Männer-Mythos: Von wegen "sexy old man"

George Clooney
George Clooney(c) AP (Joel Ryan)
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Berlusconi! Briatore! Männer, so heißt es, werden erst mit dem Alter so richtig attraktiv. Ein Mythos, der schütterem Haar und faltigen Gesichtern zum Trotz immer noch funktioniert. Obwohl er einfach nicht stimmt.

Noemi Letizia würde vermutlich mit einem „Ja“ antworten. Ja klar, Männer werden erst so richtig interessant, wenn sie richtig alt sind. So in etwa 72. Wie der italienische Premier Silvio Berlusconi, dem eine Affäre (jedenfalls eine fragwürdige Beziehung) mit Letizia nachgesagt wird. Die Schülerin ist eben 18 Jahre alt geworden, hat Berlusconi also noch nie wählen dürfen, nennt den Premier aber zärtlich „Papa“ (was er vielleicht auch ist, wie Medien spekulieren), er könnte aber genauso gut ihr Großvater sein. Oder aber ihr Liebhaber.

Jedenfalls, seien wir uns ehrlich, ist er ein alter Mann, was Haartransplantationen und Gesichtsstraffungen maximal minimal korrigieren können. Liebe Noemi, liebe andere minderjährige Mädels, mit denen Berlusconi laut seiner Nochehefrau „verkehrt“ (und deretwegen ihm nun die Scheidung ins Haus steht): Den könnt ihr doch nicht wirklich sexy finden! Und wenn wir gerade dabei sind: Flavio Briatore, 59, der mit einer 30 Jahre jüngeren Ehefrau an der Hand herumläuft, doch bitte auch nicht. Oder gar Richard Lugner, dessen wechselnde Mausis stets drei, vier Jahrzehnte jünger sind. Ganz zu schweigen von den nicht prominenten sogenannten „Silberrücken“ (ein Ausdruck, der übrigens von der grauen Rückenbehaarung alter Berggorillamännchen kommt, womit eigentlich schon alles gesagt wäre), die einem tagtäglich ins Blickfeld laufen.

Wer hat eigentlich diese schier unauslöschbare These aufgestellt (wenn man raten müsste: sicher ein Mann), derzufolge Männer erst mit zunehmendem Alter so richtig attraktiv, physisch anziehend, ja: sexy werden? Und wieso hält sich diese Mär immer noch, da uns zerknitterte Gesichter und Hälse, dünnes oder fragmentarisch vorhandenes Haupthaar, Bierbäuche, mal runder, mal flacher, und faltenbedeckte Knie so offensichtlich das Gegenteil beweisen? Da braucht man gar nicht so unfair sein und die Potenz und deren altersbedingte Probleme ins Spiel zu bringen: Die Gleichung „Mann + alt = sexy“ stimmt so einfach nicht.

Wenn da nicht George Clooney wäre. Der ist eben 48 geworden ist, man sieht ihm das auch an. Und das Altern tut ihm ziemlich gut. Vor allem im Vergleich zum jungen vollbelockten Clooney bei den „Golden Girls“ anno 1987.

Womit die These „Alter macht Männer sexy“ aber nicht bestätigt wäre, denn, wie Karl Grammer, Verhaltensforscher an der Uni Wien sagt: „Es ist nicht so, dass Männer mit dem Alter optisch attraktiver werden. Was uns auffällt, sind doch nur die Ausnahmen.“ Und davon gibt es gar nicht so viele. Fragt man Attraktivitätsforscher, nennen die stets dieselben zwei Beispiele. Clooney, klar. Und Sean Connery, der mit 69 zum „sexiest man of the century“ gewählt wurde, heute aber, mittlerweile haarlos, wirklich alt aussieht. Das ist mit 79 zwar okay, aber Glatzen seien nun einmal „eindeutig unattraktiv“, sagt Martin Gründl, Attraktivitätsforscher an der Universität Regensburg. (Ja, da gibt es auch eine Ausnahme. Aber Bruce Willis ist eben Bruce Willis, und die Frisur allein macht es auch nicht.) Und sonst? Dem Status der Herren Redford, Brosnan, Gere als „schöne Männer“ muss man heute leider ein vormals voranstellen.

Im Schnitt unattraktiver.Und wenn die Beispiele älterer Schönlinge in der glamourösen Starwelt schon rar sind, sucht man die hübschen, alten Säcke im realen Leben natürlich noch vergeblicher. Laut Gründl, der Schönheitskriterien erforscht hat, gibt es keine Studien, die belegen, dass Männer mit dem Alter physisch attraktiver werden. „Im Durchschnitt“, sagt er, „sind ältere Männer unattraktiver als junge. Und zwar eindeutig“. Wussten wir's doch. Die Sexual- und Paartherapeutin Sonja Kinigadner meint, „dass wahnsinnig viele Männer mit dem Alter doch furchtbar fad werden“. Sprich: auch sexuell unattraktiv. Und die „grauen Haare und Falten machen sie dann auch nicht interessanter“.

