Die transatlantische Familie in Niederösterreich

(c) Akos Burg
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1996 verliebten sich eine Niederösterreicherin und ein US-Amerikaner in einer Bar in Florida ineinander. Heute lebt Familie Mahoney nahe Wiener Neustadt.

Marco Island ist eine seit den 1960ern blühende Stadt im Südwesten Floridas, auf einer Insel mit weißen Sandstränden. Dicht an dicht Hotels und Appartementbauten, Einfamilienhäuser, Lokale und Landungsstege. Im Winter schwillt die Einwohnerzahl von knapp 20.000 auf mehr als das Doppelte an, wenn Touristen und Saisongäste mit eigenen Häusern oder Wohnungen Zuflucht im tropischen Klima suchen.

Anfang 1996 war darunter Catharine, eine 21-Jährige aus Mödling, deren tschechisch-slowakische Eltern die Insel lang zuvor für sich entdeckt hatten; der Vater war in Wien bei der US-Plattenfirma CBS, daher der Florida-Konnex. Eines Abends ging die Publizistikstudentin mit einer mitgereisten Freundin in eine Bar. So geschah es: „Ich hab ihngeseh'n, er hat mich geseh'n, wir haben gegrinst. Das war's. Ich bin noch lang mit meiner Freundin Dorli da gehockt und hab gesagt: ,Siehst du den süßen Typ?‘ Sie sagte: ,Der dich so anglotzt?‘ Wir fuhren auf Rollerblades heim, blieb ein Auto stehen. Er ist drin, kurbelt das Fenster runter und fragt: ,Soll ich euch heimfahren?‘ ,Ja‘, sagte ich, ,und ich sitz vorn!‘ Es hätt' sein können, dass er, wenn er den Mund aufmacht, ein Vollkoffer ist. Später sagte Dorli: ,I hab sofort die Herzerln hupfen g'seh'n.‘“

Herzerln hüpften übers Meer. Ja, sie hüpften sogar über den Atlantik und sind heute in einem Einfamilienhaus nahe Sollenau bei Wiener Neustadt, wo es donnert, wenn man auf dem nahen Gelände der Jansa-Kaserne in Großmittel, Panzergrenadierbataillon 35, ballert. Die Bäume und Mauerranken strahlten zuletzt gelb, orange und rot wie im Indian Summer Nordamerikas. Daran dachte wohl auch Cathys übers Meer hergereistes „Herz“ namens Mark, denn der Typ aus der Bar wuchs in Boston auf, bevor die Familie nach Florida zog. Seine Ahnen kamen aus Irland, daher der Nachname: Mahoney. Nun sitzt er da auf der Couch: stämmig, tätowierte Arme, roter Rübezahlbart, er redet leise in der finstren Tonlage von Iggy Pop, trinkt Whiskey, dann Kaffee, aus einer Tasse mit Totenköpfen drauf.

Er ist, wie Catharine, Jahrgang 1974, ging auf ein College, Schwerpunkt Psychologie, werkte in diversen Jobs, etwa als Koch und Eislieferant. Als er Cathy traf, verlieh er Jetski. Anders als Millionen Urlaubslieben blieb diese intakt. Man habe „mal geschaut“, sagt sie, „es gab kein E-Mail, wir schrieben Briefe mit dem Tenor ,Vielleicht seh ma sich wieder.‘“ Das war erst 1998: Cathy blieb drei Monate in Florida. Und es passte.

Working Man's Paradise. Mark zog bald nach Österreich. Er hatte genug von seinem Job und Cathy sich an der Werbeakademie Wien inskribiert. „Meine Eltern sagten, das ist eine seltene Superchance, Europa zu sehen. Ich wollte vorerst einen Monat bleiben. Hätte es nicht geklappt mit uns, hätt ich halt was gesehen.“ Er blieb. 1999 war die Hochzeit. Mark erhielt ein Arbeitsvisum und bald einen Job bei einer Autovermietung auf dem Airport Schwechat. Seit elf Jahren ist er bei einem Gaming-Technology-Konzern. Deutsch lernte er per Learning by Doing. Er mag das hiesige Arbeitsrecht, etwa, weil es in den USA keinen gesetzlich bezahlten Urlaub gibt und sich die meisten kaum 15 Tage im Jahr freinehmen. Für Familien mit Kindern seien die drei bis fünf Wochen hier super.

Cathy ist Büroassistentin, lehrt Englisch an Kindergärten. Der transatlantischen Partnerschaft entsprossen Kilian (15) und Dylan (11), Doppelstaatsbürger. Oft gibt's Gringo-Food wie Burger, Steaks, Bananenbrot; „Makkaroni and Cheese!“, ruft Dylan. Man isst viel Erdnussbutter. Mark mag Surschnitzel, Heurigensachen. Tafelspitz müsse nicht sein, und beim Thema Knödel geht ein böhmisch-amerikanischer Graben auf.

Man kombiniere Weihnachtsbräuche, sagt Cathy. „Der Christbaum steht ab Anfang Dezember. Am 24. kommt bei Oma das Christkind mit je einem Geschenk, dann ist Mette. Da geht Daddy meist nicht mit“, sagt Cathy. Mark schmunzelt: „Whiskey mag ich.“ Man stellt Kekse, Karotten und Milch auf, als Jause für Santas Rentiere. Am 25. steigt die Familienweihnacht à la USA.

Mark, früher sehr sportlich, entspannt gern vor dem Haus mit der Pfeife. Ski zu fahren ist nicht drin, primär der Kosten wegen. An heimischer Kultur entdeckte er, der Rock und Metal hört, wenig, Joe Zawinul etwa und Falco. Dafür war er auch in Kärnten, im Salzkammergut, ja in Slowenien, Spanien, Griechenland. In Österreich stört ihn die „Ich bin nicht zuständig“-Mentalität. Man ruft sieben Abteilungen an, und stets heißt es: ,Da müssen sie jemand anders kontaktieren.‘ An Politik nimmt er wenig Anteil, hat den Namen des Kanzlers auf der Zunge, doch der schafft's nicht darüber hinaus, anders als jener des Landeschefs von Niederösterreich: „Proll“ (sic!). Aber wer ist Eva Glawischnig?

Gerüchte von Bürgerkrieg. Die USA hätten viel von ihrem Ruf eingebüßt, speziell wegen der Kriege. Persönlich spürt er keine Ressentiments. Der Präsidentenwahl am 4. November bleibt er fern. Wieso? „Nicht bei diesen Optionen.“ Er sei Demokrat, doch Hillary Clinton – oh no! Müsste er wählen, dann sie – „aber bloß als Anti-Trump“. Nur: „Ich höre, es könnte Bürgerkrieg geben, wenn Trump verliert.“ So töne es in sozialen Medien. Insgesamt ist Mark Mahoney froh, dass er jetzt nicht „drüben“ ist, sondern im schönen, flachen Niederösterreich. Am Rand des Truppenübungsplatzes der Panzergrenadiere. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2016)

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