Liebesbräuche: Der Apfel als Pheromonbombe

Der Apfel als Pheromonbombe
Der Apfel als Pheromonbombe(c) Clemens Fabry
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Michaela Vieser und Irmela Schautz haben Rituale der Liebe aus aller Welt zusammengetragen und verraten, wie man Bräuche nicht nur am Valentinstag umsetzen kann.

Blüte der Jugend oder Ziege in der Achselhöhle: Der Duft, der aus dieser zarten Wölbung unter den Armen hervorströmt, hat es in sich. Man muss ihn nur richtig einsetzen. Aus Niederösterreich ist die Sitte mit dem Apfelschnitz bekannt, den Mädchen beim Tanzen in ihrer Achselhöhle getragen und danach dem Burschen ihrer Wahl zu essen gegeben haben. Auch in Finnland und dem elisabethanischen England kannte man diesen Brauch. Im Baltikum half man sich mit einer Kartoffel anstatt eines Apfels, und im Wendland konnte es irgendetwas, gern auch Brötchen oder Zwieback, sein: „Wenn ein Mädchen die Liebe eines Jungen haben will, so soll sie etwas Essbares unter den Arm (in die Achsel) thun, dasselbe durchschwitzen und dann zu essen geben.“

Eine etwas elegantere Variante dieses Brauchs kannte man in italienischen Dörfern, wo die Jungen beim Tanz ein Tuch unter ihre Achseln klemmten und diese olfaktorische Wunderdroge danach den Mädchen ins Gesicht wedelten. Und selbst am französischen Hof machte eine Anekdote über den betörenden Duft eines Mädchens ihre Runde: „1572 wurde die Hochzeit des Königs von Navarre mit Margaret von Valois im Louvre gefeiert, zu Gast war auch der Prinz von Conde mit seiner Frau, Maria von Cleves, eine ungeheuer schöne und liebliche Frau von 16 Jahren. Nachdem sie lang getanzt hatte und sich abkühlen wollte, zog sie sich in eine der Garderoben zurück, wo eine der Zofen sie anwies, das Hemd zu wechseln. Just in diesem Moment betrat der Herzog von d'Anjou das Gemach, um sich die Haare zu kämmen, und wischte sich aus Versehen sein Gesicht mit ihrem Hemd ab. Von diesem Moment an war er unsterblich in sie verliebt.“

Bitte nicht rasieren!

In Frankreich – klar! Aber selbst im prüden Amerika wurde der betörende Duft eingesetzt. Ein Eintrag aus dem „Journal of American Folklore“ von 1899: „Wenn du ein Mädchen dazu bringen willst, dich zu lieben, so steckst du ein Bonbon oder etwas anderes, das sie essen wird, in deine Achselhöhle, dass es deinen Geruch annehme.“

Und vor gar nicht allzu langer Zeit widmete sich das Sexualkundebuch „The Joy of Sex“ von 1972 den Achseln. Hier wird geraten, sich die Achselhöhle nie zu rasieren: „Ein klassischer Ort, um Küsse zu platzieren. In tropischem Klima, wo es kein fließendes Wasser gibt, mag man das Rasieren der Achselhöhle vielleicht verzeihen, in unseren Breitengraden ist es aber schierer Vandalismus.“

Schade eigentlich, dass heute zwischen L.A. und Moskau kaum eine Frau mehr Achselhaare hat. In der Dramaturgie des sexuellen Kennenlernens kommt es unausweichlich irgendwann zum Austausch von Körperflüssigkeiten. Speichel, Schweiß, Vaginalflüssigkeit, Ohrwachs, Sperma, Milch, Urin, Menstruationsblut – ob man dieses Riechen und Schmecken an den Anfang stellt, als Teil des Sich-Kennenlernens, oder damit wartet, kann man handhaben, wie man will.

Aber es sprechen einige Fakten dafür, es möglichst bald zu tun. Denn der Achselschweiß steckt voller Pheromone, den Botenstoffen, die uns in Sekundenschnelle Dinge mitteilen, für die wir mit dem Intellekt womöglich Jahre benötigen wurden. Die deutsche Kulturanthropologin Ingeborg Ebberfeld bestätigt, dass Frauen vom Achselgeruch der Männer nicht nur sexuell erregt werden, sondern daran auch den richtigen Partner für ihre und die Gesundheit ihrer gemeinsamen Kinder identifizieren können. So bevorzugen Frauen, die die Antibabypille einnehmen, Männer mit genetisch ähnlichem Geruch, während Frauen, die keine Östrogene zu sich nehmen, sich von Männern angezogen fühlen, deren genetischer Code ihre genetische Vielfalt und somit auch das Immunsystem optimiert. Es geht sogar so weit, dass der regelmäßige Konsum von männlichem Achselschweiß auf der Oberlippe – wie beim Liebesspiel – zu einer regelmäßigen Regelblutung führt (und ganz nebenbei ist es auch der Achselschweiß einer Alpha-Frau, die in Frauenkommunen dazu führt, dass sich alle den Menstruationszeiten dieser Alpha-Frau anpassen).

Was passiert in der Achselhöhle?

