Asserate: "Kappt den Despoten die Lebensschnur"

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Er war gerade in Deutschland, als er mit einem Schlag Vater und Heimat verlor: Der "Presse am Sonntag" erzählt Prinz Asfa-Wossen Asserate vom Umsturz der äthiopischen Monarchie und den weitreichenden Folgen.

Die nordafrikanischen Länder sind in Aufruhr. Macht sich auch beim äthiopischen Volk Unmut breit gegen jahrelange Repression, Armut, Hungersnot und Machtpackelei?

Prinz Asfa-Wossen Asserate: Eine Aufbruchstimmung merkt man unterschwellig auch in meinem Land – zunächst aber brodelt es nur in den Köpfen. Die Studenten sind bislang noch nicht auf die Straße gegangen. Doch wie lange noch? Seit dem Ende des Mengistu-Regimes 1991 sahen viele einer neuen Ära entgegen. Der notwendige Demokratisierungsprozess ist wieder ins Stocken geraten. Nach 20 Jahren wurden meine Hoffnungen diesbezüglich nicht erfüllt.

Was war Ihre spontane Reaktion beim Anblick der friedlichen Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz?

Endlich, endlich! Ein Hoch auf die neue afrikanische Jugend, die sich nichts mehr von Europa diktieren lässt, nach dem Motto: Wir haben den Führer für euch ausgewählt ...

Kann man tatsächlich behaupten, dass Europa einen Gaddafi oder Mubarak für das libysche bzw. ägyptische Volk ausgesucht hat?

Nicht gerade ausgesucht. Doch als diese Herrscher an der Macht waren, hat der Westen sie zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil wie die Götter verehrt, völlig ungeachtet dessen, wie sie mit ihrem eigenen Volk umgegangen sind. Nehmen wir etwa Gaddafi. Er ist bekanntlich schon immer unberechenbar gewesen. Doch die Europäer haben schamlos beide Augen zugedrückt, ihn überall empfangen, um von seinem Erdöl zu profitieren. Und Tunesien war bis vor dem Umsturz der größte Verbündete Frankreichs. Mein Kontinent demonstriert jetzt nicht nur gegen die einheimischen Gewaltherrscher. Die Revolte ist auch ein klarer Appell an Europa: „Hört endlich auf, unsere Diktatoren zu unterstützen!“

Wie können wir Europäer am ehesten der unterdrückten Bevölkerung in Afrika helfen?

Indem die Politiker nicht nur am Sonntag für ihre Wähler in Europa Demokratie und Menschenrechte predigen, um dann am Montag darauf genau das Gegenteil in ihrer Afrika-Politik umzusetzen. Diese verlogene Realpolitik soll endlich aufhören. Das ist der Kern des Problems!

Hieße dies, wenn unsere westlichen Politiker den afrikanischen Gewaltherrschern finanziell das Wasser abgraben würden, gäbe es dort à la longue keine Despoten mehr?

So ist es. Wenn diese Diktatoren merken, dass es ganz Europa endlich ernst meint, dann würden sie es nicht mehr wagen, ihr eigenes Volk derart zu unterjochen. Die afrikanischen Länder würden endlich mit demokratisch gewählten Politikern eine reelle Chance erhalten, ein menschenwürdigeres Dasein zu führen. Deshalb empfehle ich dringend eine gemeinsame europäische Afrika-Politik.

Und was kann Europa konkret tun, damit die Flüchtlingswelle der afrikanischen Desperados nicht in eine regelrechte Flüchtlingsflut ausartet?

Das ist die größte Herausforderung des 21.Jahrhunderts. Die Europäer beklagen sich über die wachsende Zahl der Flüchtlinge, haben aber noch nicht erkannt, dass die größten Produzenten von Migranten auf dieser Welt die afrikanischen Gewaltherrscher sind. Noch einmal: Kappt diesen Despoten die Lebensschnur, sonst kann es passieren, dass übermorgen sieben Millionen hungrige Afrikaner ihrem Kontinent den Rücken kehren und nach Europa strömen. Ein durchaus realistisches Horrorszenario!

In der Entwicklungshilfe – dem Motto folgend „Hilfe zur Selbsthilfe“ – haben wir gelungene Beispiele, wie das Lebenswerk des Schauspielers Karlheinz Böhm und seiner äthiopischen Frau Almaz mit ihrer „Stiftung Menschen für Menschen“ in Ihrem Land ...

Ja, im Bildungs- und Gesundheitswesen haben beide Großartiges geleistet. Man denke nur an die Errichtung von über 240 Schulen und rund 90 Krankenstationen!

Glauben Sie, dass Ihre Landsleute in 20 Jahren diese laufenden Projekte auch ohne Fremdhilfe weiterführen können?

Sicher. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, Verantwortung für sich zu übernehmen, ist die Chance für eine erfolgreiche Entwicklung in Äthiopien sehr groß.

