Mathias Illigen: "Ich habe getötet"

Mathias Illigen habe getoetet
Mathias Illigen habe getoetet(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Als Student schlitterte er in eine Psychose, hörte Stimmen und tötete seinen Vater. Nach Jahren der Therapie arbeitet Mathias Illigen seine Geschichte in einem Buch auf.

Mathias Illigen hat seinen Vater getötet. Mit einem Stein hat er auf ihn eingeschlagen und ihn schließlich mit einem Plastiksack erstickt. Aus rechtlicher Sicht ist das Mord. Doch Mathias Illigen wurde nicht als Mörder verurteilt. Denn zum Zeitpunkt der Tat, so beschied ihm ein Gutachten, war er nicht zurechnungs- und damit nicht schuldfähig. Seine Diagnose lautete „paranoide Schizophrenie“.

Mathias Illigen wirkt nicht wie ein Mörder. Auch nicht wie ein Geisteskranker. Er spricht normal, mit Vorarlberger Einschlag, argumentiert reflektiert, gestikuliert nicht auffällig. Nur die Beine lässt er vom Barhocker vor- und zurückbaumeln, als ein kleines Zeichen von Nervosität. Aber er hat kein Problem, über seine Vergangenheit zu sprechen. Auch nicht über jenen Tag Ende Jänner 2007, als seine Wahnvorstellungen einen Höhepunkt erreichten – und er seinen Vater als Kopf einer Verschwörung gegen sich sah. Einer Verschwörung, die sich im Lauf weniger Monate immer stärker in seinem Gehirn festgesetzt hatte.

Begonnen hatte alles mit Peter Sloterdijk. Der Philosoph schien ihn in einem Seminar an der Akademie der bildenden Künste ein paar Mal zu direkt anzublicken, ihn in seltsame Gespräche zu verwickeln – oder ihn sogar zu überwachen. „Sloterdijk stellt mich auf die Probe“, dachte Illigen. Auf einmal schien sich aber auch der Rest der Welt immer seltsamer zu verhalten. Dunkel gekleidete Menschen machten ihm Angst, ihre Gesichter erlebte der Student als Fratzen. Hoffnung gaben ihm dagegen Menschen in heller Kleidung, die er als Engel wahrnahm. Auf einmal war da auch eine Stimme, die zu ihm sprach. Und plötzlich sah er sich in einem Endkampf zwischen Gut und Böse – mit ihm als Auserwähltem, der die Welt retten musste.

Überall vermutete er Kameras, die ihn beobachteten. Er wagte nicht mehr mit der U-Bahn zu fahren, aus Angst, sich seinen Feinden auszuliefern. Selbst seine Geschwister sah er als Handlanger Satans. Ernähren konnte er sich nur noch von hellen Lebensmitteln, weil er in allen anderen Gift wähnte. Schließlich rief er seinen Vater in Vorarlberg an, weil er Geld brauchte. Bei diesem Gespräch kam ihm plötzlich der Gedanke, dass es sein Vater sein musste, der hinter der Verschwörung steckte. Illigen fuhr nach Dornbirn – und brachte ihn um.

Wenige Tage später saß er in einer psychiatrischen Anstalt. Die Dämonen verschwanden, auch die Stimme war plötzlich weg. Und spätestens, als ihm Gerichtspsychiater Reinhard Haller „paranoide Schizophrenie“ attestierte, realisierte er, was er getan hatte. In Haft musste Mathias Illigen nicht, dafür in Therapie. In mehreren psychiatrischen Einrichtungen musste er daran arbeiten, wieder zu sich zu kommen. So weit, dass die Ärzte ihn so einstuften, dass er wieder in die Freiheit durfte. Hinaus aus der Anstalt. Knappe vier Jahre später war es so weit – er galt als stabil. Und als nicht mehr gefährlich. Vier Jahre, das ist wenig im Vergleich zu einem Mörder, der 15, 20 oder noch mehr Jahre im Gefängnis verbringen muss. Doch so sieht es das Gesetz vor. Bei Unzurechnungsfähigkeit geht es nicht um Strafe, sondern darum, dass die Bevölkerung geschützt wird. So lange, bis die Krankheit abgeklungen oder geheilt ist.


„Nicht wie Breivik“. Paranoide Schizophrenie – die gleiche Diagnose wurde in einem Gutachten auch Anders Behring Breivik gestellt, dem Attentäter von Oslo, der im Juli 2011 für den Tod von 77 Menschen verantwortlich war. Ein Vergleich, der Mathias Illigen nicht besonders glücklich macht. „Für mich ist es unvorstellbar, dass jemand mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung einen Anschlag drei Jahre lang so präzise vorbereitet“, sagt er. „Das war einfach ein politisches Attentat.“

Und doch macht der Verlag, in dem Illigen seine Erlebnisse nun als Buch herausbringt, genau damit Werbung. Ein Schönheitsfehler, wie er meint, auf den er keinen Einfluss gehabt habe. „Ich oder ich“ heißt das Werk – ein „Tatsachenroman“, wie im Verlagsprogramm steht. Die Idee dahinter: „Meine eigene Geschichte erschien mir so unglaublich, dass ich sie erzählen wollte.“

Das Buch sei kein Teil der Therapie gewesen, sondern „ein Abschluss einer Lebensphase“. Illigen fühlt sich heute gut. Er muss auch die nächsten Jahre regelmäßig zur Behandlung, Medikamente nehmen, laufend zu einem Bewährungshelfer – und auf seine Gesundheit achten, denn Stress, Alkohol oder Drogen können unter Umständen dazu führen, dass es wieder zu psychotischen Schüben kommt. Aber abgesehen davon kann er sich frei bewegen. Und trotzdem – eines, sagt er, werde er wohl nie loswerden, nämlich seine Schuldgefühle. Daran ändere auch die vom Gericht festgestellte Schuldunfähigkeit nichts.

Aus dem Leben

Mathias Illigen
„Ich oder ich“. Die wahre Geschichte eines Mannes, der seinen Vater getötet hat. Edition a, 256 Seiten, 19,95 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.