Pop-up-Restaurant: Krumme Karotten im Hallenbad

Tobias Judmaier
Tobias Judmaier(c) Katharina Roßboth
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Iss mich! verkocht während des Europäischen Forums Alpbach Gemüse, das für den Handel nicht gut genug ist. Auch Asylwerber helfen mit.

Doch, hier darf gegessen werden– auch, wenn der rote Schriftzug an der Wand des stillgelegten Hallenbads in Alpbach anderes besagt. Es soll sogar. Und es wird auch gegessen. In der Küche der früheren Hallenbadkantine in dem Tiroler Bergdorf, das wegen des Europäischen Forums dieser Tage voll von Menschen aus aller Welt ist, schlichten fünf junge Leute gerade die letzten Gabeln, Teller und Weckgläser in den Geschirrspüler. Linseneintopf, griechische Riesenbohnen, Zucchininudeln, Karottensuppe: Alles, was heute da war, ist aufgegessen. Das ist auch gut so: Aufessen statt wegwerfen ist immerhin das Motto des Wiener Catering-Start-ups Iss mich!, das hier drei Wochen lang ein Pop-up-Restaurant betreibt.

Was eine einmalige Sache bleiben wird, wenn man das Ächzen von Chef Tobias Judmaier richtig interpretiert, der gerade alles für den Abend vorbereitet. Nein, ohne Spaß: Tatsächlich ist die Idee des Forums Alpbach, dass der sogenannte Off-Space, wie das Hallenbad genannt wird, jedes Jahr anders bespielt wird. Den Auftakt machte vor zwei Jahren das (inzwischen sesshafte) Pop-up-Kaffeehaus Vollpension. Judmaier und Iss mich! sind heuer mehr als ein Restaurant: Die Lebensmittelverschwendung wird im Hallenbad in einer ganzen Reihe von Diskussionen und Veranstaltungen thematisiert.

„Den Bauern blutet das Herz“

Gegen das Wegwerfen anzutreten ist der Kern von Iss mich!, das Judmaier vor drei Jahren gegründet hat und das im Vorjahr bei der Austria-Gala von Lesern der „Presse“ in der Kategorie Humanitäres Engagement ausgezeichnet wurde. „Täglich werden unfassbare Mengen an Gemüse aussortiert“, sagt Judmaier. Da Kohlrabis zu groß, Karotten zu klein und krumm sind oder Kartoffeln bei der Ernte Schrammen bekommen haben, werden sie zu Biogas oder Tierfutter verarbeitet oder wieder ins Feld hineingepflügt. „Den Bauern blutet das Herz, wenn sie jeden zweiten Salatkopf auf dem Feld stehen lassen müssen.“

Lieber also geben sie das unverkäufliche Gemüse – meist gratis – an Judmaier weiter, der es dann zu – meist vegetarischem, oft veganem – Essen verkocht. In Alpbach hat er bisher rund 200kg vom Schotthof, dem größten Tiroler Landwirt, bekommen. Mehr folgt. Lebensmittelabfälle zu reduzieren ist aber nicht der einzige Anspruch, den „iss mich!“ hat. Verwendet wird Biogemüse. In Wien – wo Lieferservice und Catering angeboten werden – werden Frauen aus den Mutter-Kind-Häusern der Caritas beschäftigt. Geliefert wird so weit als möglich mit dem Fahrrad.

In Alpbach helfen in der Küche drei Asylwerber mit, die in einer Nachbargemeinde untergebracht sind. Das habe sich spontan entwickelt, erzählt Judmaier: Die Arbeit sei mit seinem kleinen Team kaum zu bewältigen gewesen – und so habe man mit der Gemeinde diese Idee entwickelt. Tatsächlich ist der Ansturm enorm. Die 150 bis 200 Portionen pro Tag werden eigentlich immer aufgegessen. Was vielleicht auch an der Location liegt – die mit ihrem Retrocharme ein Paradies für die Hipster unter den Forumsteilnehmern ist: der braungrüne Fliesenboden, die Bank mit dem orange karierten Samtbezug – kombiniert mit den Hockern aus Pappe, die mit Tapeten von Vivienne Westwood aufgemotzt sind (die kommende Woche beim Forum spricht) – und die weißen Bretter an der Wand, von denen eine Reihe lustiger Fotos herunterschaut. Die Kampagne von Iss mich, für die sich allerhand Forumsteilnehmer von Präsident Franz Fischler abwärts mit krummem Gemüse ablichten ließen: Fischler mit einem (zu großen) Kohlrabi.

Luft ist auch ein Lebensmittel

Die Kunstinstallation im eigentlichen Hallenbad, dem sogenannten Waldbad – verschiedenste Bäumchen und Bäume, die im ausgelassenen Schwimmbecken stehen –, gehört übrigens thematisch dazu, auch wenn es auf den ersten Blick nicht ganz passt. Die Idee dahinter: Luft ist auch ein Lebensmittel. Mit Luft wird oft schlampig umgegangen – und das Waldbad produziert sozusagen Luft zum Atmen.

AUF EINEN BLICK

Iss mich! führt das stillgelegte Hallenbad in Alpbach (Tirol) während des Europäischen Forums als Pop-up-Restaurant. Die Idee ist, Gemüse zu verkochen, das es etwa aus ästhetischen Gründen nicht in den Handel schafft. Außerdem läuft im Hallenbad die Ausstellung „Waldbad – Air Is Food“, die Luft als Lebensmittel thematisiert. Iss mich! ist sonst in Wien als Liefer- und Cateringservice tätig. 2014 war Gründer Tobias Judmaier für die Auszeichnung Österreicher des Jahres der „Presse“ nominiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2015)

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