Vater-Sohn: "Ich habe gedacht, ich hätte rebelliert"

(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Adam Sachs, Sohn des Ökonomen Jeffrey Sachs, hat ein Buch über diffizile Vater-Sohn-Beziehungen geschrieben. »Die Presse am Sonntag« sprach mit den beiden über große Fußstapfen und die Angst, wie seine Eltern zu werden.

Vater und Sohn Sachs sitzen auf der Terrasse eines Alpbacher Hotels, schauen einander an und kichern. Die Situation, vor einem Aufnahmegerät über ihre Beziehung zueinander zu sprechen, scheint für sie beide – Vater Jeffrey, den Starökonomen, und Sohn Adam, den Schriftsteller – ungewohnt zu sein. Die Dynamik zwischen den beiden aber wirkt eingespielt: Immer wieder fällt einer in das Lachen des anderen ein, immer wieder necken sie einander – und strahlen dabei eine tiefe Harmonie aus. Nicht ganz so harmonisch sind die Vater-Sohn-Beziehungen, die Adam in seinem Buch „Inherited Disorders“ beschreibt: In 117 amüsanten Kurzgeschichten erzählt er von Söhnen, die damit ringen, sich vom Erbe ihrer Väter zu lösen. Eine Aufgabe, die auch er zu meistern versucht. Wer sein eigener Vater ist, erwähnt er im Buch allerdings nicht.


Würden Sie beide sagen, dass Sie eine außergewöhnlich gute Beziehung zueinander haben?

Jeffrey Sachs: Ja.
Adam Sachs: Ja.


Man findet im Internet kaum eine Notiz, dass Sie beide Vater und Sohn sind. Wollten Sie das geheim halten?

A. Sachs: In meinem Buch geht es viel um Vetternwirtschaft, und ich wollte den Namen meines Vaters nicht für meinen Vorteil ausnutzen. Ich wollte nicht, dass Jeffrey Sachs auf dem Klappentext steht.


Sie wollten sich also nicht von ihm abgrenzen? Ich stelle mir vor, dass es nicht immer leicht ist, einen berühmten Vater zu haben.

A. Sachs: Natürlich.
J. Sachs: Ach? Ich höre.
A. Sachs: Du hast das Buch ja gelesen.


Was war Ihre Reaktion darauf?

J. Sachs: Ich habe niemanden von uns darin wiedererkannt, zum Glück. Seine Mutter und ich lieben das Buch. Wir haben hysterisch gelacht. Es wurde ja gut vor uns geheim gehalten, bis es veröffentlicht wurde. Wir wussten nicht einmal, worüber er geschrieben hat.


Sie haben das Buch Ihrem Vater gewidmet, ohne ihn namentlich zu nennen. Was hat er dazu beigetragen?

A. Sachs: Für mich ist es ein liebevolles, kein verdammendes, wütendes Buch. Es zeigt die netten wie auch die schlechten Seiten von Vater-Sohn-Beziehungen. Ich musste es ihm einfach widmen. Er hat mir die Themen gegeben, er hat mir das Material gegeben. Ich wollte aber nicht, dass es jemand als Attacke auf ihn auffassen könnte. Das ist weit von dem entfernt, worum es in dem Buch geht. Es geht um Ambivalenzen.


Also haben Sie an ihn gedacht, als Sie die Vaterfiguren kreierten?

A. Sachs: Nicht nur. Ich hatte auch zwei Großväter. Es geht aber auch darum, wie ich mit meinen literarischen Einflüssen umgehe. Einer davon ist Thomas Bernhard, der große österreichische Autor. Das Buch ist Bernhards „Der Stimmenimitator“ nachempfunden. Ich glaube, dass biologische Vater-Sohn-Beziehungen mit literarischen Vater-Sohn-Beziehungen verwandt sind. Ich habe lang damit gekämpft, meine Stimme zu finden, bis ich vor ein paar Jahren begonnen habe, Bernhard zu lesen. Ich verehre ihn, aber fürchte ihn auch: Er hat eine Stimme, die kleben bleibt, wenn sie in deinen Kopf gelangt. Sie beeinflusst dich zu sehr, und es gibt Dutzende Autoren, die in Thomas Bernhards Schatten stehen. Ich wollte nicht ein schlechterer Ökonom im Schatten meines Vaters werden, so wie ich auch kein schlechterer Schriftsteller in Thomas Bernhards Schatten werden will.


