Ein Postkartensammler auf Wanderschaft

Thomas Vieh vor seinen Trophäen. Die Kommoden enthalten die gesammelten Postkarten.
Thomas Vieh vor seinen Trophäen. Die Kommoden enthalten die gesammelten Postkarten.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Thomas Vieh hat 37.000 Postkarten aus österreichischen Gemeinden und ist fast jeden dieser Orte einzeln abgegangen. Warum macht er das?

Der Schatz ist gut versteckt. In einem kleinen Reihenhaus in der Donaustadt, dort wo ein paar alte Frauen an der Straßenecke noch über Rauchfangkehrer schimpfen, vorbei am Kabaretthaus Orpheum, die Straße entlang, hinter einem Gartentor mit vorgeschobenem Riegel, den Hauseingang hinein, die steile knarrende Treppe mit dem Rundgewölbe in grüner Farbe hinauf und dann gleich nach links, da ist es, das „Museumszimmer“, wie Thomas Vieh es nennt. Hier bewahrt er die Anstrengungen der letzten zwanzig Jahre auf: 37.000 Ansichtskarten österreichischer Gemeinden. Fast alle davon hat er selbst besucht.

Thomas Vieh ist Anfang 50, selbstständiger Übersetzer, und er hat ein ungewöhnliches Hobby. Er sammelt Postkarten von Orten, zu denen er zu Fuß gegangen ist. In Wien, Niederösterreich und Oberösterreich hat er nach eigenen Angaben schon jede Gemeinde gesehen. In Salzburg seien schon viele auf seiner Liste abgehakt. Die Postkarten, sofern es welche gibt, sind die Trophäen, die er von diesen Reisen mitnimmt. Er bewahrt sie in drei hüfthohen Holzkommoden, die, umgeben von gesammelten Bierflaschen in Glasvitrinen und sortierten Magazinausgaben, in Schubladen gestapelt und nach Bundesländern geordnet sind. Alle alphabetisch gereiht und nach Fotostudio und Verlagsnummer separat inventarisiert. Sie zeigen die Staatsbrücke in Salzburg in mindestens neun Perspektiven, mit gewelltem Rand und glattem, mit weißer Umrahmung und in schwarzweiß. Sie zeigen Röthis in Vorarlberg in sicher vierfacher Ausführung. Oder den Donaupark in Wien.

Unbeschriebene Karten. Thomas Vieh sammelt ausschließlich „ungelaufene“ Karten. „So heißt das unter Sammlern“, erklärt er. Das bedeutet, dass sie nicht beschrieben, nicht gestempelt worden sind und keine Briefmarke haben.

Dabei hatte es damals, vor zwanzig Jahren, ganz anders begonnen. Thomas Vieh geht in den kleinen Garten hinter seinem Haus, nimmt eine Zigarette aus der Schachtel und zieht die Gartentür fest hinter sich zu. „Damit die Nachbarskatzen nicht ins Haus kommen. Das wäre schlecht fürs Papier“, sagt er. Er nimmt einen Zug von der Zigarette. „Begonnen hat das eigentlich mit einer Korrespondenz“, sagt Vieh. Einer romantischen.

Er hatte die Frau damals 1996 auf einem Fest in Wien kennengelernt. Sie hätten gleich das gehabt, was Vieh verklärt als „die Möglichkeit eines unendlichen Gesprächs“ nennt. Also ein Gespräch von dem man weiß, dass es nicht aufhören muss, weil einem immer wieder etwas Neues einfällt.

Fast täglich schrieben sie sich daraufhin Botschaften auf Ansichtskarten. Er nach Salzburg, sie nach Wien. Ein halbes Jahr ging das so, dann riss der Kontakt ab. Die Frau war weg, aber die Leidenschaft für die Postkarten blieb. Also machte sich Vieh auf den Weg, um bei Wanderungen neue Postkarten zu besorgen. Einen Führerschein hat er bis heute nicht. Außerdem seien manche Orte gar nicht so gut durch Straßen erschlossen, meint er. Zug und Bus bringen ihn daher an die Ausgangsorte seiner Touren, damit er nicht jedes Mal von Wien aus starten muss.

