Diana Damrau: "Man kann sich heute weniger erlauben"

Diana Damrau:  „Heute musst du als Sänger gegen deine eigene Aufnahme ansingen.“
Diana Damrau: „Heute musst du als Sänger gegen deine eigene Aufnahme ansingen.“ Die Presse
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"Der Druck ist heute viel größer als früher", sagt die Sopranistin Diana Damrau, die derzeit als Manon auf der Bühne der Wiener Staatsoper steht.

Derzeit sind Sie an der Wiener Staatsoper als Manon zu sehen und in Kürze als Lucia die Lammermoor in London. Reisen Ihre beiden kleinen Söhne immer mit Ihnen?

Diana Damrau: Ja, das tun sie. Mein Mann (Anm. Damrau ist mit dem französischen Sänger Nicolas Testé verheiratet) und ich haben uns entschlossen, sie immer mitzunehmen, und zwar auch über das sechste Lebensjahr hinaus.

Wie werden Sie das mit der Schule machen?

Wir haben ein französisches Homeschooling-Programm gefunden, das uns sehr gut gefällt. Der Vorteil daran ist, dass man es von überall aus machen kann. Wenn wir aber in Paris sind, dann können sie während dieser Zeit auch dort in die Schule gehen.

Wollen Sie selbst mit den Kindern lernen?

Zuerst habe ich das versucht, weil ich im Herbst ohnehin vier Wochen nicht einsatzfähig war. Aber neben meiner Arbeit schaffe ich es zeitlich einfach nicht, sie zu unterrichten. Deshalb suchen wir auch einen Lehrer, der uns auf den Reisen begleitet.

Wenn Ihre Stimme angeschlagen ist, bekommen Sie dann Angst, etwa, dass die Karriere leiden könnte?

Nein, nicht um meine Karriere. Ich muss gesund sein, weil ich zwei Kinder in die Welt gesetzt habe, für die ich Verantwortung habe. Aber ich kann mich auf meinen Körper verlassen. Er gibt mir Zeichen, wenn es zu viel wird, und auf sie höre ich. Ein Burn-out darf einfach nicht passieren.

Schlägt sich Stress auf die Stimme nieder?

Nein, wir Sänger haben ja gelernt, mit unserer Stimme umzugehen. Und meine Kinder habe ich relativ spät bekommen, als ich beruflich schon im Sattel saß. Das hat vieles einfacher gemacht, denn die Opernhäuser kannten mich schon und wussten, wie belastbar ich bin. Sonst hätten sie vielleicht die Flöhe husten gehört. Wenn einem dann noch mal zwei falsche Töne passieren, wird man nicht mehr eingeladen.

Ist Ihr „Geschäft“ tatsächlich so kompetitiv, dass kein Fehler verziehen wird.

Fehler passieren immer und überall. Allerdings ist die Wahrnehmung beim Singen ähnlich subjektiv wie beim Schauspiel. Aber es ist schon so, der Druck in unserer Zeit ist viel größer als früher.

Woran bemerken Sie das?

Heute werden immer Aufnahmen gemacht. Man lädt Leute in die Generalprobe ein, sie haben also die Ehre, zuhören zu dürfen. Und zwei Stunden später findest du alles auf YouTube und wirst mit Kommentaren zerfetzt. Das finde ich unfair. Eine Probe bedeutet ausprobieren. Aber es zählt heute auch jede Vorstellung wie eine Premiere oder eine Liveübertragung, denn sie landet ebenfalls im Netz. Deshalb strengt man sich umso mehr an. Man kann sich einfach weniger erlauben als früher. Auch die Bildung des Publikums ist heute ganz anders.

Inwiefern?

Suchen Sie eine Arie, müssen Sie nur ins Internet gehen. Von der aktuellsten bis zu historischen Aufnahmen finden Sie alles. Damit hat jeder schon seine Vorstellung, wie es klingen soll. Das ging mir übrigens bei meinem ersten Opernbesuch als Fünfzehnjährige ganz ähnlich, als ich die „Zauberflöte“ in Augsburg hörte. Ich fand das alles ganz entsetzlich (lacht).

