Werner Herzog: "Meine Filme sind Einbrecher"

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Er hat "Fitzcarraldo" gedreht und den Bösewicht in "Jack Reacher" gespielt. Der vielseitige Deutsche Werner Herzog überrascht immer wieder. Ein Gespräch über seinen neuen Gertrude-Bell-Film und die Selfpromotion von Lawrence von Arabien.

Er ist seit den frühen 1960er-Jahren als Filmemacher aktiv, hat den Neuen Deutschen Film maßgeblich beeinflusst, Klassiker wie „Fitzcarraldo“ oder „Aguirre, der Zorn Gottes“ geschaffen – und ist sich auch mit über 70 Jahren nicht zu gut, um immer wieder etwas Neues auszuprobieren. Er synchronisiert für Zeichentrick („Die Simpsons“ oder „Die Pinguine aus Madagaskar“), spielt einen Blockbusterbösewicht (in „Jack Reacher“) und macht viel beachtete Dokumentationen über das US-Todesstrafensystem („On Death Row“). Nun erzählt er, mit Nicole Kidman in der Hauptrolle, die Geschichte der Gertrude Bell, die nach dem I.Weltkrieg die politische Neugestaltung des Nahen Ostens nachhaltig mitbeeinflusste.

Sie haben mit „Königin der Wüste“ Ihren ersten Film über eine Frau gedreht. Wie kam es dazu?

Werner Herzog: Durch einen Freund und Produzenten bin ich auf Gertrude Bell gestoßen und habe mich mit ihren Briefen und Tagebüchern beschäftigt. Und ihre Stimme, die durch diese Schriften klang, hat mich mit großer Vehemenz gepackt – und ich wusste, dass ich daraus etwas machen müsste. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch gar nicht realisiert, dass es mein erster Film sein würde, bei dem eine weibliche Protagonistin im Mittelpunkt stehen würde. Erst später wurde ich darauf aufmerksam gemacht, und als ich darüber nachdachte, musste ich feststellen, die Leute haben recht, und ich hätte das wahrscheinlich schon viel früher in meinem Leben machen sollen. Ich kann gut mit Frauen arbeiten.

Rückblickend betrachtet: Warum waren Sie bisher so männerzentriert?

Das kann ich nicht sagen. Sie sollten diese Frage jemandem stellen, der an Karriereplanung interessiert ist. Aber ich hatte nie eine Karriere in dem Sinn. Karriere bedeutet, dass man Schritt für Schritt im Voraus plant, seine Laufbahn zielgerichtet aufbaut. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Meine Filme sind immer auf mich zugekommen, ein bisschen so wie... (überlegt), so wie Einbrecher. Man wacht am Morgen auf und hört irgendwelche Geräusche aus der Küche. Man steht auf, und auf einmal steht man fünf ungebetenen Gästen gegenüber. Alles Einbrecher – und einer stürzt mit großem Nachdruck auf dich zu. Mit demjenigen musst du dich zuerst auseinandersetzen. Und so gehe ich auch mit meinen Filmen um. Ich frage nicht, ob der Einbrecher männlich oder weiblich ist, Mexikaner oder weiß Gott was.

„Königin der Wüste“ ist vielleicht auch Ihr bisher romantischster Film.

Ich wusste, dass es um Sehnsucht gehen müsste. Es sollte ein Film über Sehnsucht sein, über den Raum und die Poesie der Einsamkeit und der Sehnsucht. Und natürlich dreht es sich auch um zwei tragische, tiefe Liebesgeschichten. Also ja, damit wollte ich mich beschäftigen, mehr als ein Prüfer historischer Zusammenhänge zu sein. Man endet sonst schnell als Buchhalter, aber ich bin ein Geschichtenerzähler, ein Filmemacher. Zu meiner eigenen Überraschung ist mir das sehr leicht von der Hand gegangen, und ich habe mich auch nicht darum gekümmert, was die Leute denken würden.

War es für Sie schwierig, diesen Film zu machen angesichts des langen Schattens, den „Lawrence von Arabien“ wirft?

Aber nein, da gibt es keinen Schatten. Ich mache meinen Film, und er wird alles in den Schatten stellen (lacht). Nein, mit solchen Fragen setze ich mich nicht auseinander. Ich habe geradlinig einen Film mit einer großartigen Schauspielerin über eine großartige Frau gemacht, die von unserem kollektiven Bewusstsein stiefmütterlich behandelt wird. Klar wurde Bell historisch gesehen von Lawrence von Arabien in den Schatten gestellt, der sehr gut in der Selfpromotion war und meist seinen eigenen Hagiografen um sich hatte.

Hat Nicole Kidmans Starstatus die Sache einfacher oder schwieriger gemacht?

Ach, ich habe über die Jahre immer wieder mit großen Hollywood-Stars gearbeitet: Christian Bale, Donald Sutherland, Tim Roth, Nicolas Cage, Claudia Cardinale, wem auch immer. Das ist für mich nicht wesentlich, ich will immer nur mit den Besten arbeiten, ob die Stars sind, ist mir vollkommen egal. Ich bekomme auch ständig Angebote von Stars, die ich ablehne. Richard Gere wollte mich ewig quasi zu seinem persönlichen Regisseur machen. Er wollte ja tatsächlich auch, dass ich damals „Pretty Woman“ mache, ich schwöre!

Steckbrief

Geboren in Bayern.
Werner Herzog (Jg.1942) stammt aus Bayern und wuchs in einem Dorf nahe der Grenze zu Österreich auf. Seine Mutter (geborene Stipetić) kommt aus einer kroatischen Offiziersfamilie. Sein Großvater väterlicherseits war ein nicht unbekannter Archäologe.

Werk.
Herzog gilt als bedeutender Vertreter des Neuen deutschen Films. Auch in Hollywood war er erfolgreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2015)

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