Das Wandern zählt seither zu seinen regelmäßigen Beschäftigungen. Vor vier Jahren begann er zusätzlich Ansichtskarten in Antiquitätenhandlungen oder gezielt auf Flohmärkten zuzukaufen. „Ich sammle vor allem Karten aus den 50er- bis 80er-Jahren“, sagt Vieh. „Da gefällt mir die Ästhetik.“ Schwarzweiß, ohne viel Schrift, schlicht, stilvoll.

Fünf Orte auf 40 Kilometer. Schon als Junge war Vieh viel in den Bergen, hat im Sommer Wanderungen in Tirol mit der Familie gemacht. „Aber als Kind hat mich das nicht so begeistert, da war das Schwammerl suchen toll. Das Wandern kam erst später mit den Ansichtskarten wieder.“ Heute geht Vieh zwei Mal im Monat auf Tour. Dafür legt er schon einmal 40 Kilometer zurück. Vier oder fünf Orte schafft er dann.

Er nimmt sich dann Zeit, kommt im Gasthaus mit den Menschen ins Gespräch und erzählt von seinem Vorhaben. Da käme es schon vor, dass plötzlich ein längst geschlossener alter Greißler für ihn geöffnet wird und ein paar alte Schmuckstücke ausgegraben werden. Das sind besondere Glücksmomente für Vieh. „Das sind Greißler, wie ich sie noch von meiner Kindheit her kannte.“

Aufgewachsen ist er mit seinen Eltern und seiner Schwester in dem kleinen Reihenhaus in der Donaustadt. Er hat in Wien Russisch und Spanisch studiert und als Übersetzer für die Österreichische Zigarettenfilter Gesellschaft gearbeitet. Ein Job, der seinen Tabakkonsum „verfestigt“ hat, wie er sagt.

Danach hat er in Estland Deutsch unterrichtet und hat später, zurück in Wien, die Organisation für den Kunsttherapielehrgang gemacht. Heute arbeitet er wieder als Übersetzer.

Die Sprache ist für ihn ein wichtiges Werkzeug: Vieh tritt auch bei Poetry Slams mit selbstverfassten Texten und Gedichten auf. Ein Tier, erzählt er, kommt dabei immer wieder vor. Der Tukan, der Vogel mit langem krummen Schnabel, der nicht fliegen kann.

Thomas Vieh umgibt sich gern mit Erinnerungsstücken. Seine erste Schreibtafel, auf der er mit Kreide schreiben gelernt hat, hat er ebenso noch, wie eine Kollektion von Holzpilzen und ein komplett unterschriebenes Foto der Rapid Mannschaft von 1985 und daneben stapelweise Eintrittskarten. „Aber ich betreibe nichts davon so aufwendig wie das Ansichtskarten sammeln“, sagt Vieh.

Jetzt, nachdem sein Vater verstorben ist und er das Haus wieder bezogen hat, möchte er es ausbauen. Auch um mehr Platz für seine Sammlung zu schaffen. „Ich möchte ganz Österreich zu Fuß begehen“, sagt er. „Da werden nochmal drei- bis viermal so viele Karten dazukommen.“ Die nächste Wanderung steht jedenfalls schon fest: Diesmal geht es nach Bad Aussee. ?

Hobbysammler

Thomas Vieh hat ein ungewöhnliches Hobby. Er sammelt Postkarten von Orten, die er zu Fuß besucht hat. In Wien, Niederösterreich und Oberösterreich hat er nach eigenen Angaben schon jede Gemeinde gesehen. Einmal dort, kauft er sich Postkarten (zum Teil in mehrfacher Ausführung). Insgesamt hat er so schon 37.000 Postkarten von Österreich gesammelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2017)

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