H&M Design Award: Schicksalstag in Stockholm

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Preise wie der H&M Design Award sind wichtige Säulen der Nachwuchsförderung. 2015 erhielt ihn Ximon Lee.

Für die meisten war es ein ganz normaler Dienstag, vor wenigen Wochen in Stockholm. Draußen Schneetreiben, um 11 Uhr sind die meisten schon im Büro, der Verkehr fließt ruhig durch die schwedische Hauptstadt. Und während nichts darauf hindeutet, dass sich irgendwo schicksalhafte Begebenheiten zutragen könnten, wandern ein paar hip angezogene junge Menschen in langen Mänteln, oft in Grau-Schwarz gehalten, mit dunklem Hut auf dem Kopf, eine Spur weniger überdreht angezogen als ihre Hipsterkollegen aus Berlin, durch die Innenstadt.

Sie ziehen ins Zentrum von Stockholm, genauer gesagt zum Berns, einem Hotel mit beeindruckender Architektur aus dem 19. Jahrhundert, um zu erfahren, wer sich im Nachhinein das Datum als Schicksalstag rot im Kalender einkringeln kann. Und noch ehe die Modeschau, zu der sie gekommen sind, beginnt, hat sich den Besuchern das Wichtigste erschlossen. Am Ende des Catwalks, dort, wo die Models auf den Laufsteg schreiten werden, steht in weißen Lettern: „H&M Design Award 2015“, darunter der Name des Gewinners: Ximon Lee.

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Inspiration aus dem Kino. „Zu diesem Zeitpunkt war ich backstage bei den Models und sah die Kollektion zum ersten Mal vollständig und von echten Menschen getragen“, erzählt der 24-jährige Lee nach der Show. „Die Gewänder wurden plötzlich lebendig, das Ganze wurde Wirklichkeit.“ Daran habe er gedacht; an nichts anderes. Seine Nervosität war vergessen. Zu Recht. Schließlich stärkt ihm eine neunköpfige, hochkarätig besetzte Jury den Rücken. Etwa mit Luella Bartley, Chefdesignerin von Marc by Marc Jacobs, Lily Allen, der britischen Popsängerin, Justin O’Shea, Buying Director von Mytheresa.com oder Lucinda Chambers, Modechefin der britischen „Vogue“. Und auch seine Kollektion, die auf den ersten Blick recht voluminös, unförmig und klobig erscheint, hat auf den zweiten Blick durchaus Bestand. Denn sie kann allein, aber auch in Kombination getragen werden. Das liegt insbesondere an dem sogenannten Layering bzw. Zwiebelprinzip. Das heißt, mehrere verschiedene Kleidungsteile werden in Lees Kollektion übereinander angezogen, das Outfit somit geschichtet. Man kann aber auch einzelne Teile aus der Kollektion herauspicken und mit anderer, weniger auffälligerer Mode kombinieren.

Geschichteter Look. Lees Kollektion hat außerdem eine Geschichte: „Mich hat der Film ,The Children of Leningradsky‘ inspiriert“, verrät der Designer, der aus Hongkong stammt und Absolvent der Parsons Designschule in New York ist. Der polnische Kurzfilm, der 2005 für einen Oscar in der Kategorie „Bester Dokumentar-Kurzfilm“ nominiert war, handelt von dem täglichen Überlebenskampf russischer Waisenkinder, die in der Moskauer U-Bahn-Station Lenin-gradsky hausen. „Ich war berührt von der Geschichte, dem Handlungsort, der Szenerie“, erzählt Ximon Lee. „Diese sowjetische Architektur, die grauen Gebäude, diese langen, einsamen Winter.“ Das hätte ihn an seinen eigenen Geburtsort erinnert. Und auch die Kleider berührten ihn. „Diese Kinder ziehen das an, was sie auf der Straße finden, teilweise auch wild übereinander, also layered“, erklärt Lee. Das hätte weniger mit Mode als mit Funktionalität zu tun.

