Der Flüchtlingsherbst in Bildern

Florian Rainer dokumentiert den Flüchtlingsherbst als „zeithistorisches Ereignis“.
Florian Rainer dokumentiert den Flüchtlingsherbst als „zeithistorisches Ereignis“.(c) Florian Rainer
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Zwischen Nickelsdorf und Dusika-Halle: Florian Rainer dokumentiert in einem Fotobuch den Herbst 2015 in Österreich. Der Erlös wird gespendet.

Ein graues, voll besetztes Boot auf blauem Meer, jemand hängt erschöpft über der Reling, ein Mensch stürzt gerade ins Wasser, ein dritter versucht zu schwimmen. Zwei andere sind schon untergegangen.

Es ist das Foto einer Kinderzeichnung, das Florian Rainer seinem Buch vorangestellt hat. Einer Kinderzeichnung, die in diesem Herbst irgendwo in Österreich entstanden ist. Gefolgt von der Geschichte von Hakeem Abdullah. Der junge Palästinenser ist im Flüchtlingslager Al Yarmuk in Damaskus aufgewachsen. Später war er mit 1500 Menschen in Syrien inhaftiert, weil er die Konflikte fotografiert hatte. 18 von ihnen überlebten das Gefängnis. Danach, auf dem Schiff, wurden viele krank, weil das Wasser mit Benzin vermischt war. Seit August ist er in Österreich – und träumt von der Kunstuniversität.

Ganz bewusst beginnt Florian Rainer sein Buch „Fluchtwege“ mit einem Einzelschicksal – um sich dann weiterzubewegen, auf die Metaebene, um die es ihm geht. Es war Mitte September, erinnert sich der Fotograf (der für internationale Magazine, aber auch für die „Presse“ fotografiert.) Er hatte bis dahin ziemlich viel zu tun, plötzlich hatte er Zeit – „und es hat mir schon unter den Nägeln gebrannt, die Flüchtlingskrise zu dokumentieren. Weil es sich um ein zeithistorisches Ereignis handelt.“

Noch am gleichen Abend setzte er sich ins Auto Richtung Nickelsdorf. Es sollte für ihn der bis heute prägendste Moment bleiben. „Die Leute sind kreuz und quer dagelegen, ich habe zuerst gar nicht verstanden, was da los ist: Dass diese Menschen sich nach Langem zum ersten Mal sicher fühlen und so erschöpft sind, dass sie einfach schlafen müssen.“ Ab da war Rainer zwischen Nickelsdorf und „apokalyptischen Szenen“ in Spielfeld, Haupt- und Westbahnhof, Traiskirchen und Privatquartieren unterwegs, um das, was da im Herbst 2015 in Österreich vor sich ging, in Bildern festzuhalten.

„Alle Dimensionen abdecken“

Aufträge für UNHCR und Caritas öffneten ihm dabei immer wieder Türen, die sonst verschlossen geblieben wären. Besonders jene beiden großen Firmen, die viele der Lager betreiben, würden den Zutritt ohnehin quasi unmöglich machen. Mitte Oktober schließlich hatte Rainer die Idee, aus seiner Arbeit ein Buch zu machen. Innerhalb einer Woche waren die nötigen 7000 Euro per Crowdfunding finanziert, mit der Hilfe von Sponsoren kam weiteres Geld dazu. Ergänzt werden die Fotos durch eine Collage von Texten, die „möglichst viele Dimensionen abdecken sollen“. Da liest man Werner Faymanns Facebook-Posting und die Kommentare darunter (inklusive des kompletten Meinungsspektrums) ebenso wie ein nüchternes Zahlenstück. Autorin Stefanie Sargnagel, die bis dahin gern über die „Refugee McMoments“ so mancher Helfer lästerte, beschreibt, wie sie im Auto Flüchtlinge aus Ungarn nach Wien brachte. Auch von „Presse“-Kolumnistin Sibylle Hamann und „Presse“-Redakteurin Eva Winroither stammen Texte. Die Thematik sei zu komplex, um sie nur mit Bildern zu erzählen, glaubt Rainer. „Ein Reportagefoto ohne Text ist kein Reportagefoto.“

Beobachtet hat Rainer, ein Soziologe, „ein großflächiges Verlassen auf die Freiwilligen“. Die Leistung etwa des „Train of Hope“-Teams sei unglaublich gewesen. „So eine soziale Bewegung hat es in Österreich seit Jahrzehnten nicht gegeben. Sie haben die Situation gerettet.“ Das große Glück der Politiker sei auch gewesen, dass Österreich zu weiten Teilen nur Transitland blieb. Dass heuer rund 80.000 neue Asylwerber dazugekommen sind, sei trotzdem viel. „Man wird sehen, welche Lösungen gefunden werden, wie die Menschen verteilt und integriert werden.“ Wie prekär die Lage immer noch ist, zeigt das letzte Kapitel. Da geht Rainer noch einmal auf individuelle Schicksale ein – und fotografiert Familien „vor ihrem Habitat“: ihren mit Tüchern notdürftig verhängten Schlafplätzen in der Wiener Sport & Fun Halle Dusika.

Dass wenige Tage vor Erscheinen seines Buchs just ein ähnliches erscheint, stört ihn nicht – zumal der Fokus ein ganz anderer sei. „Ich finde, man sollte beide Bücher haben, sie ergänzen sich gut.“ Zumal in beiden Fällen der Erlös gespendet wird. In Rainers Fall an Train of Hope und Ute Bock.

Zum Buch

Florian Rainer (Hg.), Fluchtwege
Der Herbst 2015 in Österreich.

Im Buchhandel und beim Verein Ute Bock, 35 Euro (davon ca. 30 Euro Spende).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)

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