Jukebox-Nostalgie: Bei "Hey Joe" steht immer noch Hendrix

Verschiedene Jukeboxen
Verschiedene Jukeboxen(c) Manfred Kohrs - Eigenes Werk
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Die Jukeboxfirma Wurlitzer ist insolvent. Ihre Apparate sind schon lang in der Ewigkeit. Eine kurzer Streifzug durch 40 Jahre Jukebox.

Hey, Mister DJ, put a record on, I wanna dance with my baby“, sang Madonna im Song „Music“. Das war im September 2000: So genau lässt sich datieren, wann sie alt und schrullig wurde. Denn natürlich war und ist es hochnotpeinlich, einen Plattenverleger (wie man 2000 gern sagte) so anzusprechen. Ein DJ-Abend ist kein Wunschkonzert! Auch in Lokalitäten, wo die Musik per Computerprogramm gesteuert wird – das hat sich seltsamerweise eher auf dem Land durchgesetzt –, ist es kaum erwünscht, dass ein Gast die Kontrolle zu übernehmen versucht.

War das je anders? Der Chor der Alten antwortet: Ja, das war seinerzeit anders. Seinerzeit hatten die Musiklokale sehr wohl plebiszitären Charakter. Seinerzeit, als es noch die Jukebox gab, im Idealfall produziert von der seligen Rudolph Wurlitzer Company. Selig darf man sie jetzt mit noch mehr Recht nennen, denn das Amtsgericht in Bielefeld – jener Stadt, vor der wir trotz immer wieder geäußerter Zweifel doch annehmen wollen, dass sie existiert – hat am Anfang des laufenden Monats bestätigt, dass das Insolvenzverfahren über die deutsche Tochterfirma von Wurlitzer eröffnet sei.

„Das wär doch etwas für dich“, sagte die Chefin unseres „Leben“-Ressorts. „Magst nicht etwas Nachdenkliches über die Jukebox schreiben?“ Was sie nicht sagte (aber trotzdem zu hören war): Du bist ja wohl alt genug.

Danke. Sehr nett. Muss man einstecken. Ich darf aber versichern: Die Jukebox war schon alt, als ich jung war. Schon in den späten Siebzigerjahren war sie nostalgisch, wie Polkadots, Pferdeschwänze und Peter Kraus, um nicht Elvis Presley zu sagen. Natürlich, diese Automaten glitzerten in vielen Gaststätten, aber wir, Punks im Herzen, Sicherheitsnadeln an den Sakkos, haben sie nie ohne Ironie bedient. Oder? Ja, vielleicht an diesem einen Abend in der letzten offenen Hütte in diesem elenden Skiort, als wir Schilling um Schilling einwarfen, um noch einmal und noch einmal „The Logical Song“ von Supertramp zu hören und dazu so ausdrucksvoll zu tanzen, dass der Rest der Gäste entsetzt „Sperrstunde!“ rief. Ein schrecklicher Song, keine Frage, aber es gab keinen besseren in diesem Wurlitzer, und mit jedem Achtel Ribiselwein wurde er besser. Wer das eine schöne Jugend nennt, hat sie nicht erlebt. „Hupf in Gatsch und schlag' a Well'n“, wie Georg Danzer sang. Auch das war ein Jukeboxsong, mit einer großartigen B-Seite: „Ruaf mi net an“.


Überhaupt die B-Seiten. Wenn einem irgendwas an den Vinylsingles abgeht (und eigentlich will man ja nicht, dass einem was abgeht), dann die B-Seiten. Nur ein Beispiel: Wenn man in einer Jukebox „Jumpin' Jack Flash“ von den Rolling Stones fand – ohnehin schon ein Glück! –, dann war da auf der Rückseite „Child of the Moon“, und damit konnte man das trübste Beisel in eine psychedelische Wunderkammer verwandeln, damit wurde aus dem schalsten Müller-Thurgau ein Zaubertrank. So wurde man zum Gestalter, zum Soundtrackmeister, zum Weltverbesserer.

