Heinz Bude: "Wir können nicht mehr lachen"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der deutsche Soziologe Heinz Bude beschäftigt sich in seinem neuen Buch mit der Angst – insbesondere mit der Furcht der 35- bis 45-Jährigen. Im Gespräch mit der »Presse am Sonntag« erzählt er, warum diese Generation ungeheuer ironiebegabt ist.

Ihr voriges Buch heißt Bildungspanik, das aktuelle befasst sich mit der Gesellschaft der Angst. Fasziniert Sie die Angst?

Heinz Bude: Als Soziologe muss ich immer darauf achten, wo etwas in der Gesellschaft porös ist, das man auf den ersten Blick nicht sieht. Wenn man eigentlich denkt: Ach, es ist ja alles in Ordnung. Das ist im Augenblick ja die Situation: Es sieht in Österreich wie in Deutschland beängstigend gut aus.


Sie beschreiben eine unheimliche Angst der 35- bis 45-Jährigen, irgendetwas falsch zu machen. Was ist denn da los?

Im Grunde hat mich interessiert, wie diese kommende Führungsgeneration aussieht, wie sie eigentlich innerlich aufgestellt ist. Und in der Tat ist für die eine merkwürdige Doppelhaltung charakteristisch: Diese 40-Jährigen haben relativ viele Chancen, sie sind smart, kommunikativ, reflexiv – und gleichzeitig ist das Bewusstsein für das Scheitern viel größer.


Woher kommt diese Angst?

Die Soziologen sind dahintergekommen, dass man heute nicht mehr einfach seine Herkunft reproduziert. Das ist schwierig, weil man jetzt eben auch so vieles falsch machen kann: Schule, Netzwerke, Lebenspartner. Die Furcht, irgendwie blöd dazustehen, ist größer geworden. Die innere Sicherheit zu sagen: Ach, das wird schon werden, oder: Manche Dinge sind einfach nicht so klar, die fehlt diesen 40-Jährigen.


Klingt, als wären sie überfordert.

Ein 40-Jähriger, der heute sagt: Ich will vor allem Karriere machen – oder eine Frau, die sagt: Ich will Powerfrau werden, und Kinder sind mir nicht so wichtig, die werden schon als tragisch gesehen. Auch bei dieser berühmten Work-Life-Balance geht es nicht mehr darum, selbstbewusst die Dinge einzubringen, die einem wichtig sind. Sondern ist diese Work-Life-Balance eine Aufgabe, an der man scheitern kann.


Weil alles, was möglich ist, auch sein muss, auch genutzt werden muss?

Sehen wir es zunächst einmal positiv. Es ist ja gut, dass die Perspektive des Lebens breiter ist. Und dass es nicht so nach Schema F geht. Die Vielfältigkeit von Jobs, von Interessen, die stärker gewordene Vorstellung von Selbstverwirklichung, das ist ja alles wunderbar. Nur: Alle anderen haben diese breiteren Perspektiven ebenso. Und dadurch steigt die Anspannung der Existenz. Man hat ständig die anderen im Blick. Wie machen die das jetzt? Sind die glücklicher? Sind die lockerer? Sind die ironischer als ich?


Ironie ist ja auch nicht unbedingt ein Zeichen von Vertrauen. Man lässt sich da nicht wirklich auf etwas ein.

Die Generation der 35- bis 45-Jährigen ist eine ungeheuer ironiebegabte Generation. Das ist natürlich ein Schutzmechanismus. Es heißt: Ich will immer schlauer sein. Ich will mich nicht von etwas enttäuschen lassen, an das ich vielleicht zu schnell geglaubt habe. Die allermeisten Vertreter dieser Generation halten von Parteipolitik überhaupt nichts, sie lassen sich auch von diesen Ökonomen nichts mehr erzählen. Man könnte glauben, die haben so eine Art entspannten Fatalismus, wenn sie ganz gut drauf sind.


