Albert Kriemler: „Wien ist eine wahnsinnig tolle Stadt“

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Er ist Wien-Fan, überzeugter Europäer und auf Expansionskurs in Fernost: ein Gespräch mit Akris-Designer Albert Kriemler.

Die Schweiz, ein Modeland? Vordergründig für die meisten wohl eher nicht: Da drängen sich Adepten der gehobenen Lebensart zunächst wohl andere Assoziationen auf als ästhetisch ausgewogene Mode, auf Pariser Laufstegen präsentiert. Genau diese entwirft aber Albert Kriemler, der gemeinsam mit seinem Bruder Peter das in Sankt Gallen beheimatete Maison Akris betreibt. Gegründet wurde die Modemarke in den Zwanzigerjahren von der Großmutter der beiden, Alice Kriemler-Schoch, damals noch mit Fokus auf edle Schürzen. Seitdem ist man einen weiten Weg gegangen, und wenn es nach Albert Kriemler geht, stehen in absehbarer Zukunft noch weitere Etappen auf der Marschroute.

Im Frühling dieses Jahres ist Akris vom Kohlmarkt an die Tuchlauben umgezogen. Ist der Standort Wien wichtig genug für einen derartigen Impuls, während ja auch die Expansion nach Fernost auf Hochtouren läuft?
Wien war immer die wichtigste deutschsprachige Stadt für uns außerhalb der Schweiz, und es hat hier immer eine ganz eigene Dynamik gegeben. Erstens dank unserer Store-Managerin, Gerti Hutterer, zweitens sicherlich durch meine Aktivitäten bei dem Neujahrsballett und zuletzt die Ausstattung von „Josephs Legende“ an der Staatsoper. Da kommt also einiges zusammen, aber ich liebe Wien sowieso. Es ist eine wahnsinnig tolle Stadt, die ich bei den Vorbereitungen des Neujahrsballetts relativ gut kennengelernt habe, weil ich oft und durchaus auch länger hier war. Es gibt für mich keine andere Stadt im deutschsprachigen Europa, die besser mit ihren Traditionswerten umgeht und auch zu ihnen steht, und zwar auch Europa und der Welt gegenüber, und es dann trotzdem immer wieder fertigbringt, in der Handlung immer wieder voraus zu sein.

(c) REUTERS (CHARLES PLATIAU)

Ihr Wien-Bild könnte glatt manch grantelndem Einheimischen das Leben in der Stadt versüßen.
Ich sage Ihnen ganz offen, dass mich die Vernetzung von Tradition und Gegenwart, wie man sie in Wien findet, fasziniert. Sogar die Generalprobe von „Josephs Legende“ im Frühling mit meinen Kostümen war voll. Ich weiß nicht, an welchem anderen Theater eine Generalprobe voll ist, am Vormittag um halb elf!

Wie wichtig ist die lokale Klientel für Akris?
Man muss natürlich immer beides erreichen, die Einheimischen und die Besucher. Aber die lokale Klientel ist unheimlich wichtig, um eine Grundgesundheit zu erreichen. Man wählt eine neue Geschäftslage natürlich auch aus, um neue Kunden anzusprechen, sonst könnte man auch irgendwo um die Ecke versteckt liegen. Unsere Stammkunden sind auch in Wien sehr wichtig und präsent, durch ihre Vernetzung in Politik, Wirtschaft und Kultur, aber man muss sich neuen Herausforderungen stellen, um in einer sehr anspruchsvollen Situation bestehen zu können.

Ein gutes Stichwort: Die Kursentwicklung des Schweizer Franken in diesem Jahr wird Ihre Situation nicht eben vereinfacht haben.
Als Schweizer Unternehmer hat man da zwei Herzen in der Brust. Auf der einen Seite ist es für uns in erster Linie eine Herausforderung, die jetzt eine neue Dimension angenommen hat, obwohl sie uns schon drei, vier Jahre massiv beschäftigt hat. Wir müssen einfach mit der aktuellen Situation umgehen, wie wir schon öfter mit vergleichbaren Situationen umgehen mussten. Aber das hat natürlich auch die Konsequenz, dass wir als einziges Schweizer Label mit unseren Mitbewerbern aus Italien oder Frankreich in eine ganz andere Situation kommen als die Uhrenbranche, die zu 95 Prozent in der Schweiz sitzt. Dort kann man sich absprechen, in meinem Fall interessiert der Kurs des Franken niemanden. Und wir können uns auch in keiner Weise einen Preissprung erlauben – die Konsequenzen wären nicht abzusehen.

Die Uhrenindustrie produziert jedoch in der Schweiz, eine Modemarke muss das nicht tun . . .
Auch bei uns liegen über 40 Prozent unserer Gesamtkosten in der Schweiz, und es ist auch nicht geplant, das zu ändern. Es gibt auch noch immer Schweizer Ateliers, mit denen wir produzieren, wie weit das in Zukunft noch möglich ist, wird man sehen. Im Moment ist es noch der Fall, aber wir befinden uns in einem Diskussionsprozess. Wie die Schweiz als kleines Land mit der Situation weiter umgehen kann, wird sich auch weisen.

