„Kondome wurden Ohrringe“

Tiberius-Gründer Karl Ammerer (l.) und sein Partner, Designer Marcos Valenzuela.
Tiberius-Gründer Karl Ammerer (l.) und sein Partner, Designer Marcos Valenzuela.(c) Akos Burg
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25 Jahre Tiberius: Wie ein Elektronikhändler und ein kolumbianischer Opernsänger einen einstigen Fetisch-Laden zum Mode-Label gemacht haben.

Da ist Karl Ammerer, groß, breit, ruhig. Und da ist Marcos Valenzuela, klein, quirlig und ganz Designer – bis er lacht und die Stimme aus seinem Brustkasten den ganzen Raum füllt. Dann glaubt man ihm auch, dass er einst einen ganz anderen Berufswunsch hatte. Er ist ausgebildeter Opernsänger. Und wenn heute Abend an der Volksoper Annemarie Kremer in der Premiere des „Wunders der Heliane“ eine Tiberius-Robe trägt, dann schließt sich zum 25-Jahr-Jubiläum des Labels in gewissem Sinn auch ein Kreis.

Es sei eine bewegte und gewagte Geschichte, auf die sie da zurückblicken, sagt Karl Ammerer, während er sich im Atelier in der Lindengasse an den weißen Tisch lehnt, an dem Marcos Valenzuela sonst an seinen Entwürfen sitzt, und im Hintergrund leise „Così fan tutte“ läuft. Rebellion sei am Anfang von Tiberius gestanden – gesellschaftliche, aber vor allem private Rebellion. Ammerers Eltern handelten mit Geräten für Grafikdesigner, er arbeitete mit, „durfte aber nichts entscheiden“. Also beschloss er, seine eigene Firma zu gründen, „und zwar nicht für Strickmoden. Hauptzweck war, meinen Vater zu blamieren“.

Wiens Schwulenszene sei damals in den frühen Neunzigern in „Motorradfahrer und Prinzessinnen“ geteilt gewesen, er selbst gehörte zu Ersteren und begann, Lederaccessoires aus der Schachtel an Freunde zu verkaufen. Tänzer in U4 und Technischem Museum trugen seine Sachen, der Life Ball wurde größer, das Interesse unter Partygängern wuchs. Ammerer eröffnete ein Geschäft, bald kamen auch Damen als Kunden. Als der Kolumbianer Marcos Valenzuela zum ersten Mal im Tiberius-Geschäft stand, gab es dort noch Reitgerten und Kondome. „Oh mein Gott, ein Fetisch-Shop. Das war meine Reaktion – ohne zu wissen, dass es Karl war, der diese Subkultur nach Wien gebracht und mit etabliert hat.“

Valenzuela sagt das durchaus mit Anerkennung. „Wenn ich etwas verehre, dann sind es Menschen, die keine Angst haben, große Schritte zu setzen.“ Furchtlosigkeit sei eines seiner Lieblingswörter – auch wenn es ihm, gleich wie die „Zwetschgen“, auch nach 20 Jahren in Österreich noch Probleme macht. Aber: „Dass Karl keine Angst hat, finde ich sehr toll.“ Er selbst fing mit dem Stil freilich eher wenig an. „Das bin ich einfach nicht.“

„Die nächste Kathleen Battle“

Sein Traum war gewesen, der nächste Jose Carreras zu werden – „oder die nächste Kathleen Battle. Ihre Koloraturen waren genial, und sie hat Oscar-de-la-Renta-Kleider getragen“. Als hyperaktives Kind hatten ihn seine Eltern einst mit allem Möglichen beschäftigt, er hatte gesungen und getanzt, dazu mit 16 einen Abschluss in Modedesign. Mobbing habe er durchaus zu spüren bekommen. „Ich war völlig unbegabt für Fußball, dafür konnte ich den ganzen Tag Pliés machen.“ Schließlich schickten ihn seine Eltern nach Europa, wo er am Wiener Konservatorium zum Opernsänger ausgebildet wurde. Auch das Ballett gab er erst mit Mitte 20 auf, „da war schon Tiberius in meinem Leben“.

Wäre er nicht aufgetaucht, hätte Karl Ammerer Tiberius längst zugesperrt. Im Familienunternehmen hatte er mit seinem Bruder auf Druckweiterverarbeitung umgesattelt, sein Fokus hatte sich verlagert. Rückblickend sei die Entwicklung zwar keine geradlinige, aber eine stimmige gewesen. Und wenn heute Praktikanten von den Modeschulen kämen, wüssten die von der anrüchigen Vergangenheit gar nichts mehr. Dabei blieb Tiberius immer auch Concept Store, mit Schuhen und Parfüms, „und aus den Kondomen wurden Ohrringe“. Desirée Treichl-Stürgkh holte Valenzuelas Abendkleider schließlich in den Couture-Salon für die Künstler des Opernballs, Johanna Rachinger öffnete für eine Modenschau die Nationalbibliothek und trägt selbst Tiberius auf Bällen.

Gleichzeitig haben die beiden auch privat ihren Weg gefunden. Großartig die Geschichte der ersten Dates von Frühaufsteher Valenzuela mit Nachtmensch Ammerer. Er könne ab 22 Uhr nicht mehr denken, schildert der Kolumbianer, und habe Ammerers Oberösterreichisch nachts noch weniger verstanden als sonst. Irgendwann stellte er ihn vor die Entscheidung: „Hochdeutsch oder Früh-Dates.“ Es wurde ein Kompromiss. Inzwischen sind die beiden verheiratet. Und wenn sie sagen, dass es der Humor ist, der alles zusammenhält, glaubt man ihnen gern.

AUF EINEN BLICK

Tiberius wurde vor 25 Jahren von Karl Ammerer als Fetisch-Store gegründet. Als sein Partner Marcos Valenzuela einstieg, begannen die beiden, daraus eine Modemarke zu formen. 2014 und 2015 statteten sie die Baletttänzerinnen für die Eröffnung des Opernballs aus. Für „Das Wunder der Heliane“, das heute in der Volksoper Premiere hat, entwarf Valenzuela die Roben für Annemarie Kremer und Martina Mikelić.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2017)

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