Gespür für Sex: Erster Orgasmus mit 79

Elfriede Vavrik.
Elfriede Vavrik.(c) Clemens Fabry
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Tabubrecherin? Sexsüchtige? Clevere Geschäftsfrau? Früher verfasste Elfriede Vavrik Märchen für Kinder. In "Nacktbadestrand" schreibt sie heute über Sex im Alter und ihren ersten Orgasmus mit 79.

This is where the magic happens“, sagen die Amerikaner. Für Elfriede Vavrik stimmt der Satz. Im Schlafzimmer der 80-Jährigen geht es seit einem Jahr heiß her. Mit 79 Jahren erlebte sie ihren ersten Orgasmus – und seither möchte sie nicht mehr auf Sex verzichten. „Ich wusste nicht, dass ich Sex so empfinden kann“, stellt Vavrik fest.

Diese Empfindung hat sie jetzt auch in ihrem ersten Buch festgehalten. Darin begibt sie sich auf die Spuren von Charlotte Roches „Feuchtgebiete“, dem Aufreger der 2000er-Jahre. Denn Elfriede Vavrik hat den Sex für sich entdeckt – und lässt nun mit „Nacktbadestrand“ die ganze Welt daran teilhaben. In ihrem Buch erklärt sie, dass ihr, nachdem sie ihre Buchhandlung aufgegeben hatte, zu Hause die Decke auf den Kopf fiel. Natürlich sei ihr fad gewesen, gesteht Vavrik. Es geht aber auch um Geld: Mit dem Buch will sie ihre kleine Pension aufbessern. Und wenige Dinge verkaufen sich so gut wie gebrochene Tabus.

Es begann mit einem Inserat. Mehr als hundert Zuschriften bekam sie darauf. Mit vielen Bewerbern telefonierte sie nur, mit einigen traf sie sich, mit einer Handvoll ging sie gleich ins Bett: mit einem 25-jährigen Selbstständigen („wundervoll“); mit einem verurteilten, muskelbepackten, über und über tätowierten Mörder („ein harmloser, unschuldiger, armer Mann“) und mit einem Musiker („Vorliebe griechisch“).

Aufmerksamkeit und Mitgefühl. Frau Vavrik suchte aber nicht nur Sex. Sie würde die „Aufmerksamkeit“ und das „Mitgefühl“ der Männer schätzen. „Gute Gespräche und gemeinsame Interessen“ wären ihr auch wichtig, sagt sie. Deswegen ließ sie mittlerweile von ihren jugendlichen Bettgespielen wieder ab. Ihre aktuellen Liebhaber sind beide um die 50 Jahre alt. Obwohl die Männer-Generation 50+ vor den Augen der alten Dame nicht unbedingt Gnade findet: Wenn sie unsportlich sind, wären sie ihr zu schwabbelig und würden im Bett nichts mehr taugen.

„Ich habe mir die ausgesucht, die mir zustehen“, sagt Vavrik über ihre Sexualpartner. Sie hat deshalb gleich zwei davon. Die 80-Jährige behauptet, Männer wären nicht für die Monogamie geschaffen; sie selbst aber auch nicht. Für Gruppensex sei sie allerdings nicht zu haben. Ihre Liebhaber wissen voneinander, kennen sich aber nicht. Die alte Dame wolle sich voll und ganz auf einen Mann „konzentrieren“, dabei würde der jeweils andere stören.

Dass viele junge Menschen Altensex „grauslich“ finden und ihn sich lieber nicht vorstellen wollen, versteht Vavrik: „Man ist ja nicht mehr so appetitlich. Ich habe keine glatte Haut, habe Falten und kann nicht mehr bieten, was ein junger Mensch bieten kann. Aber die, die zu mir kommen, erwarten nicht, dass ich ausschau wie eine 18-Jährige. Die Jungen werden auch noch draufkommen, dass es in Ordnung ist.“ Vavriks vorwiegend weibliche Leserschaft ist begeistert – sagt zumindest sie. Ihre 87-jährige Schwester meinte etwa: „Du warst immer anders, und ich find das großartig.“

In vollen Zügen genießen kann Frau Vavrik ihren Erfolg derzeit allerdings nicht: Nach einem Oberschenkelhalsbruch kann sie sich nur schwer in ihrer kleinen Wohnung bewegen. Jeder Schritt ist mühsam. Als der „Presse“-Fotograf sie fragt, ob er sie auf dem Bett ablichten dürfe, fackelt Frau Vavrik jedoch nicht lange. Er gefällt ihr.

Und so stellt die alte Dame ihre Gehhilfe in die Ecke und posiert wie ein Model auf dem grauen französischen Polsterbett. Jetzt könnte man fast vergessen, dass man eine 80-Jährige vor sich hat. Sie wirkt viel jünger und sieht frisch aus, trägt dezentes Make-up und eine moderne Frisur, die ihr Gesicht weich erscheinen lässt. Das warme Licht im hellgelb gestrichenen Schlafzimmer verstärkt den Effekt auch noch, fast so, als wäre man im Fotostudio. Frau Vavrik scheint es zu genießen, im Mittelpunkt zu stehen, und fühlt sich sichtlich wohl. Seit sie wieder ein aktives Sexleben hat, fühlt sie sich frei, sagt sie. Total frei.

Komplexbehaftet und prüde. Schockieren wolle Vavrik mit ihrem Buch aber nicht. Ursprünglich war es an Männer adressiert, weil die „so etwas“ gerne lesen würden. Gleichzeitig will sie aber auch Frauen ihres Alters Mut machen. Ihre Generation sei prüde erzogen worden, über Sex habe man nicht gesprochen. Sie selbst habe als junge Frau mit vielen Komplexen gekämpft, habe sich geniert, sich vor ihrem ersten Ehemann auszuziehen. Sie wuchs auf mit: „Hände da unten, pfui, weg.“

Dennoch sieht Vavrik sich nicht als Emanze. Vor allem hält sie nichts von Gleichberechtigung im Bett. Vehement besteht sie darauf, nicht der fordernde Part sein zu wollen. Der Mann müsse seine Wünsche an sie herantragen, sagt sie. Trotzdem weiß die 80-Jährige, was sie tut und was sie erleben will.

In „Nacktbadestrand“ beschreibt die Pensionistin detailliert ihren Sex. Sie lässt ihre Leser nicht einmal im Unklaren darüber, wie genau sich ihre Darmwände anfühlen, wenn sie Analsex hat. Zwischen Spitzendeckchen, Lampen im Tiffany-Stil und Herrgottswinkel sind „Sex“, „Orgasmus“ und „Selbstbefriedigung“ allerdings noch die anstößigsten Worte, die sie ausspricht. Denn im Interview erweist Vavrik sich als gekonnte Drumherumrednerin. Kein einziges Mal macht sie Gebrauch von der expliziten Sprache in ihrem Buch. Anstatt auf den Punkt zu kommen, lächelt sie nur wissend und verschmitzt.

Als Charlotte Roche für Alte sieht sie sich dennoch nicht. „Feuchtgebiete“, meint sie, finde sie sogar schrecklich. Ihr Zugang sei ein anderer. Geschrieben habe sie ja schon immer gern, in ihrer Jugend verfasste sie etwa Märchen für Kinder. Ob auch „Nacktbadestrand“ ein paar Elemente eines Märchens in sich trägt? „Die Kurzgeschichten zwischen den Kapiteln“, meint sie, „sind frei erfunden.“ Und die Geschichte selbst? „Das ist tatsächlich passiert.“ Und lächelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

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