Gehen die Menschen heute nicht mehr so unbefangen in die Vorführung?

Tja, die Stimmen müssen immer noch größer sein, und jeder weiß, wie er die Oper hören will. Oder die Zuschauer kennen die Sänger bloß von Aufnahmen, und dann musst du gegen deine eigenen Aufnahmen ansingen. Die sind aber im Studio gemacht, wo die Stimme durch Technik weiter herausgeholt wird oder einfach anders klingt. Ich finde, das Live-Erlebnis ist immer noch das Schönste. Es zählt der Moment. Das ist ja das Wunderbare an unserer Kunst, dass unsere Arbeit immer Work in Progress ist. Es gibt jeden Tag etwas, das wir besser machen wollen. So kommt es an einem Abend zu einem magischen Moment, den es zuvor noch nicht gab. Es ist jedes Mal anders.

Haben Sie immer noch Lehrer?

Nein, aber ich habe Vertraute, die mir sagen: „Du, achte auf das und jenes.“ Oder ich höre meine Aufnahmen an, und da merke ich, was ich verbessern kann. Wichtig ist, dass man der Wahrheit ins Gesicht schaut und sieht, an welcher Baustelle man arbeiten muss.

Ist Ihr Mann für Sie ein wichtiger Kritiker?

Ja, auf alle Fälle, sowohl technisch als auch schauspielerisch. Er sagt mir etwa, wenn ich zu viel herumhüpfe.

Das hört man vielleicht nicht so gern.

Aber es ist gut, ich bin froh, wenn mir jemand etwas sagt. Wenn man oben ist, sagt einem keiner mehr was.

Und wieso?

Das weiß ich nicht, entweder trauen sie sich nicht, oder es ist ihnen egal, oder es fehlt an der Zeit. Dabei mag ich es, an meiner Rolle herumzubasteln, von der Bewegung bis zur Stimmfarbe. Ich will mich von Vorstellung zu Vorstellung weiterentwickeln. Wenn ich nur mehr abliefere, wird es Zeit, dass ich aufhöre. Dann bringt mir dieser Beruf nämlich nichts mehr.

„Heute habe ich Dienst“, das ist ein Satz, den man von Orchestermusikern immer wieder hören kann.

Orchestermusiker stehen auch nicht allein auf der Bühne. Sie spielen gemeinsam, wenn sie zwei Töne auslassen, merkt das keiner.

Klar, Sie sind exponierter.

Ja, aber auch damit lernt man umzugehen. Vom ersten Mal an. Meine erste Lehrerin sagte da zu mir: Geh hinaus und interpretiere. Die Fehler korrigieren wir zwei später und behalten sie für uns. Und jedes Mal war ich furchtbar aufgeregt, das Herz schlug mir bis zum Hals, die Hände und die Noten zitterten. Aber es ging, und es ging auch viel schief. Das gehört dazu.

Und als Sie erstmals die Bühne der Met oder der Wiener Staatsoper betraten, gab es da stille Momente, in denen Sie innegehalten und sich über das Erreichte gefreut haben?

Ja, die gab es. Natürlich, ich freue mich für mich und sage: „Danke, lieber Gott.“ Denn vieles ist auch Fügung, man braucht die richtigen Wegbegleiter und muss auch immer an sich arbeiten.

Wer waren Ihre Wegbegleiter?

Meine beiden Lehrerinnen, die Rumänin Carmen Hanganu und später die deutsche Mezzosopranistin Hanna Ludwig. Als ich 15 Jahre alt war, habe ich bei Hanganu angefangen. Sie hat mir die Basis für alles gegeben. Nachdem sie mich ein Jahr lang unterrichtet hatte, sagte sie zu mir: „Diana, du wirst mit deiner Stimme machen können Beruf. Wir gehen fragen Papa und Mama. Aber du musst machen ein Diploma.“ Das war für mich der Ritterschlag.

