Neue Welle: Das Netz fördert die Frauenverachtung

Frauen von heute. Bilder der Fotografin Cindy Sherman.
Frauen von heute. Bilder der Fotografin Cindy Sherman.APA/EPA (Bernd von Jutrzczenka)
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Frauen werden im Internet häufiger attackiert als Männer, neuerdings werden sie auch wieder vor der Kamera verächtlich getätschelt. Erleben wir einen Backlash der Gleichberechtigung?

Es war nur eine kleine Geste vor laufender Kamera, doch sie fiel auf. Rudi Völler, Sportdirektor von Bayern Leverkusen, war vergangene Woche mit der Spielanalyse der Sky-Moderatorin Jessica Kastrop nicht zufrieden, tätschelte ihr abfällig die Hand und drehte ihr den Rücken zu. Eine Herabwürdigung, die allerdings nur für kurze Empörung sorgte. Auch der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump beleidigt Moderatorinnen und Konkurrentin Carly Fiorina („Schau dir das Gesicht an!“) auf laufendem Band und bekommt dafür im Netz viel Applaus.

Im Internet ist der Ton gegen Frauen seit Langem viel rauer geworden. Der aktuelle „Cyber Violence against Women“-Report der UNO stellt fest, dass die Gefahr, im Netz angegriffen oder belästigt zu werden, für Frauen 27 Mal so groß ist wie für Männer. „Hier gibt es neue Formen von Frauenverachtung und Drohungen gegenüber Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen“, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Klaus von der Uni Salzburg. Hasstiraden und Trolle können sich unendlich verbreiten und nehmen viel Platz im öffentlichen Raum ein. Gleichzeitig hat das Internet auch gezeigt, dass die Antwort auf Sexismus ebenfalls laut ausfallen kann. Der Hashtag #aufschrei ist ein Beispiel dafür. „Das Internet gibt die Möglichkeit, Protest punktuell zum Ausdruck zu bringen.“ In Oberösterreichs neuer Landesregierung fehlen die Frauen, auf vielen Podien immer noch die weiblichen Teilnehmer. Grund genug, zu fragen, ob wir gerade einen Backlash bei der Frauengleichberechtigung erleben – und was wir dagegen tun können.

Der Feminismus ist und bleibt ein Erfolgsmodell

Die Maskulinisten im Netz werden tatsächlich immer aggressiver. Dennoch ist Europa gerade jetzt so stolz auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Also was nun?

von Bettina Steiner

Zugegeben, es ist verwirrend: Kaum je hatte der Feminismus einen so guten Ruf wie heute. Sogar Pegida ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein Anliegen. Und jene, die gestern noch Frauen im Hochgefühl angeblicher männlicher Überlegenheit die Fähigkeit zum logischen Denken absprachen, rufen heute laut „frauenfeindlich“, wenn ein muslimischer Fußballer einer Reporterin den Handschlag verweigert. Einerseits. Andererseits sind die Attacken der Maskus, also der Maskulinisten, von ungehinderter Wucht: Im Netz formieren sie sich, beleidigen und drohen, sie erregen sich über Quoten, witzeln über die „Grüninnen“ und die „Emanzinnen“ (bitte, bitte keine Binnen-I-Scherze mehr!) und finden dabei immer wieder auch die Zustimmung bürgerlicher Kreise, für die es okay ist, wenn eine Landesregierung rein männlich besetzt ist. Im Jahr 2015.

Was jetzt: Ist Gleichberechtigung von Mann und Frau neuerdings Teil der christlich-abendländischen Kultur, auf die wir so stolz sind? Oder erleben wir gerade einen Backslash? Weder noch. Wir sollten uns nicht ins Bockshorn jagen lassen, nicht von Trollen im Netz, nicht von zweifelhaften Verbündeten und auch nicht von irgendwelchen Büchern, die den Feminismus im Allgemeinen oder irgendeinen Feminismus im Speziellen für tot erklären. Denn er ist ein Erfolgsmodell: Er hat uns Frauen an die Wahlurnen und an die Universitäten gebracht, er hat uns von der Demütigung befreit, den Gatten fragen zu müssen, ob wir arbeiten dürfen. Der Feminismus hat dafür gesorgt, dass eine rein männliche Landesregierung im Jahr 2015 wenigstens ein Gesprächsthema ist, und dass in dieser Zeitung nicht nur am Frauentag eine Doppelseite zum Thema Feminismus erscheint.