Adams Buch ist voller (Selbst-)Ironie, hat er das von Ihnen?

J. Sachs: Das ist einzigartig in unserer Familie, ich glaube nicht, dass er das von mir hat. Tatsächlich ist die ironische, skeptische Stimme so etwas wie ein Gegengewicht zu mir. Mein Ansatz bei vielen Dingen ist zu sagen: So könnten wir es machen. Und Adams Ansatz ist zu sagen: Warum so? Warum nicht anders? Bist du sicher?
A. Sachs: Ich bin sehr lästig.
J. Sachs: Nein, überhaupt nicht! Für seine Mutter und mich ist das erstaunlich, wir haben diese literarische Seite nicht.


Hat Adam zu Ihrer Karriere beigetragen?

J. Sachs: Oh ja, ständig. Vor allem während unserer Urlaube in Alpbach, denn wir machen lange Spaziergänge und debattieren. Viel von meiner akademischen Arbeit kommt von diesen Debatten. Wir reden über etwas, und er sagt: „Das kannst du nicht sagen“ oder „Das wird nicht funktionieren“. Das hilft sehr. Aber dann schreibe ich eh, was ich will.
A. Sachs: Es ändert sich gar nichts, ich habe ihm nur für eine Weile das Leben schwer gemacht. Aber zu dieser ironischen Stimme: Mein Vater ist sehr gut in der alten jüdischen Tradition, Witze zu erzählen. Ich denke, im Grunde ist mein Buch ein jüdisches Witzbuch. Ich habe gedacht, ich mache etwas ganz anderes, was nichts mit meinem Vater zu tun hat. Und dann kam ich drauf, dass ich jüdische Witze schreibe wie die, mit denen ich aufgewachsen bin. Das brachte mich in einen Angstzustand, den ich wiederum ins Buch eingebaut habe.


Das hat Ihnen Angst gemacht?

A. Sachs: Ja. Ich habe gedacht, ich hätte rebelliert, aber eigentlich führe ich nur fort, was mein Vater gemacht hat. Nietzsche hat einen Aphorismus dazu geschrieben, dass Buchhaltersöhne, die versuchen, Philosophen zu werden, am Ende nur Philosophie im buchhalterischen Stil machen. Philosophie in Tabellenform, quasi. Ich habe mich gefragt, ob ich auch nur Ökonomie oder Sozialwissenschaft in Form von Fiktion mache. Oder jüdisches Witzeerzählen in Form von Fiktion. Damit musst du klarkommen: Du realisierst, dass du deine Eltern bist.
J. Sachs: Das stimmt nicht. Ich habe keine 117 Geschichten geschrieben, nicht einmal eine. Ich habe Adam ein paar vorgeschlagen, und er sagte, es seien schreckliche Ideen.


Gab es einen bestimmten Punkt, an dem Sie wussten: Ich muss etwas ganz anderes machen als mein Vater?

J. Sachs: Da gab es doch einen Punkt, im letzten Jahr deines Bachelorstudiums. Du hast ein Projekt gemacht, und alle sagten, es war wunderbar, und auch ich fand, dass es wirklich gut war – damit war es aus. Das war dann wohl etwas beängstigend für dich.
A. Sachs: Ökonomie war mein Nebenfach. Mein Hauptfach war ja Atmospheric Sciences. Ich dachte, ich mache etwas komplett anderes, aber das war genau zu der Zeit, als mein Vater am Earth Institute begann. Das ist wohl ein wiederkehrendes Motiv: Ich glaube, ich mache etwas Neues, und dann ist es doch nur eine neue Form dessen, was er macht.


