Naomi Watts: „Dachte nie, wow, bin ich schön“

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ITALY-CINEMA-FESTIVAL-VENICEAPA/AFP/TIZIANA FABI
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Ihre Jugend mit Mutter und Großmutter verschaffte Naomi Watts die Bodenhaftung, die sie später im Erfolg nicht abheben ließ. Im Film „Alle Farben des Lebens“ spielt sie eine Mutter, deren Tochter eine Geschlechtsumwandlung will.

Ihr neuer Film „Alle Farben des Lebens“ zeigt Naomi Watts in einer von Frauen geprägten Familie, in der die Geschlechterrollen neu definiert werden. Die 48-Jährige hat ihre eigenen Erfahrungen mit weiblichen Einflüssen gesammelt und dabei die Bodenhaftung für ihre spätere Karriere erworben.

In „Alle Farben des Lebens“ spielen Sie eine Mutter, deren Tochter eine Geschlechtsumwandlung will. Es gibt ein Foto von einem Ihrer Söhne, der ein Mädchenkleid trägt.

Naomi Watts: Das hat nicht viel zu besagen. Wir haben einfach sehr ausdrucksstarke Kinder.

Können Sie es verstehen, wenn ein Mädchen ein Junge sein möchte?

Das ist ganz normal. Und solche Neigungen haben auch viele Mädchen – mich eingeschlossen. Ich hatte einen großen Bruder, war selbst ein Wildfang. Mir machte es viel mehr Spaß, zu raufen und auf Bäume zu klettern, als mich mit Make-up und Puppen zu beschäftigen. Die mädchenhafte Seite hat sich dann später entwickelt, so in meiner Pubertät. Meine Mutter arbeitete als Kostümdesignerin beim Film und war selbst so eine Art Stilikone. So fing ich an, mich mit Mode zu beschäftigen und stahl ihre ganzen Schuhe.

Inzwischen gelten Sie selbst als Schönheitsikone. Können Sie sich an das erste Mal erinnern, als jemand auf Ihr Aussehen aufmerksam wurde?

Nicht wirklich. Das einzige Indiz war, dass ein Fotograf, mit dem meine Mutter arbeitete, mich fotografieren wollte. Ich hatte nichts dagegen, die Aufnahmen wurden dann an eine Agentur geschickt, und prompt bekam ich Aufträge als Model.

Haben Sie damals nicht gemerkt, wie die Männer auf Sie reagiert haben?

Irgendwie schon. Aber ich dachte mir nie, wow, ich bin so schön. Ich selbst finde, dass ich keine besonders ausgeprägten Züge habe, keine großen Lippen oder große Augen. Aber Fotografen und Kameraleute können vermutlich deshalb mein Gesicht mit Licht besser modellieren, was für eine Schauspielerin ideal ist. Abgesehen davon stimmt der alte Spruch, dass Schönheit von innen kommen muss. Man sieht das wunderbare Bild eines Supermodels und ist ganz hin und weg, dann trifft man die Person, und dieser Eindruck verflüchtigt sich sofort. Wohingegen es Leute gibt, die nicht den gängigen Schönheitskriterien entsprechen, dich aber mit ihrem Geist verzaubern.

Sie wurden in einer stark weiblich dominierten Umgebung groß.

Richtig. Mein Vater starb, als ich sechs war. Dafür war ich von starken Frauen umgeben. Meine Mutter hat dann meinen Bruder und mich allein aufgezogen, mit Unterstützung meiner Großmutter, die eine richtige Matriarchin war und großen Einfluss auf mich hatte.

Wie wurden Sie von diesen Frauen geprägt?

Indem sie immer ehrlich mit mir waren. Sie haben nicht alles, was ich von mir gegeben habe, als Offenbarung bejubelt, so wie das manche Eltern mit ihren Kindern tun. Ich bin nur gelobt worden, wenn ich es verdient hatte; so bin ich auf dem Teppich geblieben.

Sind Sie deshalb auch nicht ausgeflippt, als Sie erfolgreich und berühmt wurden?

Das hat sicher damit zu tun. Wobei das bei mir erst spät der Fall war, so mit 33. Und in dem Alter hat man automatisch eine gesunde Einstellung zum Berühmtsein. Es gibt viele junge Leute, die damit nicht zurechtkommen.

Zum Beispiel?

Zugegeben, wenn ich ein bisschen nachdenke, dann fallen mir auch junge Kollegen ein, mit denen ich jüngst gearbeitet habe – zum Beispiel Elle Fanning in „Alle Farben des Lebens“ –, die sehr klug damit umgehen. Aber ich weiß nicht, ob ich in meinen 20ern dazu imstande gewesen wäre. Vielleicht hätte ich mir in dem Fall die falschen Rollen ausgesucht und wäre in Filmen gelandet, die mir selbst nicht gefallen hätten. Und wenn ich innerlich keine Beziehung zu einem Stoff habe, dann gebe ich nicht mein Bestes.

Was Sie vermutlich für die neue Staffel von „Twin Peaks“ getan haben dürften.

Ich darf noch immer nicht offiziell darüber sprechen. Auf jeden Fall ist und bleibt David Lynch einer meiner Mentoren. Und ich bin stolz darauf, dass „Mulholland Drive“ dieses Jahr zum bislang besten Film des 21. Jahrhunderts gewählt wurde.

Steckbrief

Naomi Watts
(48) stammt aus Großbritannien, zog mit ihrer Familie zunächst nach Wales und anschließend nach Australien.

Sie startete ihre Karriere als Model, begann mit dem Schauspiel und Serienauftritten. Der große Durchbruch gelang 2001 in David Lynchs „Mulholland Drive“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2016)

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