Und er wirkt noch weiter. Beispiel? Im Gymnasium war ich super in Mathe und liebte das Fach. Doch begabt? War ich – Mädchen – natürlich für Sprachen. Als ein Berufstest, den alle machen mussten, meine mathematischen Fähigkeiten hervorstrich, fiel ich aus allen Wolken. Ich? Nie! Meine ältere Tochter kann diese Seite von sich annehmen – sie wird Technische Physik studieren. Wenn ich das Bekannten erzähle, reagieren sie verwundert. „Toll“, heißt es dann. Oder: „Echt?“ Noch eine Generation weiter, und eine Technische Physik studierende junge Frau wird etwas völlig Normales sein.

Druck auf das Knie, Druck nach unten

Gibt es sie, die Diskriminierung der Frau im Arbeitsalltag? Ja, findet die Autorin: durch bewusste Provokation. Ein Machtspiel.

von Elisabeth Postl

Die fremde Hand liegt unglaublich schnell auf dem Knie. Es sind Situationen, die man kaum umgehen kann, vielleicht am Beifahrersitz im Auto bei der Pressefahrt. Oder unter dem Tisch beim Geschäftsessen. Beiläufige, aber wohl platzierte Gesten, die einschüchtern. Gebeten hat man nie darum. Die betreffenden Männer tun das einfach so, ganz selbstverständlich, mit einem väterlichen Grinsen. Dabei tragen sie Anzüge, Gilets, Hemden, Krawatten, Manschettenknöpfe, sehen so professionell aus, wie es nur irgendwie gehen kann. Und trotzdem schaffen sie es nicht, „on the Job“ tatsächlich professionell zu sein.

Die Hand auf dem Knie ist furchtbar unangenehm. Ich erlebte es, während ich für meine Arbeit unterwegs war. Als ich das erste Mal in die Situation kam, nicht professionell, also als Journalistin, gesehen zu werden, sondern „bloß“ als junge Frau, zweifelte ich an mir: Hatte ich zu viel gelächelt? Das Falsche getragen? War ich zu nett gewesen? Zu höflich? Mich zu verbiegen, weil ein paar Männer es nicht verstehen, dass ich mit ihnen auf Augen- und nicht auf Brusthöhe bin, das will und werde ich nicht machen. Die Frage, ob man selbst für die Hand auf dem Knie verantwortlich sei, ist falsch. Ich kann nichts dafür, dass ich eine junge Frau bin. Ich bin 22 Jahre alt und sehe auch aus wie „22 Jahre alt“. Das ist weder falsch noch schlecht noch ungewöhnlich.

Was ich ändern kann: Ich kann es ansprechen. Das ist ebenfalls nicht angenehm – aber zumindest handelt man dann professionell. Vielleicht fällt die unpassende Handlung dem Handler gar nicht auf. Aber oft ist sie bewusst gesetzt. Als Provokation, als Zeichen: „Ich sehe dich als Püppchen.“ Der Druck auf das Knie – ein Druck nach unten. Blicke, die sagen: „Mit dem Männerkram willst du doch nichts zu tun haben.“ – „Erhoffen Sie sich jetzt ein Dankeschön?“, könnte die Gegenfrage dann lauten.

Wenn man mit Freunden darüber spricht, sind alle zuerst einmal schockiert. Die nächste Reaktion ist aber dann doch immer: „Die denken halt, das ist normal so.“ Der Gedanke ist ein Problem. Ich weiß sehr genau, dass ich mich hier auf dünnem Eis bewege. Auch weil die meisten Männer, mit denen man im Arbeitsalltag zu tun hat, nicht wie die Schenkelklopfer ticken. Die paar, die Frauen noch immer nicht als Partner sehen, müssen umso dringender darauf hingewiesen werden: Sie überschreiten Grenzen. Sie machen sich lächerlich.

Wir müssen uns nicht verfolgt fühlen, aber . . .

Die Männer rüsten auf, polemisieren gegen Frauen, mit Untergriffen und Witz. Ärger ist: Von Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Trotzdem ist es Frauen noch nie so gut gegangen wie heute.

von Barbara Petsch

In der Londoner „Times“ beklagt dieses Wochenende Kommentator Giles Coren das traurige Schicksal junger Männer. Junge Mädchen bevorzugen ältere Herren: „Du bist unreif, Giles. Du verstehst Frauen nicht. Barry hat mir einen Hermès-Schal gekauft – und er zieht mir den BH aus, während er den Rolls-Royce fährt.“ Anlass der Kolumne ist eine Debatte in Hollywood: Auf den Streit um ungleiche Bezahlung von Schauspielern und Schauspielerinnen folgte ein von Cate Blanchett und Reese Witherspoon ausgelöster Disput darüber, dass Männer in Filmen immer viel jüngere Frauen an ihrer Seite haben. „Frauenjahre sind wie Hundejahre“, jammert Blanchett. Geld. Rauer geht es im US-Wahlkampf zu: Donald Trump, Milliardär, Republikaner, Präsidentschaftskandidat, nannte die Moderatorin Rosie O'Donnell eine „eklige Schlampe und eine Loserin“. Dagegen ist der OÖ-Landeshauptmann Josef Pühringer (Selbstdefinition vor der Wahl: „Klein, schwarz und stark“) wahrlich ein Herr. Er wand sich wenigstens, als er seine Landesregierung ohne Frau bekannt geben musste.