Wird Akris international als Schweizer Label wahrgenommen?
Ich glaube schon, dass gerade die, die in irgendeiner Form einen Zugang zu uns haben, wissen, das wir Schweizer sind. Aber ich sehe es heute auch umso positiver, dass der Name Akris, der von meinem Vater in den Vierzigerjahren erfunden wurde, wenn Sie so wollen, eine internationale Ausstrahlung hat. Wenn ich gefragt werde, was an Akris schweizerisch sei, sage ich immer gern: die Internationalität. Man darf nie vergessen: Wir sind ein Land mit vier Sprachregionen, wir sind die Ureuropäer in dem Sinn, als wir uns ganz natürlich in alle vier Richtungen des Kontinents bewegen. Andererseits gibt es durchaus Themen, bei denen wir uns als Schweizer Modelabel ein bisschen allein fühlen, wenn nämlich die Amerikaner oder Italiener oder Franzosen oder Briten oder auch die Antwerpener irgendwo in Gruppen auftreten. Da sind wir immer diese einen, die allein dastehen.

Dabei gibt es stets Stimmen, die sagen, Nationalitätendebatten in der Modewelt seien unsinnig.
Das mag sein, aber ortlos ist die Mode nicht. Wir wollten immer international agieren und haben das seit den Neunzigerjahren stark betrieben, indem wir unsere Kollektionen in Paris präsentiert haben. Der wirklich entscheidende Schritt kam dann, als wir in die Fédération française de la couture et du prêt-à-porter aufgenommen wurden. Dort hat niemand auf uns als Label aus der Schweiz gewartet, aber als es dann so weit gekommen ist, war es gut so. 

Parallel zur Internationalisierung von Akris, die in den Neunzigerjahren begann, hat sich das Modesystem stark gewandelt. Sie mussten also stets in einer fordernden Situation bestehen.
Manche Sachen waren immer schon gleich. Große Marken haben in Japan schon immer über 1000 Anzeigenseiten geschaltet, heute sind es vielleicht 2500 Seiten, und wir machen unsere vier bis sechs Seiten. Das war schon Anfang der Neunzigerjahre so. Wir sind auf der anderen Seite imstande, unsere Geschäfte gut zu führen, und zwar im Wesentlichen mit nur einem Produkt, nämlich Mode, jetzt seit drei, vier Jahren auch mit Accessoires, aber wir haben keine Lizenzen und keine Parfums und uns sozusagen das schwierigste Feld dieses Produktes mit einer Halbwertszeit von vier Monaten ausgesucht. Aber ich denke gar nicht daran, davon abzugehen, und ich denke auch, dass es uns gelingen wird, noch weiterzukommen.

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Welche weiteren Schritte planen Sie für Ihr Modehaus?
Wir sind immer kleine Schritte gegangen, und jetzt warten eben neue Herausforderungen. Als Nächstes steht China an, das werden wir uns genau anschauen. Ob und wie das möglich wird, wird sich zeigen. Amerika ist ein sehr toller Markt für uns, er ist zum Glück auch wieder gesund geworden, und da stehen beide Kollektionen sehr gut da. Europa ist Europa, da müssen wir nicht weiter darüber sprechen. Und in Asien außerhalb Chinas gibt es derzeit für uns zwei sehr wichtige Märkte, Japan und Südkorea, die wir in langer Aufbauarbeit erschlossen haben. Doch die nächste Frage ist: Was wird aus uns in China? 

Kann man die Expansion in einem so riesigen Land wie China realistisch in völliger Selbstbestimmtheit schaffen?
Das werden wir sehen, momentan wollen wir es und tun wir es, aber das ist zweifellos eine große Herausforderung.

Bedenken Sie die Wünsche der Frauen eines neuen Marktes, wenn Sie an einer Kollektion arbeiten? 
Ich war zuletzt öfter in Asien und habe mir verschiedene Städte angeschaut, in China, Japan und Korea. In dem Zusammenhang war es sehr aufschlussreich für mich, mir die Lebenswelten von modernen Frauen in diesen Ländern anzuschauen, die sich stark voneinander unterscheiden. Allein schon die Farbenwelt der Chinesinnen ist eine ganz andere. Farbe ist ohnehin wichtig, als Designer kann ich nicht einfach nur Schwarz und Blau machen. Gerade für den chinesischen Markt müssen wir uns verstärkt des Themas annehmen, denn da erreicht man die Kundinnen speziell mit Farbe, die ihnen gut gefällt.

