Träumen vom weißen Kleid

Moran Rosenblatt im Gespräch anlässlich ihres ersten Wien-Besuchs. Die Fertigstellung von „Baumschlager“ hat sie hierher geführt.
Moran Rosenblatt im Gespräch anlässlich ihres ersten Wien-Besuchs. Die Fertigstellung von „Baumschlager“ hat sie hierher geführt.(c) Akos Burg
  • Drucken

Wo beginnt Behinderung? Das fragt Moran Rosenblatt in „Wedding Doll“ auf zauberhafte Weise. Daneben spielt sie in der UNO-Komödie von Harald Sicheritz.

Am liebsten treffen sich Hagit und Omri an einem Aussichtspunkt hoch über dem Machtesch Ramon, einem riesigen Erosionskrater. Dort sitzen sie nebeneinander, genießen den Blick auf die Wüste Negev und tauschen gelegentlich einen Kuss aus. Eine sich zart anbahnende Romanze, die Omri aber geheim halten will. „Wer geht schon mit einem Mädchen mit geistiger Beeinträchtigung aus?“, scheint er zu denken, während sie in ihrer freien Zeit ganze Heerscharen kleiner Püppchen in weißen Kleidern bastelt und von Hochzeit träumt.

Das Material dafür lässt sie großteils bei der Arbeit mitgehen: Beide arbeiten in einer Fabrik für Toilettenpapier, wo Hagit für wenig Geld die fertigen Rollen verpackt – bis der Firmenchef die Schließung des Unternehmens bekannt gibt. Moran Rosenblatts Spiel – ihre strahlende naive Offenheit, ihre Sehnsucht, ihr Ringen mit ihrer besorgten Mutter – haben bei der internationalen Kritik für Begeisterung gesorgt. Sie habe sich im Vorfeld zwei oder drei Monate lang mit vielen Menschen mit ähnlicher Beeinträchtigung getroffen, schildert die junge Schauspielerin mit der Reibeisenstimme bei einem Wien-Besuch.

„Ich habe viele ähnliche Geschichten gehört, vor allem über Mutter-Tochter-Beziehungen.“ Sie habe dann auch versucht, sich einzuprägen, wie die Menschen reden oder sich bewegen, nur um am Ende alles wieder sein zu lassen. „Ich habe dann so gespielt wie beim ersten Vorsprechen, sehr nah an dem, wie ich selbst bin“ – auch wenn die Rolle weit von ihrer Lebenswelt entfernt gewesen sei.

Kleider aus Toilettenpapier

Hagit, sagt sie, sei „die Einzige, die nicht glaubt, dass sie anders ist als die anderen. Sie möchte heiraten, eine eigene Familie, einen Job, ihre Unabhängigkeit. Sie will das, was alle normalen Leute wollen – nur dass alle anderen denken, dass sie das nicht haben kann.“ Eine ihrer Lieblingsszenen sei jene, in der ein Vater mit seinem behinderten Sohn zu Besuch kommt – ein Verkupplungsversuch, den Hagit stur boykottiert. „In den Augen der Gesellschaft soll sie nur aus einer kleinen Gruppe wählen können.“

Regisseur Nitzan Gilady hat bisher vor allem Dokumentationen gedreht, in „In Satmar Custody“ erzählte er die Geschichte einer jüdisch-jemenitischen Familie, die von der chassidischen Satmar-Sekte nach Amerika gelockt wird. „Wedding Doll“ ist nun sein erster Spielfilm. Zehn Jahre reicht dessen Geschichte zurück. Damals, erzählt Rosenblatt, sei Gilady schon nicht mehr Schauspieler und noch nicht Filmregisseur gewesen, sondern habe eine Straßentheatergruppe geleitet. Für ein Stück hätten die Darstellerinnen Kleider aus Toilettenpapier getragen – ein Bild, das ihm im Kopf blieb, und das nun wieder auftaucht. Daneben habe den Film die sehr persönliche Erfahrung mit seinem Bruder inspiriert. Dieser habe aus dem Dienst in der israelischen Armee ein Posttraumatisches Stresssyndrom davongetragen, er habe danach mühsam um seine Unabhängigkeit gekämpft und sich schwergetan, eine Freundin zu finden – „die Mädchen wollten nicht mit jemandem ausgehen, der ein Problem hat.“ Heute sei er glücklich verheiratet und habe zwei Kinder.

Auch Moran Rosenblatt, die aus Tel Aviv stammt, hat den obligatorischen Präsenzdienst absolviert, „ich hatte Glück, ich war die Fahrerin eines Richters und musste nur zwei, drei Stunden am Tag arbeiten“. Danach ging sie auf die Theater- und Filmschule, inzwischen studiert sie auch Drehbuch. „Ich liebe es zu spielen, aber auch, ganze Geschichten zu erzählen. Ich könnte nicht nur Schauspielerei oder Drehbuch oder Regie machen, ich brauche alle drei.“

Zumindest die Schauspielerei verbindet sie mittlerweile auch mit Österreich – als Geliebte von Thomas Stipsits in einer Komödie von Harald Sicheritz, die 2017 ins Kino kommen soll. Stipsits spielt in „Baumschlager“ gemäß Ankündigung einen liebenswert tollpatschigen österreichischen UNO-Offizier, der zum Spielball verschiedenster Interessen wird, als im Nahen Osten Frieden herrschen soll. Gedreht wurde im Februar in Israel, laut Rosenblatt „die erste österreichisch-israelische Koproduktion“. Für Rosenblatt eine beeindruckende Erfahrung. „Ich habe nie mit einer so professionellen Crew gedreht. In Israel brauchen die meisten Regisseure ewig für die Finanzierung, die drehen nur alle paar Jahre einen Film.“

ZUR PERSON

Moran Rosenblatt wurde als Tochter eines Technikers und einer Schmuckdesignerin in Tel Aviv geboren, ihre Vorfahren stammen aus Persien und Polen. Sie entdeckte früh die Lust am Schauspiel, derzeit studiert sie Drehbuch an der Sam Spiegel School of Film and Television in Jerusalem. Ihr erfolgreiches Debüt hatte sie in Israel 2011 mit „Lipstikka“, es folgte „Liebesbriefe eines Unbekannten“. In „Wedding Doll“ spielt sie ein geistig beeinträchtigtes Mädchen, das um Liebe und ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben kämpft, Filmstart ist am 29. Dezember.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.