Schwarzer: Das Problem der Frauen sind die Frauen

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Die deutsche Feministin und „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer hat ihre Memoiren geschrieben. Bevor sie ihren „Lebenslauf“ am Dienstag in Wien vorstellt, beantwortete sie der „Presse“ per E-Mail einige Fragen.

Die Presse: Frau Schwarzer, in der „Brigitte“ ist soeben ein ziemlich einfach gestrickter Test erschienen mit dem Titel „Wie viel Alice Schwarzer steckt in Ihnen?“. Freuen oder ärgern Sie sich über so etwas?

Alice Schwarzer: Ehrlich gesagt, fand ich die Idee wirklich komisch. Ich habe meinen jungen „Emma“-Kolleginnen, die zuständig sind für www.emma.de, die Seiten sogar zur Anregung weitergereicht. Auch „Brigitte“ kann eben durchaus gute Ideen haben.

Mit Ihrem „Lebenslauf“ wollten Sie nicht nur den ersten Teil Ihrer Lebensgeschichte von 1942 bis 1977 erzählen, sondern auch mit dem öffentlichen Bild von Alice Schwarzer aufräumen. Wie gut ist Ihnen das gelungen?

Das müssen meine Leserinnen und Leser beurteilen.

Nachdenken über die eigene Biografie bedeutet immer auch eine Konfrontation mit dem früheren Selbst, man entdeckt Ähnlichkeiten, wundert sich vielleicht auch über manches. Wie ist es Ihnen mit der früheren Alice ergangen?

Genau so ist es. Überrascht hat mich vor allem die Phase, für die mir rund 500 Briefe über drei Jahre an meinen damaligen Lebensgefährten vorlagen. Da habe ich entdeckt, dass ich zwar einerseits recht selbstbewusst war und ihn auch durchaus gefordert habe – dass ich jedoch gleichzeitig zu sehr großen Kompromissen bereit war, bis hin zum Zurückstecken im Beruf. So hatte ich mich nicht in Erinnerung.

Kann man ehrlich über sich nachdenken und schreiben, wenn man von der ganzen Nation beobachtet wird?

Man kann es nur versuchen. Ich habe mich aufs Land zurückgezogen und alles weggeschoben, mich ganz in mein Leben versenkt. Und ich habe mich selbstverständlich bemüht, so ehrlich wie möglich zu sein. Alles andere wäre ja auch Selbstbetrug.

Sie selbst haben es schon prophezeit: Es werde mehr aufregen, dass Sie Beziehungen zu Männern hatten, als umgekehrt. Wieso haben Sie Ihr Beziehungsleben so lange gegenüber der Öffentlichkeit ausgeklammert?

Weil ich ein tiefes Bedürfnis nach Schutz meines Privatlebens habe. Ich stehe schließlich seit 40 Jahren im Feuer der Öffentlichkeit, da ist ein Rückzugsgebiet lebenswichtig. Aber zu der Autobiografie einer Feministin gehört eben das sogenannte „Private“. Darum habe ich auch zum ersten Mal über Bruno gesprochen, der zehn Jahre lang mein Lebensgefährte war. Er hat sich übrigens von Herzen darüber gefreut.

Sie schreiben an einer Stelle explizit: „Mein Problem sind die Frauen.“ Genau das wird Ihnen gerne vorgeworfen, dass Sie Frauen gegenüber härter sind als Männern. Nach der Lektüre Ihrer Biografie drängt sich die Vermutung auf, das liegt an Ihrer Kindheit mit einer herrischen Großmutter und einem sehr liebevollen Großvater.

Das Problem aller Frauen sind auch die Frauen. Eine amerikanische Feministin hat in den 1970er-Jahren mal gesagt: Der erste Schritt der Frauenbewegung ist nicht die Versöhnung mit den Männern, sondern die Versöhnung mit den Frauen. Die tiefe Rivalität und Selbstverachtung von Frauen hat historische Gründe. Über Jahrtausende war die Existenz einer Frau von Männern abhängig – und jede andere Frau eine Konkurrenz, ja Bedrohung. Und was nun mein persönliches Verhältnis zu Frauen angeht: Ich bin zu Frauen nicht härter als zu Männern – aber ich nehme sie genau so ernst. Wenn ich also in der Sache etwas zu kritisieren habe, so halte ich damit nicht zurück, nur weil sie von einer Frau vertreten wird.

Dennoch fällt auf, dass Sie oft davon schreiben, mit dieser oder jener mehr oder weniger bekannten Frau, etwa mit Romy Schneider oder Margarete Mitscherlich, eng befreundet gewesen zu sein. Welche dieser Freundschaften hat den größten Einfluss auf Ihr Leben, Ihren Werdegang gehabt?

Was heißt „dennoch“? Ich beschäftige mich schließlich seit rund 40 Jahren fast ausschließlich mit der Lage der Frauen! Die Freundschaften mit Frauen bereichern mein Leben – und wenn es Frauen wie Simone de Beauvoir oder Margarete Mitscherlich sind, ist der Gewinn natürlich besonders groß.

