Krebs und Prominente: Kriegsrufe gegen den Tumor

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser auf Facebook
Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser auf Facebook(C) FB/ Sabine Oberhauser
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Nicht nur die Gesundheitsministerin trotzt dem Krebs mit abrasierten Haaren, die weibliche Glatze wird zur Protestgeste: Über den „Krieg“ gegen den Krebs und den Drang der Öffentlichkeit nach Helden.

Regisseur Christoph Schlingensief hat es vor ein paar Jahren getan, Neurologe Oliver Sacks vor ein paar Tagen; Autor Henning Mankell tat es ebenso wie „News“-Journalist Kurt Kuch und Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Nun ist es Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser, die öffentlich über ihre Krebserkrankung spricht – und mit einer starken Geste beeindruckt: Durch das Abrasieren der Haare ist sie zumindest in einem Punkt dem Krebs zuvorgekommen. Mit dem „selber Hand anlegen“ habe sie „wieder die Herrschaft über mein Aussehen gewonnen“, kommentiert sie ihr neues Aussehen auf Facebook.

So wenig ist oft nötig, um aus der Not eine Tugend zu machen, aus dem Leiden ins Tun zu wechseln. Dass Oberhausers Geste der Rebellion gerade mit Haaren verbunden ist, passt da sehr gut. Haare durch die Hand anderer zu verlieren, galt immer als Strafe, als Demütigung (unvergessen das Bild von „Ryans Tochter“ im gleichnamigen Film von David Lean, der die Dorfbewohner wegen ihrer Beziehung zu einem feindlichen Soldaten die Haare scheren). Durch die Bilder von kahlgeschorenen Gefangenen in Arbeits- und Konzentrationslagern ist der Strafcharakter auch heute noch tief ins kollektive Gedächtnis geprägt.

Der Gegenpol dazu sind etwa die Skinheads oder Sinéad O'Connor: Sich selbst die Kopfhaare zu entfernen, ist ein kriegerischer Akt, eine (Selbst-)Herausforderung, die auch der Abgrenzung dienen kann. Bei Frauen wirkt es noch provokanter. Männer wirken laut Studien ohne Haare männlicher, dominanter, furchteinflößender, ein Telly Savalas konnte die Glatze zu seinem Markenzeichen machen; Frauen haben es viel schwerer, sich ohne Haare zu präsentieren.

„Schönste“ Deutsche: Sam ohne Haare

Doch es wird leichter. Vielleicht wirken die immer zahlreicheren Bilder von hübschen weiblichen Hollywoodstars, die sich für Filmrollen scheren lassen. Oder Stars wie Britney Spears, die ihren Fans plötzlich haarfrei entgegentrat. Weibliche Kahlköpfigkeit schockiert jedenfalls nicht mehr wie früher. Der beste Beweis ist gerade aus der Casting-Show „Deutschlands schönste Frau“ hinausgewählt worden. Dort wird nicht nach der im herkömmlichen Sinn „Schönsten“ gesucht, sondern nach einer Frau, die zugleich „Persönlichkeit, Ausstrahlung“ hat. Die 30-jährige Sam, die seit der Kindheit an kreisrundem Haarausfall litt und ihre Haare dann ganz entfernte, war der Liebling des Publikums, ihre Abwahl durch die übrigen Kandidaten löste Entrüstungsstürme aus.

Aber dass die weibliche Glatze „hoffähiger“ wird, kommt auch von einem neuen weiblichen Umgang mit dem Krebs. Samantha aus „Sex and the City“ habe sie inspiriert, schrieb Sabine Oberhauser auf Facebook – die Szene, wo sich die an Brustkrebs Erkrankte am Rednerpult entnervt die Perücke herunterreißt, woraufhin etliche Frauen im Publikum es ihr gleichtun. Die demonstrativ gezeigte weibliche Glatze wird hier zur Kriegserklärung gegen den Krebs beziehungsweise den gesellschaftlichen Umgang mit der Krankheit, und zur Solidaritätsgeste.

Diese Solidarität kommt längst nicht mehr nur von Kranken. Als die Südafrikanerin Gerdi McKenna an Brustkrebs erkrankte, rasierten sich 2014 elf Freundinnen ihr zuliebe ebenfalls die Haare und stellten Fotos von ihren kahlen Köpfen ins Internet. In Irland nahmen im selben Jahr über 600 Frauen an einer Aktion zugunsten krebskranker Kinder teil, indem sie sich die Haare abrasieren ließen – um nur zwei von vielen Beispielen der letzten Zeit zu nennen.

Das erfordert Mut. Auch Sabine Oberhauser wird jetzt für ihren Mut gelobt. Mut ist überhaupt das häufigste Lob, das an Krebs erkrankte Menschen derzeit bekommen. Von ihnen wird erwartet, dass sie gegen den „bösartigen“, „heimtückischen“ Krebs „kämpfen“, wie Oberhauser, die verkündet: „Feind erkannt – jetzt startet der Abwehrkampf!“ Auch Prammer wurde als Heroin geehrt. Sie habe „den Kampf gegen den Krebs verloren“, hieß es in vielen Nachrufen.

Früher Buße, heute Fitness

Man hat den Eindruck, dass diese Prominenten immer mehr für alle anderen „kämpfen“ müssen. Krebs zu haben, wird zur Frage der Haltung, der Moral. Das war schon früher so, aber auf andere Art. Statt des alten Glaubens, Krebs sei wie andere Krankheiten die Strafe für Sünden, kam in den 1970er-Jahren die Vorstellung auf, Krebs komme aus der Psyche, zum Beispiel von unausgelebten Gefühlen. „Man hat Krebs, weil man Krebs ist“, lautet ein schrecklicher Satz im Buch „Krankheit als Weg“. Krankheit bleibt etwas Selbstverschuldetes. „Der Krebs hat ein Gesicht, dieses Gesicht hat mit mir zu tun“, schrieb Schlingensief. Heute neigt man im populären Diskurs dennoch wieder mehr dazu, Krebs als selbstständiges „böses“ Wesen zu sehen, gegen das der Erkrankte in den Krieg ziehen muss. Aber die Schlussfolgerung ist dieselbe geblieben: Der Kranke hat Macht, er kann viel dazu tun, um nicht mehr krank zu sein: Fitness betreiben, gesund essen, positiv denken und so weiter.

Deswegen beeindruckt die „Haare ab“-Geste der Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser wohl auch so, deswegen wird auch die Sprache gern so kriegerisch, wenn es um den Krebs geht. Als die alten Griechen den Tumor nach dem Aussehen der Geschwüre „karkínos“ nannten, ahnten sie nicht, wie viel angstbesetzte Fantasien diese Vertierlichung im 21.Jahrhundert auslösen würde. Keine Krankheit ist in der Öffentlichkeit so präsent wie diese, noch dazu, weil sie langsam verläuft, dadurch das Sterben und den Tod ins Bewusstsein zwingt. Kein Wunder, dass die Menschen so sehr nach Helden im „Kampf gegen den Krebs“ lechzen. Krebs heißt einfach Angst, heißt Tod.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2015)

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