Social-Media-Berühmtheiten: Keine Lust mehr auf Likes

(C) Facebook/ Essena O'Neill
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Ist das auch wieder nur so ein Trend? Plötzlich rechnen Social-Media-Berühmtheiten wie die Australierin Essena O'Neill mit der Scheinwelt auf Instagram ab.

Vergangenen Sonntag hatte sie 600.000 Fans auf Instagram, 250.000 auf YouTube. Das sind Zahlen, von denen so manches weltweit agierende Unternehmen nur träumen kann. Die 19-jährige Australierin Essena O'Neill ist ein Star in den sozialen Netzwerken. Doch jetzt kam der Sinneswandel, sie hat vom Social-Media-Ruhm genug: Anfang der Woche löschte sie all ihre Profile auf den diversen Kanälen und möchte mit der Website „Let's Be Game Changers“ ihre alte, seit ihrem 15. Lebensjahr mühsam aufgebaute, glamouröse Instagram-Persönlichkeit gegen Themen wie Veganismus, Gender-Gleichheit und Nachhaltigkeit eintauschen. „Ich war süchtig nach Likes. Ich war in Wirklichkeit süchtig nach der Idee, von anderen gemocht zu werden, und überzeugte mich selbst davon, dass wenn ich erst einmal auf Facebook berühmt bin, ich für immer glücklich sein würde“, schreibt sie auf ihrer Website.

Nach einigen Jahren offenbarte die Scheinwelt, was sie wirklich war: nicht wahr. „Social Media ist nicht real. Es ist ein System, das auf soziale Anerkennung, Likes und Dislikes, Erfolg in Followers zielt. Es ist eine perfekt inszenierte Beurteilung.“ Dass es sich bei Instagram-Fotos oft nicht um Schnappschüsse handelt, sondern um perfekt komponierte Bilder, dürfte aber kein Geheimnis mehr sein. Immerhin sind Social-Media-Kanäle für die Webberühmtheiten längst eine wichtige Einnahmequelle, womit auch eine Professionalisierung einhergeht, die keinen Platz für Zufälligkeiten und schlechte Bildkompositionen hat. Auch O'Neill bestätigt, für ungezwungen wirkende Aufnahmen bis zu 100 Mal posiert und für ein Foto bis zu 1300 Euro bekommen zu haben.

Die österreichische Bloggerin Madeleine Alizadeh alias Daria Daria ließ sich von ihrer australischen Kollegin inspirieren. Unter dem Hashtag #truthfullydariadaria postet sie nun eine Woche lang ungekünstelte Bilder. Ganz ohne Inszenierung und Filter will sie so einen Blick hinter die Kulissen gewähren und mehr Authentizität in ihren Instagram-Channel bringen.

Bei genauerem Hinsehen lässt sich schon länger ein kleiner Authentizitätstrend unter Modebloggerinnen und Instagram-Queens erkennen. Mit der Social-Media-Scheinwelt hat sich etwa auch Mirjam Herms auseinandergesetzt und vor einem Jahr ihren Blog „Chic und schlau“ gelöscht, einen der erfolgreichsten in der Schweiz. Sie selbst habe die Modewelt immer kritisch betrachtet und sich für „besonders schlau und frei denkend“ gehalten. Obwohl sie sich nie als Modebloggerin wahrgenommen habe, wurde sie als solche bezeichnet. Schließlich habe sie realisiert, dass sie auch nur ein kleines Rädchen in der Modeblogger-Maschinerie ist. „Egal, wie originell und ironisch ich mich von dieser Mode bloggenden Masse abheben möchte. Ich bin ein Teil von diesem Geschäft. Und ich verabscheue es“, schreibt sie auf ihrem neuen Alltagsblog „Little Adventures“. „Ich habe mich zu Hause an den Rechner gesetzt und meinen Blog gelöscht.“

Ehrlich währt am längsten, dachte sich auch die britische Beauty-Bloggerin Em Ford im Frühjahr und schminkte sich öffentlich ab. Sie leidet an Akne und wollte betroffenen Frauen Mut machen und Tipps geben, wie sie die Entzündungen verdecken können. Bloggerin Cassandra Bankson wurde schon 2012 mit der gleichen Idee berühmt. Auch sie hatte schlechte Haut, stellte Schminkvideos via YouTube online und lief danach für „Boy meets Girl“ auf der New Yorker Fashion Week. Geschminkt, natürlich.

„Du siehst ekelhaft aus“

Die Offenlegung von Fords gefälschter Welt und ihrer schlechten Haut kam aber nicht nur gut an. Eine Welle verletzender Kommentare überrollte sie auf Instagram. Ihr Gesicht wurde als abscheulich und hässlich bezeichnet. Den anonymen Trollen antwortete sie mit dem Video „Youlookdisgusting“ („Du siehst ekelhaft aus“). Es zeigt sie in natura, dazu fliegen Hassposts durch das Bild. Der Clip wurde binnen weniger Tage fünf Millionen Mal angeklickt. „Ich wollte einen Film schaffen, der zeigt, wie die sozialen Medien unrealistische Erwartungen schüren, sowohl an Frauen als auch an Männer“, schrieb Ford danach in ihrem Blog. „Wir sind es gewohnt, uns mit unrealistischen Schönheitsidealen zu vergleichen.“ Das tut uns nicht gut. Warum überblenden, wenn es sie doch gibt: die Pickel, die abgenagten Fingernägel, das Schamhaar. Die kanadische Fotografin Petra Collins hatte für die geschönte Darstellung junger Frauen – wie sie selbst eine ist – auch noch nie etwas über, mit ihren Fotos hält sie dagegen. Die Idee hinter ihrer Bildästhetik: die Wirklichkeit aus Sicht von Mädchen zu zeigen.

Damit gehört sie zu den ungefilterten Siegerinnen der Generation Instagram. In der Währung, in der man dort bezahlt, ist sie reich: über 200.000 andere Instagrammer folgen ihr. Neben den Ausstellungen, an denen sie mit ihren Fotos teilnahm bzw. kuratierte, fotografiert die „pensionierte“ Tänzerin für große Magazine wie „Vice“, den „Rolling Stone“ und „Vogue Italia“. Außerdem entwarf sie eine T-Shirt-Kollektion für American Apparel, drehte Filme und veröffentlichte im September einen Bildband. „Discharge“ ist eine provokative Arbeit über die weibliche Sexualität in der Jugend in einer hypersexualisierten, von Schönheit besessenen Gesellschaft. 2016 erscheint ihr nächstes Buch, „Babe“, bei Random House, es zeigt 30 Arbeiten junger Künstlerinnen, die an der Revolution der „Girl Power“ arbeiten – auch auf Instagram.

Letztlich geht es also – ob geschminkt oder ungeschminkt – immer noch um das Geschäft und die Vermarktung der eigenen Persönlichkeit. Spannend wird, ob und wie junge Frauen wie Essena O'Neill auch ohne Inszenierung auf Dauer erfolgreich sein können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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