenstift für die Würde. Weiblichkeit in Zeiten großer Not.“

Elisabeth Sandmann Verlag, 304 Seiten, 24,95 Euro.

Mit Beiträgen von Herta Müller, Christiane Amanpour, Emily Wu, Choman Hardi, Elisabeth Jupiter u.a.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2014)

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