Ein klassischer Familienkonflikt ist, dass die Eltern möchten, dass ihre Kinder etwas Solides machen, und die Kinder wollen in die Kunst. Hatten Sie auch schlaflose Nächte?

J. Sachs: Mein Vater war ein wunderbarer Anwalt, und seine Botschaft an mich war: Mach, was du willst, nachdem du Anwalt geworden bist. Für meine Mutter war es schwer zu verstehen, wie ein akademisches Leben aussieht, sie dachte, das sei nicht sehr solide. Was macht man da, Aufsätze schreiben und nachdenken? Als Adam erklärte, er würde Schriftsteller werden, meinte ich: Oh, wirklich? Schließ doch erst ein Doktorat ab . . . Dann habe ich Adam den Aufsatz eines Physikers geschickt, der besagt, dass alle Berufe, die mit Information zu tun haben, in der Zukunft von Computern erledigt werden, und die einzigen Berufe, die bleiben, werden jene sein, die mit menschlicher Emotion zu tun haben. Etwa Schriftsteller. Adam hat mir zurückgeschrieben: „Siehst du, ich habe den einzigen sicheren Job.“ Das war sehr überzeugend.


Stimmt es, dass Sie eine der Geschichten aus dem Buch auf dem Begräbnis von Adams Großvater gelesen haben?

J. Sachs: Ja. Adams Großvater, der Vater seiner Mutter, war ein bemerkenswerter Mann. Er wurde 100 Jahre alt. Er wurde 1915 in Österreich-Ungarn geboren und durchlebte alle Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Er kämpfte im Widerstand gegen Hitler, ging zurück in die Tschechoslowakei, flüchtete vor dem Kommunismus, brachte seine Familie nach Amerika. Seine Gedenkfeier war sehr bewegend. Adam hatte eine Geschichte geschrieben, in der ein Mann den Besitz seines verstorbenen Vaters spenden möchte, aber nicht den materiellen Besitz, sondern seine ethischen Werte, seine Fähigkeiten und Talente. Die habe ich vorgelesen. Wir waren alle betrübt und unter Tränen, doch dann konnte ich nicht aufhören zu lachen. Es ist eine wunderbare Geschichte. Das ist Adams Gabe: Sie ist nur drei Seiten lang, und doch trägt sie ein ganzes Universum an Bedeutung.


Das ist ein schönes Konzept, dass man sich aussuchen kann, welche Werte man von seinen Eltern erbt. Man muss sie nicht alle nehmen.

A. Sachs: Ja, nur stimmt das wohl nicht. Ein schöner Traum.


Gibt es etwas, was Sie gern an Ihren Vater retournieren würden?

A. Sachs: Ich nehme gern noch mehr. Was würde ich zurückgeben? Das ist heikel. (Nervöses Lachen.) Ich gebe ihm gern einige immaterielle Dinge zurück, wenn ich dafür mehr Geld bekomme.
J. Sachs: Das verhandeln wir noch.


Worüber spricht man am Esstisch in der Familie Sachs?

A. Sachs: Heute diskutierten wir: Ist Sozialwissenschaft überhaupt möglich? Wir tratschen jedenfalls nicht, das mache ich mit meiner Mutter.
J. Sachs: Ich hätte geantwortet: Politik. Darüber haben wir ständig geredet.


Was glauben Sie: Wie viel von dem, wer wir sind, ist genetisch bedingt, wie viel ist Erziehung?

A. Sachs: Das kann man wohl nicht trennen. Ich würde sagen: Bis du 18 bist, macht die Familie zu hundert Prozent aus, wer du bist. Danach kannst du vielleicht noch zwei Prozent ändern.


Und was ist das Geheimnis einer guten Vater-Sohn-Beziehung?

J. Sachs: Einen tollen Sohn zu haben.
A. Sachs: Ah, das ist viel zu sentimental. Ich würde nie etwas so Sentimentales sagen! ? »

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