Liebe zwischen zwei Kontinenten – einmal Mexiko und zurück

Christine Kamper und ihr Mann Juan Bernardo wohnen mit der gemeinsamen Tochter Amelia mittlerweile wieder im Burgenland.
Christine Kamper und ihr Mann Juan Bernardo wohnen mit der gemeinsamen Tochter Amelia mittlerweile wieder im Burgenland.(c) Stanislav Jenis
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Seit 1970 ist die Zahl der Ehen, die Österreicher mit Ausländern eingehen, gestiegen. Doch wer einen Partner im Ausland hat, braucht Ausdauer und den Mut, Entscheidungen zu treffen.

Wann weiß man, ob es richtig ist, für jemanden anderen alles zurückzulassen? Die Freunde, die Familie, den Ort, den man aus voller Überzeugung Heimat nennt? Und wie wird es dann sein, in einem anderen Land? Christine Kamper schnappt sich an einem Dezembertag 2008 ihren iPod und geht an den See. Die Burgenländerin weiß, sie muss eine Entscheidung treffen. In ihrem Zimmer liegt der Laptop, ihre Verbindung in eine andere Welt, die ihr Leben vor knapp drei Monaten entschieden verändert hat. Ins Positive. Aber nicht frei von Problemen.

Sie haben sich zum ersten Mal auf einem kleinen Hügel etwas außerhalb der Stadt La Piedad in Mexiko getroffen. Und nein, es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Sie, die WU-Absolventin, die den Abschluss des Studiums mit einer längeren Reise nach Mexiko feiern wollte. Er, der mexikanische Architekturstudent, der wie sie bei einem freiwilligen Helferprogramm teilgenommen hat. Gemeinsam forsten sie an dem Tag einen Hügel auf. Er fragt sie nach einer Zigarette. Ohne Hintergedanken. Sie erinnert sich an seine langen, geraden Wimpern. Er gefällt ihr. Mehr nicht.

Bis zur Party in seinem Haus, wo alle eingeladen sind. Musik, Tequila, am Ende küssen sie sich. Die nächsten drei Wochen verbringen sie jeden Tag gemeinsam. Er bringt sie zum Lachen. Ciri, nennen ihn seine Studienkollegen, Lalo, seine Freunde daheim. Eigentlich heißt er Juan Bernardo Muñoz Sotelo. Aber niemand nennt ihn so. Er ist nur etwas größer als sie. Einer, der in der Gruppe den Ton angibt, aber schüchtern ist, wenn man mit ihm allein ist. Sie fühlt sich wohl in seiner Nähe. Einmal quatschen sie die ganze Nacht durch. Es wird ernst, aber wie ernst, das weiß niemand so recht. Als sie La Piedad verlässt, reist er ihr nach Mexico City nach. Fünf Tage verlängertes Glück.

Als sie sich endgültig von ihm verabschiedet und ihren Freundinnen 24 Stunden im Bus ans andere Ende des Landes nachfährt, weint sie die ganze Zeit. „Es war die schlimmste Busfahrt meines Lebens“, sagt sie heute.

Liebe. Eine Partnerschaft von Bestand. Sie ist noch immer das wichtigste Ziel im Leben von Menschen unter 40 Jahren, das hat die Online-Partnerbörse Parship.at in einer (repräsentativen) Umfrage erhoben. Für zwei Drittel der Befragten ist die Ehe noch die ideale Form der Beziehung. Aber anders als früher kommt heute die ganze Welt als potenzieller Heiratskandidat dazu.

Auslandsaufenthalte, billige Flüge, E-Mails und niedrige Telefontarife bringen Menschen zusammen, die sich vorher nie getroffen – oder nicht den Kontakt auf die Entfernung hätten halten können. Österreich mit Südkorea, der Türkei oder den Balkanländern, Portugal mit Dänemark, Italien mit Kanada, das Burgenland mit der Provinz in Mexiko. Im Jahr 1970 wurden laut Statistik Austria in Österreich gerade einmal fünf Prozent der Ehen zwischen einem Österreicher und einem Ausländer geschlossen. 2005 erreichte mit 26 Prozent einen Höhepunkt, 2015 lag die Zahl immer noch bei 23 Prozent.