Wie lang hat Hanganu Sie begleitet?

Bis zu meinem Diplom an der Hochschule in Würzburg 1995.

Eine lange und intensive Beziehung.

Ja, so ist das zwischen Lehrer und Schüler. Das ist eine Partnerschaft, die in die Eingeweide geht. Der Lehrer hört und seziert einen mit seinen Ohren und spürt die Dinge auf, die das Unterbewusstsein blockieren. Singen ist angewandte Psychologie. Trotzdem war die Beziehung zwischen Hanganu und mir ein Arbeitsverhältnis. Sie hat sehr viel Wert auf Disziplin gelegt. Hin und wieder hat sie mich schon in den Arm genommen. Aber ich erinnere mich, dass ich einmal bei ihr geweint habe, weil ich Liebeskummer hatte. Da sagte sie zu mir: „Diana, das sind zivile Sachen. Das hat hier nichts verloren. Wir werden jetzt arbeiten.“

Was hat Ihnen Hanna Ludwig mitgegeben?

Sie war durch und durch eine Künstlerpersönlichkeit und hat mir damit ein ganzes Universum eröffnet. Sie hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, nach der Schönheit und den Farben der Stimme zu suchen und das Verständnis für die Arbeit am Text geweckt. Sie hat mein Selbstbewusstsein aufgebaut. Das war wichtig, denn man kann nicht wegen jedes Pieps zum Lehrer rennen. Und sie hatte einen Hang zum Dramatischen. Alles musste bei ihr dramatisch sein.

Und wie nabelt man sich als Schülerin von einer Künstlerpersönlichkeit mit Hang zum Drama ab?

Das war schwierig, denn sie wollte, dass ich ihr Leben weiterführe. Sie hat immer wieder versucht, mein Leben zu manipulieren, bis ich sagte: „Ich kann so nicht mehr.“ Wir haben dann unsere Zusammenarbeit beendet. Die Trennung war eine schwere Schule. Trotzdem bin ich ihr sehr dankbar, weil ich viel von ihr gelernt habe.

Frau Damrau, darf man Sie auch fragen...


1. . . ob Sie selbst gern unterrichten würden?

Ja, schon, aber ich habe dafür überhaupt keine Zeit.


2. . . ob Sie viel über Facebook kommunizieren?

Nein, ich schätze die Kommunikation über die sozialen Medien gar nicht. Ich habe eine Fan-Seite, die aber vor allem der Information dient. Ich kann auch nicht verstehen, dass sich Menschen dauernd mit irgendwelchen Kommentaren anbiedern wollen. Ich wundere mich über all diese Selfies, die dauernd gepostet werden. Für mich ist das nichts, ich kommuniziere mit den Menschen lieber auf direktem Weg.


3. . . ob Sie Religion sehr geprägt hat?

Ja, hat sie, aber im positiven Sinn. Ich mochte die Besuche in der Kirche am Sonntag, ich saß in der ersten Reihe, habe gesungen und mir das ganze Theater angeschaut. Ich empfand es als sehr feierlich.

Steckbrief

1971
wurde die deutsche Sopranistin Diana Damrau in Günzburg, Bayern, geboren. Ab ihrem 15. Lebensjahr nahm sie Gesangsunterricht bei der Rumänin Carmen Hanganu.

1995
gab sie als Eliza in „My Fair Lady“ in Würzburg ihr Bühnendebüt. Rasch wurde Damrau an alle großen Bühnen engagiert. Als Königin der Nacht gastierte sie weltweit, unter anderem an der Wiener Staatsoper, dem Covent Garden in London oder bei den Salzburger Festspielen.

Seit 2002
ist sie freischaffend tätig. Vor sechs Jahren heiratete sie den Bassbariton Nicolas Testé und lebt mit ihm und ihren beiden Söhnen in der Schweiz.

Derzeit singt Damrau an der Wiener Staatsoper in „Manon“ von Jules Massenet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)

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