Ute Bock: "Gott hat ihm zehn Jahre aufgebrummt"

Bock Gott zehn Jahre
Bock Gott zehn Jahre(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Früher half Ute Bock als Erzieherin vernachlässigten Kindern, heute ist sie für Flüchtlinge in Wien oft die letzte Hoffnung. Im Interview mit der "Presse" erzählt sie von braven Hausherren und garstigen Schützlingen.

Sie haben gesagt, Sie könnten zwar nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass alle Ihre Schützlinge die Wahrheit sagen – aber die Treppe, über die sie laut Polizei alle runterfallen, möchten Sie gerne sehen. Wie viel Humor braucht man für Ihren Job?

Ute Bock: Ich habe damals ein paar Asylwerber aus der Schubhaft bekommen, alle mit Verletzungen – und im Bericht ist jedesmal gestanden, sie seien die Stiegen hinuntergefallen. Da habe ich einem der Beamten erklärt: Wenn eure Treppen in einem so schlimmen Zustand sind, dann werdet ihr bald Probleme mit der Baupolizei bekommen. Ohne Humor müsste man sich aufhängen. Die Menschen sind so grauslig geworden!

Grausliger als früher?

Ich habe ja im Jugendamt gearbeitet, ich war Heimleiterin, Erzieherin. Ich habe über 35 Jahre immer mit der Bagage zu tun gehabt, mit dem ganzen Gesindel von Wien. In jeder Familie, in der es Kriminelle gibt, kenne ich einen. Aber früher hat man versucht, für diese Menschen Möglichkeiten zu schaffen. Wir hatten Kinder, die mit sechs Jahren ins Heim gekommen sind und es erst nach der Berufsausbildung verlassen haben. Sie haben einen Fürsorger an die Seite gestellt bekommen, wir haben ihnen eine Wohnung besorgt, wir haben zu ihnen Kontakt gehabt. Das ist eingestellt worden. Früher hat es geheißen: Gott sei Dank, der ist noch nicht großjährig, da kann man noch etwas machen. Heute heißt es: Der wird eh in einem halben Jahr großjährig, da müssen wir nichts mehr unternehmen.

Was bedeutet Nächstenliebe für Sie?

Sie haben ja schon am Telefon erklärt, dass Sie mit mir darüber sprechen wollen. Wissen Sie, was ich gesagt habe, nachdem ich aufgelegt hatte? In der Bibel heißt es, du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst. Unsere Gesellschaft hat daraus gemacht: Du sollst ihn hassen wie dich selbst. Da geht eine alte Schachtel vorbei und keppelt hinter uns her – steht mit einem Fuß im Grab und hat noch immer nicht genug von den Grausligkeiten. Aber es gibt zum Glück genug andere: Menschen, die mir jeden Monat sechs oder zehn Euro überweisen – und das sind keine Reichen! Dann wieder kommt es vor, dass jemand zu mir kommt und mir 30.000 Euro auf den Tisch legt. Es gibt auch zwei Hausverwaltungen, die uns unterstützen. Weil immer wieder von Lenikus die Rede ist, weil er so ein ekelhafter Hausherr ist. Aber mir hat er immer wieder Wohnungen zur Verfügung gestellt.

Es hieß, er mache das, damit die regulären Mieter im Haus aufgeben und ausziehen.

Und wenn? Mir ist das egal. Ich rede ja vorher mit den Mietern, damit ich sie beruhige, damit ihnen nicht gleich schlecht wird, wenn sie die ganzen Schwarzen sehen – früher hatte ich ja sehr viele Schwarze, jetzt nicht mehr, weil sie alle sofort abgeschoben werden. Jedenfalls treffe ich im Stiegenhaus eine alte Frau, ich stelle mich vor, sage ihr, sie soll anrufen, falls es was gibt. Diese alte Frau hat zu mir gesagt: „So will er das also machen, der Lenikus. Raushaben will er uns. Aber I fürcht mi ned. Soll'n sie ruhig kommen, die Schwarzen!“ Aber manchmal regen sich die Leute auch auf – meistens die Ausländer. Im zehnten Bezirk haben wir ein Haus, in dem fast nur Jugoslawen wohnen: Die rufen sogar an, wenn im Hof ein Sackl steht! Das ist Hühnerhof, diese Hackordnung. Ich sage immer: „Der ärgste Feind des Ausländers ist der Ausländer.“

Sie sprechen nicht sehr schön von Ihren Schützlingen.

Das ist ja auch nicht schön. In der Zogmanngasse wohnte eine Frau, deren Mann hat ihr immer wieder gedroht, er hängt sich am Klo auf. Wenn sie die Klospülung gehört hat, hat sie gewusst: Er lebt noch. Irgendwann ist die Spülung halt nicht gegangen. Sie hat nicht gleich nachgeschaut: Sie ist zuerst zur Hausmeisterin gegangen! Die war genauso grausig wie diese Tschetschenenfrauen, über die ich mich so aufrege, weil sie so gemein zu ihren Kindern sind: Heute habe ich einen Rollstuhlfahrer ins Spital bringen lassen – und die Frau wollte unbedingt mitfahren. Hat vier Kinder, die sie allein lässt! Die Kleinste hat so gebrüllt, dass in dieser Gasse die Leute aus den Lokalen gekommen sind, weil sie geglaubt haben, es wird jemand abgestochen! Für die Kleine ist das ein Trauma. Wenn Menschen in Bedrängnis sind, sind ihnen die Kinder oft komplett egal.