Zusammen, aber auch allein. Umgekehrt ist das Zusammenleben vor einer Heirat nicht mehr zwingend. Wurden im Jahr 1970 noch 553 Ehen geschlossen, bei denen ein Partner einen Wohnsitz im Ausland hatte, sind es ab 1997 knapp 1000 und mehr pro Jahr. „Living apart together“ nennt man das Phänomen, das längst nicht nur bei Distanzbeziehungen vorkommt. Zusammen sein, aber getrennt leben. Bei einer modernen Beziehung ist alles möglich, solange es beiden gefällt.

Bei ihrer Rückreise wird Christine Kamper zwar Wien mit dem Flugzeug erreichen, aber irgendwie kommt sie niemals an. Sie lebt weiter in der mexikanischen Zeitzone, das sind sieben Stunden Unterschied. Sie steht zu Mittag auf, wenn es dort Morgen ist und chattet mit ihm, wenn er am Abend nach der Uni ins Internetcafé kann. Da ist es in Österreich zwei Uhr in der Früh. Ihre Mitbewohner machen sich Sorgen. Stundenlang ist die Freundin in der Nacht wach.

Wenn sie dann schläft, wacht sie manchmal auf und ist überwältigt von der Einsamkeit ohne ihn. Einmal ist sie so verzweifelt, dass sie mitten in der Nacht vom Handy aus in Mexiko anruft. Ein Telefonat von gerade einmal drei Minuten, unglaublich teuer. Aber für das Erste ist sie beruhigt. Ein anderes Mal interpretiert er ein Foto, das sie online mit einem Freund postet, falsch. Online-Kommunikation kann voller Missverständnisse sein.

Der Flug nach Mexiko kostet über tausend Euro, aber sie weiß, sie muss das Geld investieren. Sechs Wochen nach ihrer Rückkehr fliegt sie im November 2008 wieder hin. Dieses Mal in seinen Heimatort Pénjamo. Dort lernt sie den Bruder und seine alleinerziehende Mutter kennen, die zum Glück sehr aufgeschlossen ist. Wenn in einer typischen mexikanischen Kleinstadt eine brünette Europäerin mit ihrem mexikanischen Freund zusammenwohnt, aber nicht mit ihm verheiratet ist, dann sorgt das für ziemlich viel Gerede. Trotzdem fühlt sie sich dort gleich wie zuhause. Und zu seinen ohnehin schon zahlreichen Spitznamen kommt einer hinzu. Salchi, von Salciccia, dem spanischen Wort für Wurst. Als sie nach den drei Wochen zurückkehrt, weiß sie, so kann es nicht weitergehen.

„Eine Beziehung auf Distanz, das wäre nicht gegangen“, sagt sie heute. Zu viel Zeitverschiebung, zu lange und teure Flüge. Zu weit weg. Auch der Altersunterschied beschäftigt sie. Als sie sich kennenlernen, ist er 20, sie 26.

Einfach wohl gefühlt. Also geht sie spazieren. Weiß aber schnell, dass sie es probieren muss, weil „es mich sonst ein Leben lang verfolgen wird“. Wenn man sie heute fragt, ob sie sich damals wie in einem schlechten Hollywoodfilm gefühlt hat, verneint sie. „Vielleicht, weil wir beide keine großen Romantiker sind. Und ich glaube nicht an Liebe auf den ersten Blick, man muss auch zusammenwachsen.“ Nachsatz: „Ich hatte bei ihm einfach von Anfang an das Gefühl, mich nicht verstellen zu müssen. Ich hab' mich einfach fallen gelassen.“

Es ist schließlich weniger die Angst vor Neuem, als die Bindung zu ihrer Mutter und Schwester, die sie zögern lässt. Die drei sind sehr eng, schon während des Studiums verbrachte Christine Kamper selten ein Wochenende in Wien. Die Mutter ist es schließlich, die sagt: „Geh.“ „Sie hat es nie gesagt, aber ich weiß, es hat ihr das Herz gebrochen. Und ich muss ehrlich sagen, ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn sie mich nicht unterstützt hätte“, sagt Kamper. Derweil in Mexiko hofft Lalo, dass das Experiment gut gehen wird. Sich Christine im neuen Land einleben wird – und die Zeit reichen wird. Ein halbes Jahr hat sie sich gegeben. Von Februar bis Juli 2009, um einen Job zu finden und zu schauen, ob die Beziehung funktioniert. Vor dem Geburtstag ihrer Schwester fliegt sie sonst zurück.