Einige Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass die Pheromone erst zu dem Zeitpunkt in die Achselhöhle wanderten, als der Mensch begann, aufrecht zu gehen, und damit die Intimzone mit ihrer Geruchsvielfalt zu weit von der Nase entfernt lag. Evolutionsbiologisch spricht für diese These die Tatsache, dass die meisten Ostasiaten gar keinen Geruch in den Achselhöhlen produzieren, was nicht am vielen Baden, sondern an den nicht vorhandenen Drüsen liegt. Ein Beweis dafür, dass die Drüsen also nicht immer dort platziert waren. Wer vielleicht Vorfahren aus einem anderen Genpool vom Kontinent hatte und daher doch aus der Achselhöhle müffelte, konnte in der japanischen Armee sogar vom Militärdienst befreit werden. Es war ein Makel, den man niemandem zumuten wollte. Was genau passiert aber eigentlich in der Achselhöhle? Drei Drüsen produzieren dort ihre Sekrete: ekkrine Schweißdrüsen, um den Körper abzukühlen, Talgdrüsen, die eine ölige Flüssigkeit absondern und damit die Achselhaare einfetten und weich halten, und die apokrinen Drüsen, deren Substanzen erst nach sechs Stunden an der Luft ihren Duft entfalten. Es sind diese Drüsen, in denen die Pheromone versteckt liegen. Die Achselhaare wirken dabei wie ein Verstärker: Sie tragen den Duft nach außen und geben ihn auf einer möglichst großen Oberfläche der Welt preis.

Übrigens bedient sich die Parfumindustrie seit Jahrhunderten der olfaktorisch vergleichbaren Geruchsstoffe tierischer Drüsen, die bei den Tieren eben noch in der Nähe der Sexualorgane liegen: Moschus, Zibet und Bibergeil. Sie alle wirken aphrodisierend. Der delikate Geruch, auf einem Apfel serviert – das ist eine schöne Geste und eine, bei der es nicht nur auf den flüchtigen Duft, sondern auch auf die Frucht ankommt, die ihn trägt: Der Apfel ist eine der ältesten Früchte, die vom Menschen geerntet werden, und es gibt kaum eine Obstsorte, der mehr Symbolik in Sachen Liebe zugesprochen wird als ihm.

So wird in China der Apfel mit der weiblichen Schönheit assoziiert, und Dionysios widmete den Apfel der schönsten aller Göttinnen: der Aphrodite. Auch ihre Begleiterinnen, die drei Grazien, wurden mit dem Apfel abgebildet. Der Apfel als Sinnbild von Fruchtbarkeit und Lust taucht in der Geschichte der Länder, in denen Äpfel geerntet wurden, immer wieder auf: Bei den Babyloniern war es die Göttin Ištar, die Göttin der sexuellen Lust, die mit einem Apfel dargestellt war.

Schneewittchen verschluckte sich an einem Apfel – und der Kehlkopf bei Männern sei nichts anderes als der im Hals stecken gebliebene Apfel Adams nach dem Sündenfall, heißt es im Volksmund. Dabei hat die Kirche bewusst den Apfel gewählt, um die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu illustrieren: In den alten Bibel-Versionen ist nur von einer Frucht die Rede, mal wird sie als Feige, mal als Granatapfel übersetzt. Erst in der lateinischen Übersetzung hat man sich auf den Apfel geeinigt, der in seiner kompakten runden Form ein Sinnbild des Totalen, des Vollkommenen darstellt. Hätte die Schlange der Eva einen vielteiligen Granatapfel gereicht, die westliche Kulturgeschichte müsste neu geschrieben werden.

Liebesorakel

Aber auch in abergläubischen Ideen spiegelt sich die Verbindung von Liebe und Apfel. Wenn man zum Beispiel beim Abdrehen eines Apfelstiels leise das Alphabet durchgeht, erhält man ein kleines Liebesorakel: Der Buchstabe, an dem der Stiel sich löst, ist der Anfangsbuchstabe des Partners fürs Leben. Das funktioniert ebenso gut mit einer in einem Stück geschälten Apfelschale, die man hinter sich wirft – die auf den Boden gefallene Schale formt ein Zeichen, wiederum den Anfangsbuchstaben der großen Liebe. Und wenn man einen langen dünnen Kern im Apfel findet, so wird man bald einen wichtigen Brief in Sachen Liebe erhalten . . .

In Österreich werden auch heute noch viele, viele Äpfel gegessen. Er gilt als das Lieblingsobst der Nation – und in Niederösterreich, wo die meisten Äpfel geerntet werden, wurde sogar eigens eine Apfelstraße angelegt. Würde man alle hier geernteten Äpfel aneinanderlegen, so gelangte man damit über Kasachstan, dem Urland des Apfels, bis nach China. Genügend Pheromonbomben, um Glück in der Liebe für alle zu garantieren.

DAS BUCH

In Wales schenken sich Verliebte reich verzierte Löffel, sogenannte Love Spoons, in Kenia werden Brautpaare drei Tage nach der Hochzeit beleidigt, um sie standhaft zu machen. Beim chinesischen Volk der Mosuo ist die Besuchsehe die Regel, Eheleute gründen keinen gemeinsamen Haushalt.

Solche und andere Bräuche haben die Japanologin Michaela Vieser und die Illustratorin Irmela Schautz in
„Für immer und jetzt“ (Antje Kunstmann Verlag, 176 Seiten, 16,50 €) zusammengetragen und Ideen und Rezepte hinzugefügt, die zeigen, wie man die Bräuche selbst umsetzen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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