Fritz Molden: Ein "Presse"-Journalist im Widerstand

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Erinnerung an den heuer gestorbenen österreichischen Patrioten und Zeitungskönig der Nachkriegszeit. Bevor Wien '45 von den Sowjettruppen eingenommen wurde, gab es schon österreichische Kontakte zu den Alliierten.

Dezember 1944. Die US-Truppen General Pattons rücken im Westen schon seit Anfang des Monats ins Deutsche Reich vor. Der letzte Versuch der deutschen Generalität, den Ansturm mit einer Großoffensive in den Ardennen zu stoppen, war zum Fiasko geworden. Alle Reserven sind nun aufgebraucht.

Von Osten her stößt die Rote Armee bereits auf Budapest vor. Jetzt geht es für Wien, das schon ständig bombardiert wird, ums Ganze. Verzweifelt kämpfen die deutschen Jagdflieger gegen gigantische alliierte Bomberflotten, die von Italien aus mit ihrer tödlichen Last starten. Bis zu 500 Flugzeuge umfasst eine Flotte. Dass jedes zehnte abgeschossen wird, kalkulieren die US-Strategen ein. Denn Wien hat auch noch einen Ring aus Flakgeschützen zu seinem Schutz, der um die Stadt angelegt ist, zudem drei Doppel-Flaktürme, die 1944 im Stadtgebiet errichtet worden sind und die heute noch das Stadtbild verunzieren. Millionen Tonnen Stahlbeton wurden hier seit 1943 verbaut.

Aber die Überlegenheit der Alliierten ist bereits zu groß. Seit die dauernden Bombardements Raffinerien und Hydrierwerke zerstört haben, stockt der Nachschub an Flugbenzin. Das Ende ist absehbar. Es sieht nach einem Wettlauf zwischen Ost und West aus: In der Luft greifen die westlichen Alliierten an, auf dem Boden die Sowjetsoldaten.

Zu dieser Zeit ist der Wiener Großbürgersohn Fritz Molden schon eifrig in Italien unterwegs, um Kontakte zu den Amerikanern zu knüpfen: Vielleicht könnte man die Bombardierung seiner Heimatstadt stoppen? Der Jüngling ist im Widerstand gut vernetzt und nützt jetzt seine Kontakte.

Fritz Molden im Widerstand

In einem Interview mit „seiner“ Zeitung hat der einstige Zeitungszar als alter Mann diese turbulenten Wochen bis zum Kriegsende 1945 nochmals nachgezeichnet. Heute noch bin ich fasziniert von dieser Schilderung. Er ist am 11. Jänner 2014 gestorben.

1943, so Molden, signalisierten bekanntlich die drei Kriegsgegner Hitlers, die UdSSR, die USA und Großbritannien, den Österreichern im Moskauer Memorandum, dass sie selbst einen Beitrag zur Befreiung von der NS-Herrschaft leisten müssten. Dann sollte Österreich – obwohl es Mitschuld trage – als erstes Opfer Hitlers auch wieder in den Grenzen von 1938 neu erstehen.

Wortführer dieser Idee dürfte Moskaus Außenminister Molotow gewesen sein, mutmaßt Molden. „Er war ganz besonders drauf aus, daß der Anschluss nicht aufrecht bleibt.“ Denn die Engländer hatten ja noch von einem süddeutschen Staatengebilde bis hinunter zur Adria geträumt. „Das wollte Molotow nicht. Die Amerikaner haben voll mitgezogen, weil Franklin D. Roosevelt Österreichs Freund war. Was nicht zuletzt auf Otto von Habsburg und dessen intensives Lobbying in den USA zurückzuführen ist.“

Der Freund Klemperer

Dann gab es in Washington ein paar junge Leute, darunter Klemens von Klemperer. Seine Familie waren Bankiers in Deutschland, sie schickten ihn schon 1933 zum Studium nach Wien. Er wurde im Haus der Eltern Molden/Preradović auf der Hohen Warte wie ein Adoptivsohn behandelt. „Dann war da die jüdische Brauereifamilie Kuffner (Ottakringer), die hatte an der Ecke Billrothstraße/Peter-Jordan-Straße eine riesige Villa, die ist erst in den Sechzigerjahren niedergerissen worden – die Kuffner-Villa. Dort hat der Klemens gewohnt. Und ich habe ihn kennen gelernt, als sich der katholische Bund Neuland in Nazis und Nicht-Nazis aufgespalten hatte.“

Der Bund Neuland

Zu den Nazi-Gegnern, erzählte Molden, gehörte der Leiter des Seelsorgeinstituts, Karl Rudolf. Durch die Neuland-Bewegung und deren Spaltung wurde das Graue Freikorps, eine studentische Gruppe, gegründet. Helmut Jörg war der Gründer, er endete im KZ. Und der kannte wieder Guido Zernatto. „Das Graue Freikorps wurde zu einer ziemlich militanten Organisation gegen die Nazis. Mein Bruder Otto war Fähnleinführer in Döbling, mein Fähnleinführer war der Klemens Klemperer. Im Sommer 1938 hatten wir in Partennen unsere erste Widerstandsaktion: Ein Training in den Bergen, wie wir den Hitler hinausschmeißen könnten – kein sehr erfolgreiches Unterfangen. Aber wir haben immerhin zwei Wochen später in Innsbruck mit der Hilfe des ganz frisch geweihten Bischofs Rusch, auf einer alten Abziehmaschin' Flugzetteln gedruckt.“

Die ersten Aktionen

Klemperer ging dann nach Amerika und studierte Geschichte. Er kam in einen jungen Beraterkreis im State Department, wurde dann US-Offizier, „und im Herbst 1944 habe ich ihn in Paris getroffen. Damals war ich zum ersten Mal im Alliierten Hauptquartier nach der Befreiung. Davor mußte ich immer nach Caserta fahren, ein bissl kompliziert.“

Klemperer wurde rasch ein bekannter Historiker und war einer von den Leuten, die auch politisch Einfluss hatten. „Im Oktober 1944 hat er zu mir in Paris gesagt: ,Fritz, ihr müsst's sichtbare Aktionen setzen.‘ – ,Du bist nicht der Erste, der mir das sagt.‘ – Dann hat man mir gottlob den Lemberger mitgegeben – ein Sozialist, Commandant, großer Held, von de Gaulle persönlich ausgezeichnet.“ (Ernst Lemberger, SPÖ, in der Zweiten Republik Botschafter, Anm.)