Was macht eine gute Beziehung aus? Geht es nach dem Beziehungsforscher Manfred Hassebrauck in seinem Buch „Die Gesetze der Liebe“, dann ist eine erfüllte Liebe das gleichmäßige Zusammenspiel von den Komponenten Leidenschaft, Nähe und Bindung. Ist eine Seite mehr ausgeprägt, verschiebt sich die Balance. Um ihr Ziel zu erreichen, wählen Frauen ihre Partner deutlich realistischer als Männer aus, sie achten sehr wohl auf Einkommen und sozialen Status, wichtiger sind allerdings gute Manieren und Intelligenz. Bei den Männer zählt das Aussehen noch immer viel. Doch das ist auslegbar. „Das Vermeiden von Hässlichkeit und nicht das Anstreben von Schönheit ist das Grundmuster der Partnerwahl“, schreibt Hassebrauck. Wer also schon als schön empfunden wird, braucht nicht unbedingt investieren, um noch schöner zu sein. Ähnliche Vorstellungen sind übrigens förderlicher für die Beziehung als der berühmte Satz „Gegensätze ziehen sich an“, und ja, wenn man das Gefühl hat, dass sich ältere Ehepaare ähnlich sehen, dann täuscht das oft nicht.

Ähnlich sehen sich Christine Kamper und ihr Freund nicht. Und auch sonst läuft das erste halbe Jahr in Mexiko zwar sehr gut, aber nicht perfekt. Sie muss schnell einen Job finden, das setzt beide unter Druck. Während sie in Österreich ihren Freund vermisst, vermisst sie in Mexiko ihre Familie. Nie hat sie beides an einem Ort.

Endlich, nach drei Monaten, kann sie an der neu gegründeten Universität im Büro anfangen. „Studieren hätte ich nicht dafür müssen“, sagt sie. Aber es ist ein Anfang. Den Geburtstag der Schwester verbringt sie in Mexiko. Sie wird bleiben. Nicht für immer, aber auf unbestimmte Zeit. Sie ist kein ganzes Jahr dort, da stirbt seine Mutter innerhalb weniger Monate an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Wann hast du gewusst, dass es richtige Liebe ist, Lalo? „Als meine Mutter gestorben ist. Weil sie immer an meiner Seite war und mich unterstützt hat“, sagt er.

Chancen für die Tochter. Zwei Jahre später, Kamper ist mittlerweile Dozentin an der Uni, wird sie schwanger. Die beiden heiraten. Das Sozialsystem in Mexiko beginnt sie zu nerven. Die schlechte Infrastruktur, Bildung, das Gesundheitssystem. „Ich wollte, dass meine Tochter die gleichen Chancen und Möglichkeiten hat wie ich in Österreich“, sagt sie.

Als ihr Mann mit dem Studium fertig ist, gehen sie nach Österreich. Ihre Familie ist verrückt vor Freude. Jetzt ist sie es, die hofft, dass er sich gut einleben wird. Die Pünktlichkeit der Österreicher, die Korrektheit, die schwierige Sprache. Doch ihr Mann fängt gleich zum Fußballspielen an. Lernt rasch Deutsch. Findet Freunde. Nur mit der Jobsuche hapert es. Der junge Mann, der für die Architektur brennt und sich tagelang für Modelle und Entwürfe verkriechen kann, findet keinen Job, nicht einmal ein Praktikum. Sie selbst hat nach ihrer Rückkehr kein Problem, wieder einzusteigen. Dieses Mal ihrem Studium entsprechend.

Mittlerweile leben sie wieder seit zwei Jahren im Burgenland. Ihre Tochter ist vier, ihr Mann ist 29, Christine Kamper ist 35 und wieder schwanger. Er hat bei einer großen Firma im Lager einen Job gefunden, der ihm gefällt. Besser so, als nichts zu tun. Alle drei sind glücklich. Noch heute kann Christine Kamper nicht sagen, wann sie gewusst hat, dass es die große Liebe ist. „Den einen Moment“, sagt sie, „den gibt es nicht.“ Aber immer, wenn sie in Mexiko wütend war, wenn sie heimfahren wollte, hat sie sich an die schlimmen Nächte in Wien erinnert und gedacht: „Dieses Gefühl ohne ihn zu sein, das will ich nie wieder haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2016)

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