Trotzdem ist die Geschichte typisch: Wenn Männer und Frauen um gute Posten kämpfen, bleiben die Frauen öfter auf der Strecke, weil in (geheimen) Abstimmungen eben meist mehr Männer als Frauen sind. Und damit kommen wir zur Kernzone der Kontroverse, Geld und Macht. Der Passus in Ausschreibungen, dass bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt werden bzw. Bewerbungen von Frauen besonders willkommen seien, sorgt für Zorn in der Männerwelt. Zwar sind Frauen in Führungspositionen weiterhin keineswegs in der Mehrzahl, z. B. bei Banken, Konzernen. Aber ein bisschen haben sie aufgeholt. Zum Beispiel in der Kultur, da gibt es ein paar Direktorinnen (KHM, Technisches Museum, Nationalbibliothek, Burgtheater, Volkstheater). Für die meisten Frauen dürfte das ein geringer Trost sein. Sie kämpfen sich mühsam als Alleinerzieherinnen durch, was oft vor allem Abstriche bei sich selbst bedeutet. Oder sie haben einen Partner: Sind sie erschöpft oder altern, sucht sich der Mann eine Jüngere (manche Frauen nehmen sich jetzt ihrerseits einen jüngeren Geliebten, aber das sind wenige). Viele Frauen sind finanziell auf Männer angewiesen, weil sie sich mit ihrem Gehalt gar keinen Hausstand leisten können. Für weniger Geld müssen Frauen überdies oft viel mehr arbeiten als Männer.

Gleichberechtigung bei der Postenverteilung wie in der Bezahlung mag eine Chimäre sein. Lichtblicke kommen aber von unerwarteter Seite. Die jüngere Generation setzt auf Ausgleich: Work-Live-Balance ist angesagt. Junge Männer kümmern sich um die Kinder und helfen bei der Hausarbeit. Junge Paare und Familien verstehen sich mit ihren Eltern – die sie tatkräftig und finanziell unterstützen. Das ist anders als der Kampf der Generationen in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Donald Trump ist ein Rüpel, der niedrige Instinkte bedient. Darüber sollte man aber das Wesentliche nicht vergessen. Frauen ist es in der Geschichte noch nie so gut gegangen. Das ist auch ein Verdienst des Feminismus. Frauen haben Ausbildungs- und Wahlmöglichkeiten. Das ist besser, als im 19. Jahrhundert eine zwangsverheiratete, beschäftigungslose Bürgersfrau oder eine geschundene Arbeiterin zu sein. Ehemänner haben früher die Mitgift der Frau kassiert und oft genug verschwendet. Frauen waren Objekte und Opfer. Gesundheits- und Altersversorgung waren miserabel. Der medizinische Fortschritt ist enorm. Er kommt besonders Frauen und Kindern zugute. Wer's nicht glaubt, lese nach, z. B. bei Horváth – oder Schnitzler: „Therese“, die Geschichte einer Gouvernante, „Frau Bertha Garlan“ oder „Der Weg ins Freie“ (ihn geht der Mann).

Frauen im Parlament

Weltweit stellen in zwei Ländern Frauen die Mehrheit im Parlament dar. Die meisten Frauen sitzen laut der aktuellen Erhebung der Interparlamentarischen Union in folgenden Ländern im Parlament:

1. Ruanda: 64%
2. Bolivien:
53%
3. Kuba:
50%
4. Seychellen:
44%
5. Schweden:
44%
6. Senegal:
43%
7. Mexiko:
42%
8. Südafrika:
42%
9. Ecuador:
42%
10. Finnland:
42%

Veranstaltungstipp:

Am Dienstag geht es in der Diplomatischen Akademie in Wien um „Gender Equality in the Media“. Dabei wird auch über Onlinebelästigungen und Hass gegen Frauen diskutiert – mit u.a. Verena Bogner („Vice“) und Javier L. Martinez (International Press Institute, 17.11.2015, 19.30h, auf Englisch).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2015)

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