In Wirklichkeit sind diese 40-Jährigen aber überhaupt nicht entspannt.

Genau, denn hinter diesem scheinbaren Fatalismus steckt die eigentümliche Anstrengung, dass ich bloß keinen Fehler machen darf. Dass ich mir immer wieder alle möglichen Szenarien vor Augen führe, was ich in bestimmten Situationen alles tun könnte.


Dagegen kann man wenig sagen. Es ist doch klug, Möglichkeiten abzuwägen.

Das Schlimme ist nur, wenn die Erkenntnis dazukommt, dass du wirklich dein Leben selbst führen musst. Und dahinter kommt dann die Frage: Was will ich eigentlich? Was ist der Maßstab, an dem ich bemesse, ob ich ein erfülltes Leben führe?


Sie klingen jetzt wie ein Psychologe.

Die Gesellschaft ist ja auch psychologischer geworden. Wir können uns nicht mehr so einfach auf Formulare unserer selbst, auf Normen verlassen. Weil alles offener, vielfältiger und verhandelbarer geworden ist – von der Auffassung des Jobs bis zur Sexualität.


Sie schreiben an einer Stelle, das Ich stehe vor dem Problem, aus Tausenden von Spiegelungen ein Bild für sich selbst zu gewinnen. Da ist immer der Blick auf die anderen.

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt in dieser Generation. Der US-Soziologe David Riesman hat das den außen geleiteten Charakter genannt. Man kann es auch den Radarmenschen nennen. Der steuert sein Leben von den Erwartungen und den Erwartungserwartungen der anderen her. Alle sind wahnsinnig empathisch begabt. Alle gucken: Welche Reaktionen folgen, wie kann ich notfalls gleich wieder weg?


Dann ist es ja gut, dass alles jederzeit aufkündbar ist. Was man natürlich als Freiheit interpretieren kann.

Natürlich. Aber unsere Freiheit ist die Freiheit, aus beliebigen Gründen Nein sagen zu können. Und schlimm ist das, wenn ich weiß, dass die anderen das auch können. Das Gespür für diese ewige Kündigungsdrohung hat zugenommen. Der neoliberale Mensch sagt ja: Die Welt liegt mir zu Füßen, ist einfach nur das Kaufhaus meiner Wahl. Ich wähle, was ich gern habe. Aber nicht nur ich, sondern auch die anderen. Das heißt, ich muss gewählt werden. Das gilt für den Job wie für die Liebe. Und das ist hart, weil ich mich eigentlich nicht enttäuschen lassen will.


Langsam kommen diese 40-Jährigen in der Spitzenpolitik an. Wie unterscheiden sich diese denn von früheren Politikern?

Politische Figuren aus der Vergangenheit haben heute für viele etwas merkwürdig Beruhigendes, obwohl nicht wirklich einleuchtet, was sie sagen, weil sie immer aus einer existenziellen Situation heraus reden, mit der sie sich die Welt eröffnen. Bei Henry Kissinger war es das Retten vor dem Völkermord, bei Helmut Schmidt der Versuch zu sehen, dass gar nichts anderes übrig bleibt, als die Dinge besser zu machen, weil alles Schlimme schon passiert ist. Bruno Kreisky wäre auch so einer.


Und den neuen Politikern fehlt sozusagen dieser feste Stand, der Ausgangspunkt für ihre Entscheidungen?

Heute trifft man im politischen Apparat überall auf diese 40-Jährigen, die sicher wahnsinnig schlau sind. Aber ihnen fehlt eine solche Erschließungssituation, von der aus man auch in Situationen Urteile treffen kann, die wirklich unüberblickbar sind.


Was steht uns da für eine Politik bevor?

Ich denke, wir haben schon ein gewisses Schlingern zu erwarten. Die politische Führung wird vor ganz wichtige Probleme gestellt sein: Sich für einen von vielen Konfliktherden zu entscheiden zum Beispiel. Da kommen Sie nicht mehr weiter mit Szenariendenken. Sie müssen es irgendwie machen – und Sie wissen nicht, was richtig ist.