„Diese Menschen müssen es durch die langen, bitterkalten Winter schaffen und zwar mit dem, was sie haben“, sagt Lee. Daher habe er sich auch für optisch schwer wirkende Outfits entschieden, für die kalten Farben wie Weiß und Blau, für den geschichteten Look. Und für Müllsäcke. „In der Welt von Leningradsky sind Müllsäcke ein Schutz vor der Kälte und ein Zuhause“, meint Ximon Lee. In solchen Säcken schliefen die Kinder aus dem Film. „Und in reicheren Nationen dürfen Kinder so etwas noch nicht einmal anfassen, weil es sie dreckig mache“, gibt Lee zu bedenken. Daher versah er so manches Kleidungsstück nicht nur mit einem Müllsack, sondern auch noch mit einem Warnschild: „Halten Sie dieses Plastiksackerl von Kindern fern. Erstickungsgefahr.“

Es sind diese kleinen, durchdachten Details, die der Jury nicht entgingen. „Ximons Kollektion ist sehr faszinierend, denn jedes Outfit ist eine kleine Entdeckungsreise“, unterstreicht H&M-Chefdesignerin Ann-Sofie Johansson. Die Wahl sei ihr dieses Jahr nicht leicht gefallen, immer höher sei das Niveau der jungen Designer. „Doch Ximon hat uns überrascht, er hat uns etwas wirklich Neues gezeigt“, unterstreicht sie.

Und was dachte Lee, als er gewann? „Ich war sehr überrascht, denn zum ersten Mal erhält jemand den Award, der ausschließlich Männermode kreiert“, sagt der Newcomer. Aber eigentlich ist sein Stil gar nicht so männlich, vielmehr androgyn. Das zeigt auch das letzte Model der Show in Stockholm, eine Frau. Und der Stil passt, Mann wie auch Frau. Nach der Show ist Lee erschöpft, aber glücklich – wegen der vielen Komplimente. „Am meisten berührte mich eine Dame, die von den applizierten Kupferstreifen in der Kollektion begeistert war und viele Fragen zum Herstellungsprozess hatte“, erzählt Lee in seiner Suite. Dass sich jemand derart für ein Detail interessiere, sei für ihn das größte Kompliment. Und wie geht es nun weiter? Nun müsste die Kollektion, die gerade gezeigt wurde, in Produktion gegeben werden. Im kommenden Herbst kann man sie dann in ausgesuchten H&M Stores und online kaufen. Und was macht er mit dem Preisgeld, insgesamt 55.000 Euro? „Damit finanziere ich mir zukünftige Kollektionen, mindestens zwei“, strahlt Ximon Lee und verabschiedet sich in Richtung einer strahlenden Zukunft.

Die Autorin reiste auf Einladung von Hennes & Mauritz nach Stockholm.

Schützenhilfe

Große Marken, junge Talente. 37 Schulen. 400 Bewerbungen. Acht Finalisten und Ximon Lee als Gewinner: Das ist die Bilanz des diesjährigen H&M Design Awards. Seit vier Jahren vergibt das schwedische Unternehmen den Preis an junge, aufstrebende Designer, auf die unter anderem ein Preisgeld von 55.000 Euro, ein Mentorenprogramm, eine eigene Fashion Show auf der Stockholm Fashion Week und natürlich eine eigene Kollektion für H&M warten. Doch ganz uneigennützig schreibt die Modemarke jene Schulen, die sich an dem Wettbewerb beteiligen dürfen, nicht an. Denn man sucht nach neuen Talenten für das Design-Department – eine Idee, auf die auch schon andere große Unternehmen gekommen sind. So rief beispielsweise die Textilhandelskette Peek & Cloppenburg 2009 ihren Nachwuchs-Award Designer for Tomorrow mit wechselnden Schirmherren ins Leben.

Auch hier winkt eine eigene Fashion Show bei der Berliner Modewoche, die Entwicklung und Finanzierung einer Kollektion sowie deren Präsentation auf den gängigen P&C-Kanälen. Darüber hinaus können die jungen Designer auch Bekanntschaft mit einem international anerkannten Designer machen, bisher mit Marc Jacobs, Stella McCartney oder Tommy Hilfiger. Anders als bei H&M ist die Teilnahme an der Ausschreibung aber nicht an den Besuch einer bestimmten Modeschule gebunden. Vielmehr kann sich jeder bewerben, der sein Studium innerhalb der Europäischen Union oder in einem Land abgeschlossen hat, in dem P&C mit einem Haus vertreten ist. Auch dieses Jahr wird der Preis vergeben. Das Bewerbungsverfahren läuft bereits. Und auch der mit 300.000 Euro dotierte LVMH Award des französischen Luxusunternehmens LVMH Moët Hennessy, zu dem unter anderem Louis Vuitton, Céline sowie Donna Karan gehören, geht dieses Jahr in die nächste Runde. Es ist wohl das jüngste Mitglied unter den Fashion Awards.

Vergangenes Jahr wurde er zum ersten Mal vergeben, an den Kanadier Thomas Talt. In diesem Jahr findet sich unter den 26 Finalisten, deren Arbeit von einer sehr prominent besetzten Jury beurteilt werden wird, auch der in Mailand lebende Wiener Arthur Arbesser. Das Ergebnis wird im Frühjahr verkündet.

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