"Ist das ein echter Türke?" Jude vertritt Türkei beim Song Contest

Musikshow.:Der Alternativ-Pop-Sänger Can Bonomo vertritt die Türkei beim großen Wettsingen in Aserbaidschan. Dass er Jude ist, stört viele.

Istanbul/Apa. Can Bonomo war für die meisten seiner Landsleute ein unbeschriebenes Blatt. Nur der relativ kleinen Schar der Fans alternativer Popmusik in der Türkei war der 24-jährige Sänger aus Izmir bisher ein Begriff. Nun ist Bonomo über Nacht zum prominenten Künstler geworden: Das türkische Staatsfernsehen TRT bestimmte ihn zum Vertreter des Landes beim heurigen Eurovision Song Contest im Mai in Aserbaidschan.

Seither wird in Medien und im Internet aufgeregt über Bonomo diskutiert. Und zwar nicht nur, weil er ein relativer Neuling auf der nationalen und internationalen Bühne ist: Er ist nämlich auch Jude.

Suche nach neuem Türken-Image

In früheren Jahrzehnten der Eurovision ließ sich die Türkei, in der die Entscheidung über den Beitrag bei TRT liegt, meist erfolglos von braven Schlagersängern vertreten. Doch seit einigen Jahren nutzt TRT den Bewerb vor einem internationalen Publikum, das Image der Türkei durch Künstler zu verbessern, die nicht dem landläufigen Bild türkischer Musiker entsprechen. Sertab Erener errang 2003 den bisher einzigen Sieg für Ankara, seither erzielten Ska- und Rockbands gute Plätze. Mit Bonomo geht TRT einen Schritt weiter, zumal er nicht einmal im eigenen Land sehr bekannt ist.

Auch für Bonomo war die Entscheidung überraschend. „Normal nimmt TRT viel erfahrenere Musiker.“ Er selbst sei sehr jung und habe erst seit neun Monaten das erste Album auf dem Markt. „Ich mache keine konventionelle Popmusik.“ Daher kam von arrivierten türkischen Musikern Kritik. Sie kenne Bonomo nicht, schimpfte etwa die Sängerin Hülya Avsar.

Bonomo weiß noch nicht, mit welchem Lied er im Mai in Aserbaidschans Hauptstadt Baku antreten wird. In Bälde soll er TRT drei Lieder zur Auswahl zeigen. Offen ist auch, ob er Englisch singen wird oder Türkisch. Nur eines stehe fest: Der Beitrag werde „den Orient und die Volksklänge der türkischen Musik mit einer gehörigen Portion Pop und Weltmusik vereinen“.

Doch erst seit sein Judentum allgemein bekannt sei, gewinne die Kritik an Bonomos Wahl an Schärfe, schreibt der Kolumnist Fehmi Koru. „Ein Jude wird die Türkei vertreten“, meldete eine islamistische Zeitung und fragte, ob Bonomo denn „echter Türke“ sei. „Wo sind eigentlich die türkischen Sänger?“ fragt ein Kritiker auf Twitter.

„Ich bin türkischer Jude, meine Religion ist meine Sache“, sagt Bonomo. Er sei sephardischer Jude, Nachfahre der Juden, die im 15. Jh. vor der Inquisition in Spanien flohen, unter anderem ins Osmanische Reich. Heute leben rund 30.000 Juden in der Türkei. „Meine Vorfahren leben seit mehr als 500 Jahren hier“, sagt er. „Wir wuchsen mit türkischer Kultur auf, deshalb kann ich lediglich türkische Kultur in eine Kunstform einbringen, sonst keine.“ Zudem glaube er nicht, „dass Kunst eine Religion oder ethnische Zugehörigkeit hat“.

„Toleranz hat hier Tradition“

Der Vorsitzende der Parlamentarischen Vereinigung des Europarats, Mevlüt Cavusoğlu, wies die Kritik an Bonomo zurück: Er schäme sich dafür, wie mit ihm umgegangen werde. Schließlich habe religiöse Toleranz in der Türkei eine lange Tradition. „Jeder Türke, egal wer er ist, kann die türkische Republik vertreten“, sagte Cavusoğlu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)

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