Juan Diego Flórez: "Ich nehme nichts persönlich"

Juan Diego Flórez: „Früher habe ich mit Dirigenten viel herumdiskutiert. Heute tue ich das nicht mehr.“
Juan Diego Flórez: „Früher habe ich mit Dirigenten viel herumdiskutiert. Heute tue ich das nicht mehr.“Die Presse
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Der peruanische Tenor Juan Diego Flórez will mit seiner Organisation Sinfonía por el Perú sozial benachteiligte Kinder für Musik begeistern. Am 23. April veranstaltet er deshalb ein Benefizkonzert im Musikverein.

2011 haben Sie die Organisation Sinfonía por el Perú gegründet. Mit Musik versucht diese Stiftung, sozial benachteiligte Kinder in Peru zu unterstützen. Wie kam es dazu?

Juan Diego Flórez: Der Dirigent Gustavo Dudamel war mit seinem Simón-Bolívar-Jugendorchester in Venezuela mein Vorbild. Ich habe einmal bei einem Benefizkonzert mit Gustavo gesungen und war von den jungen Menschen beeindruckt. Ich sah, wie Musik die Gesellschaft verändern kann.

Kann sie das?

Ja, das kann sie. Die Kinder, die zu uns in die Schulen kommen, sind arm. Zu Hause gibt es keinen Strom, Spielzeug haben sie keines. Viele von ihnen würden drogensüchtig oder kriminell werden, wären sie nicht bei uns.


Was passiert in Ihren Schulen?

Wir öffnen unsere Schulen und sagen zu den Kindern: „Kommt, wenn ihr wollt. Wir machen gemeinsam Musik.“ Und sie kommen, selbst wenn sie von Musik noch gar nichts wissen. Sie verbringen jeden Tag drei Stunden bei uns. Kürzlich haben wir eine Studie gemacht. Sie hat gezeigt, dass die Kinder, die regelmäßig bei uns sind, auch in der normalen Schule besser werden. Sie sind kreativer und haben ein besseres Benehmen. Und daheim leiden sie weniger unter häuslicher Gewalt.


Weil sie weniger zu Hause sind?

Zum einen das, und zum anderen erfahren sie von ihren Eltern mehr Respekt, weil sie ein Instrument spielen. Besonders freut mich, dass sie weniger für Kinderarbeit herangezogen werden. Ich bin jedes Mal fasziniert, wenn ich die Schulen besuche und dort mit den Kindern rede. Sie wirken so erwachsen, sie haben Werte – und sie sind diszipliniert. Disziplin, die lernt man in einem Orchester.

Obwohl Sie als Tenor sehr beschäftigt sind, investieren Sie sehr viel Zeit in Ihr Projekt. Wollen Sie jenen, denen es schlechter geht, etwas zurückgeben?

Es stimmt, ich arbeite sehr viel für meine Organisation, und das wird sich auch nicht ändern. Aber meine Motivation ist nicht, jemandem etwas zurückzugeben, ich sah einfach die Kinder bei Dudamel in Venezuela und dachte mir: Das muss in Peru auch gelingen. Ich habe mir diese Aufgabe gesucht, und ich fühle mich verantwortlich.

Sie haben selbst zwei Kinder. Verbringen Sie viel Zeit mit ihnen?

Ja, das ist der Grund, weshalb ich meine Auftritte genau plane. Als mein Sohn vor fünf Jahren auf die Welt kam, war ich als Sänger schon etabliert. Mit ihm und der Geburt meiner Tochter bin ich viel ruhiger geworden. Und ich achte sehr darauf, viel mit ihnen zusammen zu sein. Vor allem für einen Buben ist der Vater besonders wichtig.

Wie ist das Verhältnis zu Ihrem Vater?

Ich bin nicht mit meinem Vater aufgewachsen, sondern mit meiner Mutter. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich noch sehr klein war. Ich hatte also nicht wirklich einen Vater und schätze es daher, nun selbst einer zu sein.