Lassen sich da Erfahrungen aus anderen Märkten anwenden?
Tatsächlich kann ich etwa dank Amerika schon seit über einem Jahrzehnt gut mit dem tropischen Klima umgehen. Dort hat man eine ganz andere Farbsensibilität, die sich auch von jener im Mittelmeerraum wesentlich unterscheidet. Als wir mit Cruise angefangen haben, meinten die Amerikaner: Albert, you need to go to Florida and feel it. Also habe ich mich von Sankt Gallen auf den Weg gemacht, im Gepäck ein Buch mit Stoffmustern, wie ich sie eigentlich fast immer dabei habe. Vor meiner Abreise habe ich mir die Stoffe noch einmal ganz genau angeschaut, und dann zwanzig Stunden später wieder, in Florida. Ich bin morgens früh aufgestanden, die Sonne war noch nicht einmal da, und da habe ich erkannt, was tropisches Licht mit Farben macht. Solche Erfahrungen kann einem niemand nehmen.  

Entwickeln Sie eine Kollektion, die in bestimmten Einzelheiten an die Spezifizitäten einzelner Märkte adaptierbar ist?
Ich glaube, bestimmte Punkte sind überall relevant. Etwa ein neues Körperbewusstsein, bei den Frauen und bei den Männern. Menschen, die heute leben, sind sportlicher als früher, die Geschmä cker verschiedener Generationen unterscheiden sich nicht mehr so stark voneinander. Ich bin überzeugt, dass wir uns gerade darum in der Mode an einem interessanten Punkt befinden. Auch das Revival der Siebzigerjahre, das wir gerade sehen, geht einher mit einer neuen Femininität. Und wir Modedesigner sind in einem Wechselbad der Gefühle. Für mich aufschlussreich ist in der Hinsicht etwa die Arbeit von Nicolas Ghesquière, der Unterschied zwischen dem, was er früher bei Balenciaga gemacht hat, und dem, was er jetzt bei Louis Vuitton macht.

Auch das, was Hedi Slimane bei Saint Laurent macht?
Ja, aber das ist ein noch weiterführender Gedanke für mich. Denn auch wenn er seine Kollektionen in die Rock ’n’ Roll-Richtung dreht, die man von ihm kennt, rechne ich es ihm doch hoch an, dass er in jeder Kollektion einen Core-Value von Saint Laurent bearbeitet und in Szene setzt. Das wird von vielen, die Slimane kritisieren, übersehen. Bei Dior Homme hat er früher zum Teil bahnbrechend Neues geschaffen, ich habe selbst seine Kleidung getragen, und bei Saint Laurent ist er gerade dabei, seine zweite Kultur zu definieren. Und auch wenn sich über vieles diskutieren lässt, ist doch bei Slimane wirklich die Größe da, die Welt von Saint Laurent weiterzudenken. 

Gibt es noch wirkliche Trends, die von einzelnen wichtigen Designern vorgegeben werden?
Da kann ich jetzt natürlich selbst zurückfragen: Was ist ein Trend? Was ein Designer mit seiner Marke macht, ist das, was zählt, und manchmal passt man eben dazu, manchmal weniger. Aber es ist diese in der Mode vorherrschende Kultur der dauernden Erneuerung, der Erneuerung bei Wahrung der eigenen Handschrift, die das eigentlich Interessante ist.

(c) Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

So viel Sie auch international unterwegs sind, arbeiten Sie doch hauptsächlich in Sankt Gallen?
Ja, doch, das ist ein Platz, der bei uns einfach vorgegeben ist, und das Team, mit dem ich arbeite, ist dort ansässig und groß geworden. Wenn wir dort sind, arbeiten wir sehr konzentriert, sind unbeeinflusst von rechts und links, wir leben Akris, und daraus ergibt sich wahrscheinlich auch eine gewisse Eigenständigkeit. 

Schätzen Sie diesen Abstand zu anderen Modestädten auch, weil Sie dort durchatmen können?
Durchatmen ist wahrscheinlich das Wenigste, was ich in Sankt Gallen tun kann, weil so viel zu tun ist und ununterbrochen wichtige Entscheidungen zu treffen sind und ich von einem Termin zum anderen hetze. 

Zusätzliche Projekte, etwa die Ballettkostüme in Wien für das Neujahrskonzert oder von „Josephs Legende“, gönnen Sie sich als Ausgleich? Oder muten Sie sich als zusätzliche Belastung zu?
Man muss andere Dinge im Leben tun neben dem Brotberuf. Die Rhythmen des normalen Jahres umfassen die zehn Kollektionen, die wir sowieso machen müssen. Aber es ist immer wieder gut, andere Dinge zu machen, die eine ganz andere Qualität haben können, wie eben meine großen Projekte in Wien, das Neujahrsballett und „Josephs Legende“. Das sind zwar Doppelbelastungen, aber daraus ergibt sich auch wieder wichtiges Neues für uns. Wenn das Team auf neue Weise gefordert und dadurch überrascht wird, dann ist das auch wichtig für uns.

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