Peter Handke, der das natürlich noch in einer Jetztzeit, nostalgiefrei, akut erlebt hat, schrieb 1990 in seinem „Versuch über die Jukebox“: „In dem hallenden Stahlgitarren-Ritt von ,Apache‘ wurde das miefkalte und verrülpste ,Espresso-Stübchen‘ an der Durchfahrtsstraße von der ,Stadt der Volkserhebung von 1920‘ zur ,Stadt der Volkserhebung von 1938‘ angeschlossen an eine ganz andere Elektrifizierung, mit der man, an der leuchtenden Skala in Hüfthöhe, die Nummern von ,Memphis, Tennessee‘ wählen konnte, in sich selbst den geheimnisvollen ,Schönen Fremden Mann‘ heranwachsen spürte und das Rumpeln und Quietschen der Laster draußen auf der Bundesstraße umgewandelt hörte in das gleichmäßig sonore Dahinziehen eines Trecks auf der ,Route 66‘, mit dem Gedanken: Gleich wohin einmal – nur Aufbruch!“

Erinnerung an einen Aufbruch: Jeder, der trotz allem immer noch der Popmusik treu bleiben will, ihr treu bleibt, ertappt sich dabei, dass er nur mehr das in ihr und aus ihr hört. Gefangen im klebrigen Netz der Nostalgie. Retro. „One More Time“, wie die französische Band Daft Punk 2001 sang.

Nebel im Bendl. „One More Time“ steht auch auf der Wurlitzer-Jukebox in Wien, die wohl heute noch am intensivsten in Betrieb ist. Sie steht im Café Bendl, Landesgerichtsstraße 6. Wer beauftragt wurde, über das Phänomen Jukebox zu schreiben, muss dorthin. Und trifft gleich einen Bekannten, den man seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat. Vielleicht, weil man selbst seit 20 Jahren nicht mehr im Bendl war. Dort ist alles gelbbraun, nebelig und unverändert, der Bekannte und die Jukebox auch. „Zwickt's mi“, „YMCA“, „Angie“, „Do It Again“. Die neueste Nummer: Hansi Orsolics, „Mei potschertes Leb'n“, 1986. Bei „Hey Joe“ steht immer noch „Jimmy Hendrix“, in der Ewigkeit gibt es keine Korrektoren. Man trinkt Wein aus Wassergläsern oder „Koks“ (Inländer-Rum mit Kaffeebohnen), man wirft mit Bierdeckeln. Hier sitzen keine Alten, sondern Studenten – und hören das Programm von 1975, Abend für Abend, Münze für Münze. Es kracht und grammelt, die Höhen fehlen längst, hier läuft ein grausames Langzeitexperiment: Wie lang kann eine Nadel über eine Schallplatte kratzen, bis die Rillen leer sind, bis der letzte Ton herausgekratzt, die Platte abgekratzt ist?

Lang noch. Ewig währt am längsten, aber die Jukebox hält sich auch ganz gut. Nichts wie weg hier. Aufbruch. Sperrstunde!

Fakten

Das Wort „ juke“ kam vermutlich über das Kreolische aus Westafrika ins Englisch der US-Südstaaten, es bedeutete ursprünglich „unordentlich“, dann stand es für Beisl, aber auch für einen anzüglichen Tanzstil.

Die Jukebox hieß zuerst korrekt „Coin-Operated Phonograph“, populär wurde sie in den Vierzigerjahren, wichtig mit dem Rock'n'Roll. Führende Produzenten waren J. P. Seeburg, Rock-Ola und die Rudolph Wurlitzer Company.

Franz R. Wurlitzer aus Sachsen gründete seine Firma 1853. Sie produzierte auch Musikinstrumente, vor allem Klaviere. 1985 wurde sie von der Baldwin Piano Company, 2001 von Gibson übernommen. Die deutsche Tochterfirma erzeugte noch bis 2013 Jukeboxes, dann wurde sie an eine Investorengruppe verkauft, nun geht sie in Insolvenz.

„Wurlitzer“ hieß auch zwischen 1987 und 1995 eine beliebte Publikumswunschsendung des ORF.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2016)

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