„Hunderte von Leute sind in dem letzten Dreivierteljahr aktiv geworden, die O5-Zeichen sind aufgetaucht, Brücken haben wir gesprengt. Die Kommunisten sind schon vorher fast alle im KZ umgekommen, weil die Nazis einen Spitzel im Zentralkomitee der KPÖ gehabt haben.“

Lobbying bei de Gaulle

Ein französischer Herzog und Offizier brachte Fritz Molden schließlich zu General Charles de Gaulle. „Er sagte uns, ihr müsst euch so organisieren wie das Comité français de la Libération. Aus dem entstand schließlich der Gedanke des Provisorischen Österreichischen Nationalkomitees PÖN.“

Vis-á-vis vom heutigen Heiligenstädter Pressehaus, das Fritz Molden in den Sechzigerjahren errichten ließ, gab es eine Transportfirma namens Spitz. Das gelbe palaisartige Biedermeierhaus stand noch bis Mitte der Achtzigerjahre dort. Molden: „In dem Haus war Anfang Dezember 1944 der feierliche Moment, als der Schärf und der Lemberger, der Matejka, Graf Etzdorf, der Professor Verdroß-Droßberg, die Mutter Lemberger, der Baron Georg Stillfried und der Kommerzialrat Spitz zusammentrafen. Wenn den Spitz nicht am 10. April '45 die SS am Donaukanal erschossen hätte, wäre der Julius Raab nie geworden, was er war, dann wäre nämlich Spitz Chef des neu zu gründenden Wirtschaftsbundes geworden. Er war Heimatschützer und ein sehr feiner Gewerbemann. Im Typ dem Raab sehr ähnlich. Dessen drei Söhne machten im Widerstand mit, im Haus hatte er drei Leute als U-Boote untergebracht.“

Treffen bei Baron Stillfried

Die Alliierten hatten Molden und Lemberger schon als Verbindungsoffiziere anerkannt, das PÖN ebenfalls. Im Februar fand im Haus von Baron Stillfried am Saarplatz die militärische Besprechung statt. „Den Schutz des Hauses hatte das Wachbataillon Wien übernommen. Kommandant war der Major Biedermann. Major Szokoll war nicht dabei, um nicht allzu viele Leute einzuweihen.“

Dabei war allerdings schon Oberleutnant Hans Igler, später Sportredakteur in Moldens „Presse“. „Da gab man uns eine große Karte von Wien, die wurde später in vierzig Stücke zerschnitten, damit man sie überhaupt einstecken konnte, da waren in wochenlanger Arbeit alle militärischen und industriellen Ziele drauf, damit die Alliierten endlich aufhören, die Oper zu bombardieren und das Rathaus usw.

Mit dem bin ich nach Bari gefahren, und versuchte, den General Campell, Chef der 15. Airforce, zu bewegen, dass der seinen Leuten sagt, sie sollen nicht so planlos bomben. Der hat mich fast verhaften wollen. Dann hat der General Clark für mich interveniert. Beim Abendessen mit ihm erzähle ich Trottel, ja, die Russen sind schon in Nordostungarn. Man hört, sie haben tausende Frauen vergewaltigt. Darauf erhebt sich Clark: ,If i would not know from AWD (Allen Welsh Dulles), that you seem to be o. k., i would have you arrested. You are attacking our alliies with dirty lies!‘ Ein Jahr später hat er sich entschuldigt, da war er dann der kalte Krieger. Die Anti-Nazis haben immerhin erreicht, dass die amerikanische Luftwaffe einen Befehl herausgegeben hat, dass die Wiener Innenstadt nicht mehr zu bombardieren sei.“ Da war es freilich schon April 1945.

Verhandlungen mit den Russen

„Später habe ich auch Verbindung aufgenommen mit einem russischen General im alliierten Hauptquartier, einem General Susloparow, und mit dem haben wir die Aktion Szokoll, Käs und andere eingefädelt, damit die über Wolkersdorf quasi von hinten nach Wien kommen. Auf jeden Fall haben wir schon ab Oktober '44 mit den Russen direkt verhandelt. Die Russen waren sehr schlau“, meinte Molden. „Die haben sich einerseits den Koplenig, Fischer und den ,Sacharin-Rubel‘, wie wir den Zucker-Schilling genannt haben, warmgehalten – das war der letzte Rest vom Schützenfest, der nicht von Stalin liquidiert worden war. Auf der anderen Seite haben sie aber mit uns verhandelt.“ Die nachträglichen Behauptungen, die Alliierten hätten gar nicht gewusst, dass es in Österreich einen Widerstand gegeben hat, sei „Blödsinn“, sagte Molden in dem Interview.

Doch was nun noch bevorstand, das war der blutige Endkampf um Wien im Frühjahr 1945. Den wollen wir im kommenden Jahr beschreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2014)

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