Hat sich Ihr Vater nicht um Sie gekümmert?

Er kam einmal die Woche vorbei, aber wir waren nicht eng miteinander. Er war Sänger, und später habe ich ihn öfter zu seinen Auftritten begleitet. Er hat sich auf seine Karriere konzentriert, das war für ihn das Wichtigste.

Sie kommen aus Peru, Ihre Frau ist Deutsche. Wieso leben Sie in Wien?

Ich habe mich hier immer sehr wohlgefühlt. Als ich herkam, habe ich kein Deutsch gesprochen, nur Englisch. Und auf Englisch sind alle freundlicher. Überhaupt, in Wien Sänger zu sein, heißt, geliebt zu werden.

Ob das jeder Ihrer Kollegen sagen würde? Was ist denn in Wien für Sänger besser?

Es ist die Art und Weise, wie hier Theater gemacht wird. Es gibt hier jeden Tag Aufführungen. Und viele der Leute gehen in die Oper, nicht um ein Stück, sondern um einen bestimmten Sänger zu sehen. Das hat in Wien Tradition. Ich habe in keiner Stadt so viele Fans gesehen, die nach der Aufführung am Bühnenausgang warten. Das Schöne ist auch, dass sehr viele Touristen aus aller Herren Länder in die Staatsoper kommen. Manche haben mich hier erst entdeckt.

Stimmt es, dass Sie jede Probe und jede Ihrer Aufführungen aufnehmen?

Ja, das mache ich. Wenn ich singe, höre ich zwar meine Stimme, aber ich höre sie nicht so, wie sie im Theater klingt. Das heißt, jeder Sänger stirbt, ohne zu wissen, wie seine Stimme wirklich klingt.

Und ein Pianist weiß, wie sein Spiel klingt?

Ja, denn er hat ja andere Pianisten spielen gehört. Und jedes Klavier klingt mehr oder weniger gleich. Dazu kommt, das Klavier befindet sich außerhalb meines Körpers. Aber meine Stimme ist in mir. Ich höre nur den inneren Klang. Das Publikum aber hört meine Stimme von außen.

Wer hilft Ihnen, wenn Sie eine Rolle einstudieren?

Ich studiere sie erst einmal selbst. Dann bitte ich einen Pianisten von der Oper zu mir, und er geht mit mir zwei Stunden lang das ganze Stück durch. Das ist es.

Das klingt ja ganz leicht.

Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis, und zwar für die Musik und den Text. Und vor Premieren haben wir lange Probenzeiten. Währenddessen lerne ich dauernd dazu. Ich muss zu Beginn der Proben noch nicht perfekt sein.

Manche Dirigenten und Kollegen erwarten das aber.

Das ist gut, aber es muss nicht immer sein. Ich erwarte das nicht, es reicht, wenn man 80 Prozent seines Parts kennt.

Sind Sie zu Beginn der Proben nervös?

Nein, da bin ich cool. Aber ich kenne viele, die es sind. Ich werde nervös, wenn mir beim Einsingen vor der Vorstellung auf einmal eine Passage nicht gelingen will. Dann weiß ich nämlich, sie wird mir wahrscheinlich bei der Vorstellung auch nicht gelingen.

Beunruhigend. Was machen Sie dann?

Es lieber nicht noch einmal und noch einmal probieren, sondern auf die Bühne gehen und es erst dort wieder versuchen. Aber nach meiner Erfahrung klappt die Stelle dann auch bei der Vorstellung nicht.

Wenn Sie merken, dass Ihre Gesangspartnerin nervös ist, können Sie ihr dann helfen?

Nervosität äußert sich bei jedem anders. Ich habe Kollegen, die reagieren schon ganz gereizt, wenn man sich bei Proben nur räuspert, während sie singen. Sie erwarten, dass jeder mucksmäuschenstill ist, wenn sie dran sind. Dabei ist es ja nur eine Probe. Aber ich nehme das nie persönlich, sie machen das ja nicht, weil sie jemand ärgern wollen, sondern weil sie unsicher sind und sich Sorgen machen.