Womit aber das Phänomen, dass ebendiese grauhaarigen Männer nicht selten junge Frauen an der Hand und im Bett haben (Kinigadner: „Ich habe in der Therapie Unmengen solcher Konstellationen erlebt“), noch nicht erklärt wäre. Der Vaterkomplex, lange die Erklärung Nummer eins, gilt heute als überholt, so Gründl. Das stimme vermutlich nicht einmal bei Schülerin Noemi und Senior Berlusconi, sagt der Psychologe Klaus Sejkora. Vielmehr sei das „grenzenlose pubertäre Naivität und der Glaube an eine Selbstaufwertung durch einen mächtigen Mann“. Um den Mythos vom attraktiven alten Mann zu verstehen, müsse man den Begriff „attraktiv“ nämlich großzügiger interpretieren. Oft seien ältere Männer zwar nicht „optisch“ attraktiv. Aber ihr Geld (Berlusconi!), ihre Macht (Berlusconi!), ihr Erfolg (und wieder: Berlusconi!) wiegen die abnehmende körperliche Attraktivität, so sie überhaupt je vorhanden war, auf.

Die Frau als Statusjägerin? Immer noch? Klingt schwer nach Klischee, ist aber so, sagen die Experten unisono – und sind darüber durchaus selbst überrascht. Die Verhaltensforschung, sagt Grammer, sei davon ausgegangen, dass Frauen in der modernen Gesellschaft, in der sie selbst einen hohen Status erreichen können, Männer nicht mehr nach deren Status und Erfolg auswählen würden. „Das ist aber nicht der Fall.“ Auch Frauen, die selbst zu Karriere und Geld kommen (Gründl: „gerade die“), suchen „immer noch einen guten, erfolgreichen Jäger“. Was die Vermutung nahelege, dass die Merkmale, nach denen wir Partner auswählen, genetisch veranlagt seien. Genau weiß man das aber nicht: Das Gebiet ist noch nicht ausreichend erforscht.

Wer nicht glauben will, dass Geld und Macht die einzigen Gründe sind, für die Frauen faltige Gesichter in Kauf nehmen, für den hat Psychologe Sejkora eine andere Erklärung. „Ganz banal gesagt: Männer werden einfach später erwachsen.“ Daher seien gleichaltrige Männer oft für „junge, intelligente Frauen“ nicht interessant. Smart und faltig statt unreif und glatt, sozusagen. Das klingt zugegebenermaßen irgendwie plausibel. Denn: Wenn man zwischen Bruce Willis (54) und Ashton Kutcher (31) wählen könnte: Wer würde sich da schon wie Demi Moore entscheiden? Die meisten (erwachsenen) Frauen wohl nicht. Was daran liegt, so Sexualtherapeutin Kinigadner, dass „viel in ältere Männer hineinfantasiert wird: Etwa, dass sie sexuell ein größeres Repertoire haben“. Das mag bis zu einem gewissen Grad auch stimmen, wird aber spätestens dann problematisch „wenn die 40-jährige Frau ihren dementen Gatten pflegen muss“, wie Sejkora sagt. Das sexuelle Repertoire ist dann eher kein Thema mehr.

Werbung? Ohne alte Männer. Die Werbebranche jedenfalls setzt nicht auf den Mythos des attraktiven reifen Mannes. Zwar sind ältere Männer „in der Werbung schon immer vorgekommen“, so Marco de Felice von der Werbeagentur „Dirnberger de Felice Grüber“. „Aber fast ausschließlich für Produkte für ebendiese Zielgruppe.“ Also etwa für Mittel gegen Haarausfall, Vitamintabletten. Für „jüngere“ Produkte kommen alte Männer nicht infrage, sagt de Felice. Findet sich doch ein älterer Prominenter als Werbeträger, dann deswegen, „weil er prominent ist, und nicht, weil er alt ist“. Siehe Dieter Bohlen und Becel. Wenn schon alt, dann müsse er „Produktrelevanz“ haben. Für Nespresso wurde ein nicht mehr ganz junger „witziger, fescher Hollywoodstar, der auch in Italien lebt,“ verpflichtet. Genau, George Clooney. Der, der den Mythos vom „sexy old man“ weiterleben lässt. Fast im Alleingang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2009)

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