Down-Syndrom: Ein ganz normales Leben

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"Ich werde nie mehr lachen können." Das glaubte Brigitte Sebald, als bei ihrem Baby Down-Syndrom diagnostiziert wurde. Das war vor zwölf Jahren. Heute weiß sie: Die Angst war völlig unbegründet.

Er lernt Hip-Hop, spielt Fußball, liebt romantische Filme, streitet mit seinen Eltern über das Aufbleiben am Abend und findet seine Brieffreundin Sarah sexy: Michael Sebald ist ein ganz normaler Bub am Beginn der Pubertät. Mit einer Ausnahme: Michael hat Down-Syndrom.

Eine Diagnose, die der Salzburger Familie in den ersten Wochen nach der Geburt vor zwölf Jahren den Teppich der Normalität unter den Füßen wegzog. „Es war ein Schock. Ich habe damals wirklich geglaubt, dass ich nie mehr lachen können werde“, erzählt Brigitte Sebald. Die Fremdenführerin war 38 Jahre alt, als sie ihr zweites Kind erwartete. Ihr älterer Sohn Christoph war damals zehn Jahre alt. „Ich hatte eine völlig problemlose, schöne Schwangerschaft. Mit dieser Diagnose habe ich einfach nicht gerechnet.“

Eine Fruchtwasseruntersuchung ließ sie bewusst nicht vornehmen. „Mein Frauenarzt hat mir damals gesagt, die Wahrscheinlichkeit, in meinem Alter ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, liegt bei 1:250. Die Wahrscheinlichkeit eines Abortus nach der Untersuchung liegt bei 1:100.“ Außerdem war sie sich mit ihrem Mann Clemens einig: Eine Diagnose würde nichts an der Entscheidung für dieses entstehende Leben ändern. Unmittelbar nach der Geburt war bei Michael nichts auffällig. Erst ein wenig später äußerte ein Arzt den Verdacht, dass der kleine Bub Down-Syndrom haben könnte. „Dann mussten wir zehn Tage auf das Ergebnis der Blutuntersuchung warten. Das war die schrecklichste Zeit“, erinnert sich die Mutter.

Dass sie und ihr Mann aus dem tiefen Loch, in das sie nach der Diagnose fielen, so rasch wieder herauskamen, ist vor allem dem Hauptbetroffenen selbst zu verdanken: Michael. Er ist ein durch und durch lebenslustiger und charmanter Bub geworden.

Eines war für die Eltern von Anfang an klar: Michael sollte ganz normal aufwachsen, das Familienleben würde möglichst so weitergehen wie bisher. Nur dass sich Michael einfach ein bisschen langsamer entwickelte als andere Kinder. Sitzen konnte er mit neun Monaten, zu laufen begann er mit 20 Monaten.

Selbstbewusster Schulsprecher. Heute geht er in die zweite Klasse der evangelischen Integrationshauptschule in der Stadt Salzburg und ist dort ob seines Selbstbewusstseins sogar einer der Schulsprecher. Mit seinen Leistungen ist er ungefähr auf dem Niveau eines Neun- oder Zehnjährigen. Michael schreibt, liest und rechnet. Die nächste Herausforderung ist das kleine Einmaleins. Brigitte Sebald holt sich regelmäßig Tipps im Kompetenzzentrum „Leben Lachen Lernen“ für Menschen mit Down-Syndrom in Leoben. Das Institut hat sich auf individuelle Diagnose und Förderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit dieser Behinderung spezialisiert. Es sind einfache Tipps wie „Mind Mapping“ (Denk-Diagramme) oder Lernspiele, die Michael am meisten weiterhelfen. „Ich habe nie etwas davon gehalten, mein Kind von Therapie zu Therapie zu schleppen.“ Weil Sebald immer berufstätig war, hätte sie auch gar nicht die Zeit dazu gehabt.

Der Erfolg gibt ihr Recht: Michael lebt das ganz normale Leben eines Zwölfjährigen. Er kann ganz schön nerven. Er geht zur Schule, hat in der Familie seine kleinen, oft wenig geliebten Pflichten wie Abtrocknen oder Tischdecken, lernt Klavierspielen und telefoniert mit seinen Freunden. Wenn er aufgeregt ist, breitet Michael seine Hände aus und wedelt damit herum – ein Anzeichen der mit Down-Syndrom verbundenen Muskelhypertonie.

Diskriminierung oder blöde Bemerkungen hat Brigitte Sebald, die ehrenamtlich Vorsitzende des Netzwerks Down-Syndrom Österreich ist, noch nie erlebt. Es ärgert sie aber, dass man mit einem behinderten Kind immer wieder um das Grundrecht der Integration kämpfen muss. Ein Problem, das sie derzeit stark beschäftigt: Michael und die anderen Integrationskinder in seiner Klasse können auf Grund von Einsparungen an manchen Stunden nicht mehr teilnehmen, weil das Geld für die zusätzlichen Lehrer fehlt. Auch der Integrationschor der Schule ist in seinem Bestand gefährdet. Sie kämpft dafür – und dafür, dass es doch noch gelingt, die Stundenkürzungen rückgängig zu machen.

Gedanken über die Zukunft. Die Ängste, die die Familie nach der Geburt von Michael gehabt hat, sind verflogen. Alles ist einfacher und problemloser als ursprünglich gedacht. Deshalb rät Sebald werdenden Eltern, die mit der Pränataldiagnose Down-Syndrom konfrontiert sind, sich den Alltag von betroffenen Familien anzusehen: „Viele Ängste sind unbegründet.“

Gedanken machen sich Brigitte und Clemens Sebald über die Zukunft ihres Sohnes: „Ich wünsche mir, dass er selbstständig wird, eine eigene Wohnung hat und eine Partnerin findet“, sagt die Mutter. Masseur, Krankenpfleger, Mechaniker, Elektriker oder Bauer: Berufe wie diese stehen bei Michael derzeit ganz oben auf der Wunschliste. Eines ist seiner Mutter dabei wichtig: dass auch ihr Sohn eines Tages eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2009)

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