Klingt sehr tolerant . . .

Ich habe viele tolle Kollegen. Selten stößt man auf welche – meist sind es Frauen –, die sich immer über irgendetwas beklagen, zum Beispiel über den Tenor (lacht).

Weil sie eifersüchtig sind?

Ich glaube schon ein bisschen. Aber ich muss darüber immer lachen. Wenn sich eine Kollegin aufregt, gehe ich zu ihr, umarme sie und sag ihr: „Komm, lass uns gemeinsam eine Pizza essen.“ Aber ich arbeite mit den meisten schon sehr lang zusammen, ich kenne sie und weiß, wie ich sie zu behandeln habe. Diplomatisch zu sein ist wichtig.

Was macht Sie wütend?

Früher konnte ich mich schnell über Dirigenten aufregen. Aber das tue ich nicht mehr, es hat ja keinen Sinn. Wenn meine Kollegen gleich am Anfang der Proben mit dem Maestro herumzudiskutieren beginnen, sage ich ihnen immer: „Tu das nicht. Du siehst ja, er ist nervös. Er will hören, dass er der Beste ist. In ein paar Tagen kannst du auf der Bühne ein wenig schneller singen, dann hast du dein Tempo – und er wird es gar nicht bemerken.“

Erkundigen Sie sich, mit wem die anderen Rollen besetzt sind, bevor Sie bei einer geplanten Produktion zusagen?

Nein, manchmal weiß ich es zuvor gar nicht. Der Dirigent interessiert mich. Nur wenn ich wüsste, dass ich jemand gar nicht leiden kann, würde ich mir überlegen, Nein zu sagen. Aber ich würde nie verlangen, dass ein Opernhaus einen andern Sänger suchen soll, nur weil er mir nicht passt. Das würde ich nie tun, denn das hieße ja, jemanden anderen um seinen Job zu bringen.

Herr Flórez, darf man Sie auch fragen...


1. . . wie Sie Ihre Frau kennengelernt haben?

Ich habe sie in Wien getroffen. Sie kam nach einer Vorstellung von „Sonnambula“ zu mir, weil sie ein Autogramm haben wollte. Daraufhin habe ich sie zum Abendessen eingeladen, wir haben fünf Tage miteinander verbracht. Dann musste ich nach San Francisco, und ich habe sie dorthin eingeladen. Wir haben zwei Monate dort gemeinsam verbracht, ohne uns wirklich zu kennen. Und es hat funktioniert. 2008 haben wir geheiratet, standesamtlich in Wien, kirchlich in Peru.


2. . . wie es für Sie ist, wenn Sie Ihre Aufnahmen hören?

Ich mochte sie nie, ich bin nie zufrieden, wie ich es mache. Das heißt, ich weiß schon, dass ich gut bin, aber ich weiß auch, dass es immer noch viel zu verbessern gibt. Ich will immer, dass es mir das nächste Mal besser gelingt. Meine Karriere ist eine einzige Entdeckungsreise und besteht aus vielen Kuriositäten. Ich bin wie ein Kind, das immer neue Dinge entdecken will.

Steckbrief

1973
wurde Juan Diego Flórez in Lima geboren. Sein Vater war Volkssänger, er selbst absolvierte seine Ausbildung am Conservatorio Nacional in Lima.

1996
gab er sein Operndebüt in „Matilde di Shabran“ beim Rossini-Opernfestival in Pesaro, Italien.

Der Tenor singt an den wichtigsten Opernhäusern der Welt.

In Wien ist Flórez im April in „Don Pasquale“ von Gaetano Donizetti zu sehen.

2011
gründete er die Stiftung Sinfonía por el Perú, die sozial bedürftige Kinder für Musik begeistern will.

Am 23. April 2016veranstaltet er für seine Stiftung Sinfonía por el Perú ein Benefizkonzert.

Flórez ist verheiratet und Vater eines Sohnes und einer Tochter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2016)

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