Den wenigsten ist bekannt, dass Christen und Muslime in Äthiopien seit 1541 ein Leben gutnachbarlicher Koexistenz führen. Wieso funktioniert das in Ihrem Land?

Weil es das Land der drei abrahamitischen Religionen ist. Die Europäer kennen nur Äthiopien als eines der ältesten christlichen Länder der Welt. Sie wissen aber nicht, dass Äthiopien die älteste muslimische Gemeinde außerhalb Mekkas und Medinas ihr eigen nennt und der einzige Staat der Welt ist, wo der Islam nicht mit Feuer und Schwert ins Land gekommen ist, sondern die ersten muslimischen Flüchtlinge der Welt im Jahre 625 Zuflucht gefunden haben. Inzwischen sind von den 85 Millionen Äthiopiern rund 40% Muslime. Bis jetzt gibt es gottlob keinen islamischen Fundamentalismus bei uns.

Äthiopien ist umkreist von Krisenherden: Eritrea im Norden, Somalia im Südosten und Sudan im Westen. Wird Ihnen bei dem Gedanken allein nicht etwas mulmig?

Das ist nichts Neues. Für uns Äthiopier gehört dies seit Jahrhunderten zur Realität. Mit Eritrea gibt es immer noch keinen richtigen Frieden. Es wäre schön, wenn beide Bruderländer eines Tages in eine Konföderation miteinander eintreten würden, verbindet sie doch eine gemeinsame Geschichte und Kultur. In Somalia herrscht auch noch Krieg ...

... und im Sudan tobte ein 22 Jahre langer Bürgerkrieg zwischen dem islamisch geprägten Norden und dem Süden mit mehrheitlich christlicher Bevölkerung. Die Schreckensbilanz: 2,5 Millionen Tote. Nun wird am 9. Juli der Südsudan formell vom Norden unabhängig. Sind Konflikte vorprogrammiert?

Ich fürchte ja, wegen der Erdölvorkommen im Süden. Nordsudan akzeptiert zwar den Volksentscheid für einen unabhängigen Staat im Süden des Landes, doch will sicherlich nicht freiwillig auf den wertvollen Rohstoff verzichten.

Wenn Sie jetzt die Wahl hätten zwischen Äthiopien und Deutschland: Wo würden Sie heute lieber leben?

Ich möchte ein Wanderer zwischen beiden Welten bleiben: Weder kann ich auf die äthiopische noch will ich auf die deutsche Kultur verzichten.

In Deutschland sind Sie mit ihrem Bestseller „Manieren“ schlagartig bekannt geworden. Welche drei starken Eigenschaften sollte der perfekte Gentleman aufweisen?

Anmut, Demut und die eigene Person immer hinter jene seines Gegenübers stellen.

Und welche drei Eigenschaften wiederum schätzen Sie am meisten an einer Frau?

Anmut, Treue und Toleranz.

Meines Wissens waren Sie noch nie verheiratet. Haben Sie in dieser Hinsicht zu hohe Ansprüche?

Als ich hätte heiraten sollen, war ich sozusagen schon mit sieben Personen verheiratet (sechs jüngere Geschwister und seine Mutter im englischen Exil, Anm. d. Red.), da meine ganze Familie in Sippenhaft war und ich sie zur Priorität in meinem Leben machen wollte.

Sie schließen also eine Ehe aus?

Keineswegs. Ich bin schließlich erst 63 Jahre alt ... Richtig ist, dass ich derzeit mit einer Dame liiert bin – doch mein Privatleben ist mir heilig!

Haben Sie nie den Wunsch verspürt, Ihre Lebenserfahrungen auch eigenen Kindern weiterzugeben?

Ich habe Neffen und Nichten, die ich wie meine eigenen Kinder sehe und in ihnen auch mein Weiterleben.

Sie waren 1974 gerade in Frankfurt, als sie auf einen Schlag Vater und Heimat verloren haben, Mutter und Geschwister in Gefangenschaft wussten. Fühlten Sie sich nicht plötzlich wie ... ein König ohne Kleider?

Genau so war es – und wie ein Vertriebener ohne Land!

Wie haben Sie diesen radikalen Wandel seelisch in den Griff bekommen?

Dank meines Glaubens. Ich bin ein überzeugter orthodoxer Christ.

Gab es Momente, in denen Sie sich besonders einsam gefühlt haben?

Seit 30 Jahren empfinde ich eher eine gewisse Ohnmacht, was mein Engagement für ein besseres Afrika angeht. Ich fühle mich oft wie ein Einzelkämpfer, ein Rufer in der Wüste. Vielleicht ist diese Form der Einsamkeit aber mein gottgewolltes Schicksal. Ich hoffe, eines Tages fällt mein Wirken auf fruchtbaren Boden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2011)

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