Aber Sie lassen sich nicht davon abhalten?

Ich sage immer: Auch ein grausliger Mensch hat das Recht auf etwas zu essen und ein Dach überm Kopf. Manchmal beschimpfen sie mich. Neulich war einer da, dem habe ich nichts gegeben, einfach weil ich nichts hatte. Er ist aus dem Büro gegangen und hat laut gesagt: „Blöde Hur“. Die Buben im Vorzimmer haben das gehört: Ob sie ihm Hausverbot erteilen sollen, haben sie mich gefragt. Das sind junge Leute, die nehmen alles schnell persönlich. Als er das nächste Mal gekommen ist, habe ich ihm zwei Zwanziger gegeben und ihm gesagt: Fünf Euro krieg ich wieder zurück, die sind für die Hur.

Wie sind Sie Erzieherin geworden?

Das war ein Irrtum. Ich wollte nach der Matura einen Job bei der Stadt Wien – aber Maturanten wurden nur im Erziehungsdienst aufgenommen. Das soll ich ein, zwei Jahre machen, hat man mir gesagt, dann würde ich in die Verwaltung versetzt. Ich habe das erste Mal gesehen, wie schlecht es Kindern gehen kann! Manche meiner Kollegen waren ehemalige SSler. Da ging es nur um eine geordnete Zweierreihe und geputzte Schuhe. Da bin ich geblieben.

Was ist der Unterschied, wenn man mit Kindern oder mit Erwachsenen arbeitet?

Keiner. Ich behandle alle gleich. Das liegt vielleicht auch am Altersunterschied: 50-Jährige sind für mich Buam.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? Daran, dass gute Taten belohnt werden?

Nein, und ich will auch nicht wieder auf die Welt kommen, das möchte ich gleich festhalten. Warum soll ich weiterleben und die Mücke, die ich gerade habe erschlagen müssen, weil sie mir dauernd am Bildschirm pickt, nicht?

Sie sind also nicht gläubig?

Ich bin keine Kirchgängerin. Aber ich hoffe wirklich nicht, dass der Mensch nur das Ergebnis von schlechten chemischen Verbindungen ist.

Hilft der Glaube Ihren Schützlingen?

Ich bin schon froh, wenn einer das kann, an Gott glauben. Wenn er einen Anker hat. Gerade für die Schwarzen ist Gott sehr wichtig. Die gehen jeden Sonntag in die Kirche. Das ist ja nicht nur ein Gottesdienst, man isst nachher zusammen, die Erwachsenen gatschen, die Kinder tanzen... Aber der Glaube kann auch zu weit gehen. Der Hauptverdächtige der „Operation Spring“ war ja ein armer Irrer. Er hat immer Heiligenbilder verkauft. Vor der Verhandlung habe ich ihn gefragt: „Hast du dir einen Anwalt genommen?“ Und er hat geantwortet: „Gott wird mir helfen.“ Hat man ja gesehen: Zehn Jahre hat ihm der liebe Gott gegeben.

Was ärgert Sie im Moment an der Politik am meisten?

Das Problem ist ja nicht nur der Strache, das Problem ist, dass es ihm alle anderen nachmachen. Der Strache sagt was, es folgt eine schöpferische Pause, und dann sagt der Häupl irgendwas wie: „So nicht wie der! Aber irgendwie doch.“ Im Endeffekt sagt er genau dasselbe. Statt dass er sich hinstellt und sagt: „Wir sind nicht wahnsinnig begeistert über die vielen Fremden, aber sie sind nun einmal da und wir wollen, dass sie ordentlich untergebracht sind, dass sie genug zu essen haben, dass sie was lernen und arbeiten gehen.“ Was die Leute am meisten stört, ist ja, dass die Asylwerber nix hackeln. Da steht jemand um fünf Uhr früh auf und geht zur Hacke, während der Asylwerber noch tief und fest schläft. Und wenn er dann müde nach Hause kommt, wird der andere erst so richtig lustig, lädt sich Freunde ein... Der denkt sich doch: „Ich arbeite mich für einen Trottel, und der braucht das nicht und lebt auch.“ Ich finde, die Politik agiert unlogisch: Wenn ich mich schon so wahnsinnig vor den Asylanten fürchte, dann will ich doch wissen, wo sie wohnen, wo sie sich aufhalten. Dann möchte ich nicht, dass sie irgendwo im Untergrund verschwinden!

Haben Sie sich in den 35 Jahren nicht manchmal gedacht: „Jetzt reicht es, jetzt hau ich den Hut drauf?“

Nein, aber das liegt sicher an meiner konservativen Erziehung. Ich bin so aufgewachsen, dass man nicht zeigt, wenn man etwas nicht schafft, dass man allein mit den Sachen fertigwird. Da muss man durch, nachgeben gilt nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.