Sie sind bei Ihren Großeltern, die sie „Mama“ und „Papa“ nannten, aufgewachsen. Welche Rolle spielte Ihre Mutter, die „Mutti“, in Ihrem Leben?

Sie hatte eher den Status einer Schwester als den einer Mutter.

Sie scheinen Konfrontationen nicht gerne auszuweichen. Machen Ihnen Auseinandersetzungen eigentlich Spaß, oder müssen Sie sich dazu zwingen?

Wenn meine Gegner und Gegnerinnen mit schofligen – also unsachlichen und persönlich diffamierenden – Argumenten kommen, dann macht es mir in der Tat Spaß, sie in ihre Grenzen zu weisen.

Sie waren früh auf sich allein gestellt. Macht das mutig?

Ja, ich hatte sehr früh Verantwortung. Das prägt mich bis heute. Und natürlich ermutigt es, wenn einem schon als kleines Mädchen von Vater und Mutter – was meine jungen Großeltern ja de facto für mich waren – viel zugetraut wird.

Manche Kommentatoren stellten fest, dass Sie in jungen Jahren glühende Linke waren und es unerklärlich ist, wie Sie heute eine konservative Kanzlerin Merkel unterstützen. Wie würden Sie sich heute politisch einordnen?

Wenn es links ist, für eine gerechtere Welt zu sein, so bin ich weiterhin uneingeschränkt links. Gleichzeitig ist es für eine Feministin doch selbstverständlich, dass sie sich freut, wenn Frauen in Männerdomänen einbrechen oder gar im Chefsessel Platz nehmen. Es hat schließlich fast ein halbes Jahrhundert gedauert, bis nach Erringung des Frauenstimmrechts in Deutschland endlich auch eine Frau Staatschefin wurde. Und nicht irgendeine Frau: Angela Merkel ist klug und integer – auch wenn sie leider nicht viel für Frauenpolitik übrig hat. Eine Kanzlerin ist ja auch nicht des Teufels, nur weil sie von der CDU ist. Und übrigens ist der politische Unterschied zwischen CDU/CSU und SPD manchmal kaum noch wahrzunehmen. Leider.

Vor wenigen Tagen hat in Berlin die Piratenpartei den Einzug ins Rathaus geschafft. Das erinnert an die Kommunistischen Gruppierungen und Spontis, bei denen in den 1970er-Jahren, wie Sie schreiben, „nur Männer das Sagen“ hatten. Hat sich in fast 40 Jahren also nichts geändert?

Ja, unter 15 Abgeordneten nur eine Frau, und die ist auch noch eine 19-jährige Abiturientin – das ist wirklich erschreckend. Anscheinend existiert in Deutschland eine linke Protestkultur, die völlig unbeleckt ist von der feministischen Kritik an der Linken in den 1970er- und 1980er-Jahren. Ich hoffe, diese Frauen fangen nicht wieder bei null an.

Österreich wird seit einiger Zeit von Korruptionsfällen in Politik und Wirtschaft erschüttert. Die Verdächtigen sind bisher ausschließlich Männer. Zufall oder logisch aus Ihrer Sicht?

Nein, das ist keineswegs ein Zufall. Schon seit Jahrzehnten zeigt uns nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern bestätigen auch zahlreiche Studien, dass Korruption in einer Men's World Männersache ist und der Kampf gegen Korruption Frauensache. Darum muss dann, wenn der Karren so richtig im Dreck steckt, in der Regel auch eine Frau ran.

Vor zwei Jahren waren Sie für längere Zeit in Wien, um Vorlesungen hier zu halten. Welche Erinnerungen haben Sie an die Stadt, in der Sie am Dienstag Ihren „Lebenslauf“ vorstellen.

Ich habe Wien in allerbester Erinnerung! Eine Gastwohnung mit Blick auf den Stephansdom, vormittags Schnittchen bei Trzesniewski, nachmittags Vorträge für aufgeschlossene, leidenschaftlich diskutierende Frauen und Männer – und abends die Wiener Küche. Ich komme also sehr gerne wieder.

Auf einen Blick

„Lebenslauf“ (KiWi, 460 Seiten, 23,70 Euro), ist der erste Teil von Alice Schwarzers Autobiografie. Darin schildert sie ihre Kindheit und Jugend, erste Jahre in Paris, den Berufsstart, die Arbeit am „Kleinen Unterschied“, die Abtreibungs-Petition im „Stern“ und die Gründung der „Emma“. Erstmals spricht sie über ihr Liebesleben und verrät, dass sie zehn Jahre mit einem Mann, danach nur mehr mit Frauen zusammen war.
Buchpräsentation: Di, 4. Oktober, 19Uhr, Hauptbücherei Wien, Urban-Loritz-Platz 2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2011)

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