Die frühere Bildungsministerin hatte in ihrem Büro einen Teppich mit einem Zitat von Samuel Beckett: „Fail again, fail better.“ Sollte man den Teppich entstauben?

Es kommt darauf an: Wenn Sie fehlerfreundlich sein wollen, weil Sie überschlau sein wollen, dann haben Sie ein Problem. Worum es geht, ist, dass man in der Lage sein muss, zu wissen, dass man manchmal im Nichts steht.


Sie schreiben, die erste Aufgabe des Staates sei, dem Bürger die Angst zu nehmen. Kann die Politik den 40-Jährigen diese Angst abnehmen, von der Sie schreiben?

Nein. Ich meine eher eine politische Botschaft, die sagt: Wir haben Angst, in manchen Punkten ist die auch begründet. Und es geht darum, das auch anzuerkennen. Das interessiert mich so an Politikern wie Theodore Roosevelt, der sagte: Ich habe den Amerikanern in die Augen geschaut und gesehen: Sie haben Angst. Damit sagt er: Lasst eure Angst ruhig bei mir, ich kann sie tragen. Angela Merkel würde so einen Satz nie in den Mund nehmen. Über Angst reden wir nie, heißt es da. Das ist das Geschäft der Rattenfänger.


Ihr Buch ist natürlich kein Ratgeber, trotzdem: Wollen Sie den Menschen irgendetwas mitgeben? Traut euch, entspannt euch?

Ich wollte das Buch eigentlich mit dem Lachen enden lassen. Es gibt eine große Tradition des Redens über Angst im Abendland, in der man sagt: Das einzige Mittel gegen die existenzielle Angst ist das gemeinsame Lachen.


Warum haben Sie sich anders entschieden? Sie schließen mit Paul Tillich: Die Angst bewahre zumindest die Hoffnung, dass nichts so bleiben muss, wie es ist.

Weil wir nicht mehr lachen können. Selbst das Lachen ist kontrollierter geworden. Wir leben in einer Welt das Lächelns, nicht des Lachens.

Herr Bude, darf man Sie auch fragen . . .
1 . . . was Ihnen persönlich Angst macht?
Angst macht mir die Vorstellung, dass ich nicht weiß, wie wach ich im Alter noch sein werde. Dass das Alter düster werden könnte, dass mir da irgendwann das Interesse an der Welt verloren gehen könnte und dass irgendjemand auch noch einen pathologischen Befund dafür hat. Das ist so eine Alzheimerfantasie.
2 . . . wie es um Ihre eigene Work-Life-Balance steht?
Die ist eine Katastrophe. Ich kann nichts anderes als Soziologie, ich mache nichts anderes. Ich habe kein Hobby, man könnte sagen, dass ich permanent arbeite. Meine Frau sagt, ich bin verrückt.
3 . . . ob Sie noch lachen können oder ob Sie auch nur noch lächeln?
Nein, nein, ich lache schon. Ich suche geradezu nach Situationen, um zu lachen. Die aber merkwürdigerweise immer Situationen sind, in denen ich das Gefühl habe, meinem Milieu zu entwischen. Dann kann ich lachen.


Steckbrief

1954
Heinz Bude wird in Wuppertal geboren.
1978
schließt er das Soziologiestudium an der FU Berlin ab. Er promoviert über die Flakhelfer-Generation und habilitiert mit einer Studie zur Herkunftsgeschichte der 68er-Generation.
1997
übernimmt er die Leitung des Bereichs „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“ am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er lehrt an mehreren Unis, seit 2000 an der Universität Kassel.
2011
veröffentlicht Bude das Buch „Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet“ (Hanser Verlag).
2014
erscheint das Buch „Gesellschaft der Angst“ (Hamburger Edition). Bude nahm im November beim AK-Stadtgespräch in Wien teil.

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