Mode: Besonders normal

Stilvoll. Peter Lindbergh fotografierte „New Normal“-Sujets für Armani.
Stilvoll. Peter Lindbergh fotografierte „New Normal“-Sujets für Armani.(c) Beigestellt
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Das Normale ist aus der Mode derzeit nicht wegzudenken und fasziniert als rätselhafter Zustand die Fashioncommunity.

Die Psychoanalyse des französischen Psychiaters und Analytikers Jacques Lacan beruht auf drei Grundbegriffen: dem Realen, dem Symbolischen und dem Imaginären. Diese drei Register verflechten sich zur Struktur des Psychischen und bilden so die Grundlage des Subjektes. Dem Imaginären gehören das eigene Selbst- und Fremdbild, aber auch Abstraktionen und Täuschungen an. Das Register des Symbolischen ist die Ordnung der Sprache und Diskurse, und es vermittelt zwischen dem Imaginären und dem Realen. Das Reale kann nicht dargestellt werden, es sucht das Subjekt heim als Unfassbares, Unsagbares.

Gestrandet. Lindbergh wählte Le Touquet als Shooting-Location.
Gestrandet. Lindbergh wählte Le Touquet als Shooting-Location. (c) Beigestellt

Ähnlich rätselhaft wie der Begriff des Realen bei Lacan ist in der Mode der Begriff des Normalen, der gerade wieder hoch im Kurs steht. Der Ausdruck Normcore zirkuliert in der Modepresse seit einigen Saisonen als Bezeichnung für einen unauffälligen, unscheinbaren Kleidungsstil, einer Mischung aus Neunzigerjahresportswear und unprätentiösen, normalen Unisexfreizeitklamotten. Zunächst breitete sich der Stil in den Clubs, Snapchat- und Instagram-Accounts von Berlin und New York aus und wurde dann von Labels wie Vetements, Gosha Rub­chinskyi, Hood by Air und Eckhaus Latta auf den Laufsteg gebracht. Der Neologismus Normcore setzt sich aus normal und hardcore zusammen – es geht also um eine potenzierte Version von normal. Aber was heißt eigentlich normal, und wovon unterscheidet sich normale Mode? So, wie sich das Reale bei Lacan nur ex negativo bestimmen lässt – also als das, was es nicht ist – kann man sich auch der Vorstellung des Normalen in der Mode nähern. Normale Mode ist nicht glamourös, nicht künstlich, nicht kompliziert, nicht zu auffällig, nicht zu trendig. Diese Mode soll von der normalen Frau getragen werden – ein Phantasma, das mit seinen schematisch skizzierten Lebensumständen (sie führt ein erfülltes, aktives Leben) und Charaktereigenschaften (sie ist stark, unabhängig und weiß, was sie will) die Mode regelmäßig heimsucht und Mode­designer plagt. (Was will die „normale“ Frau anziehen?)

Globaler Anspruch. Mit der Kollektion „The New Normal“ unternimmt auch Giorgio Armani den Versuch einer Begriffsdefinition. „The New Normal“, heißt es, sei eine essenzielle, zeitlos elegante, schlichte, aber dennoch raffinierte Garderobe, die sich über saisonale Trends hinwegsetzt, bestehend aus Jacken, Blazern, Mänteln, Hosen und Pullovern aus Wolle, Kaschmir, Seide und Baumwolle. Die Fotos für die zweite Werbekampagne hat der legendäre deutsche Modefotograf Peter Lindbergh geschossen, vor der Kamera standen Liu Wen, Liya Kebede, Elisa Sednaoui und Amanda Murphy: vier unterschiedliche Frauentypen, die den globalen Anspruch der Kollektion verkörpern sollen. „The New Normal“ bildet mit entspannten Silhouetten, gedeckten Farben und reduzierten Schnitten ein Gegengewicht zu den verträumten, aufwendig verarbeiteten Red-Carpet-Looks der Couture-Kollektion „Armani Privé“ und ist eine Rückbesinnung auf Armanis bewährte Erfolgsformel.

Museal. Das MoMu in Antwerpen nähert sich mit einer Schau dem Thema.
Museal. Das MoMu in Antwerpen nähert sich mit einer Schau dem Thema.(c) Beigestellt

Mit seinen von Herrenmode inspirierten Damenkollektionen kommentierte Armani in den Achtzigern den Geschlechterkampf am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft, seitdem gehören fließende Hosenanzüge und unzählige Variationen von Damenblazern fix in sein Designrepertoire. Armani nahm aber auch die Codes der Herrengarderobe auseinander, indem er den Männeranzug dekonstruierte, Schulterpölster und Einlagen aus den Sakkos löste und der strengen Uniformität des Anzugs eine neue, lockere, weiche Form gegenüberstellte. Richard Gere trug 1980 in „American Gigolo“ Armani-Anzüge und setzte damit nicht nur dem Hedonismus der Reagan-Ära, sondern auch dem italienischen Designer ein cineastisches Denkmal und verhalf ihm zum internationalen Durchbruch. Armani hat sein modisches Finanzimperium in den vergangenen vier Jahrzehnten auf der Idee aufgebaut, dass seine Vision von Bekleidung zur Norm und Leitidee für eine individuellen Uniform werden soll, und er ist bis heute damit erfolgreich. Sein Verständnis von Modedesign hat mehr mit Gestaltung zu tun als mit Ideenreichtum, Armani steht für Purismus und funktionale Eleganz statt für Exzentrik und Üppigkeit. Armani, und mit ihm Jil Sander, Calvin Klein, eine Zeitlang auch Prada, und dann Labels wie Céline und jüngst The Row, Akris und Lemaire (mit Echos bei COS und Uniqlo), machen Mode, die auf eine permanente Neuerfindung verzichtet und beansprucht, gleichzeitig modern und zeitlos zu sein: ganz normal, aber trotzdem besonders.

Neue Antimode. Gehypte Normcore-Marken wie Vetements und Gosha Rubchinskyi spitzen dieses Konzept zu und zeigen Trenchcoats, Trainings­anzüge, Jeans, Bomberjacken und Blümchenkleider, die nicht nach glamouröser High Fashion, sondern eher nach normaler Secondhandmode aussehen. Was heute Normcore heißt, ist eine Neuauflage dessen, was in den Neunzigerjahren als Anti-Fashion bezeichnet wurde. Labels wie Helmut Lang, Bernadette Corporation, Maison Martin Margiela, Bless und Walter van Beirendonck nahmen unter dem Vorzeichen der Anti-Mode eine radikale Dekonstruktion der Mode, ihrer Präsentationsformen und ästhetischen Parameter vor. Antwerpen avancierte dabei zum wichtigen Knotenpunkt des Modedesigns.

Gewagt. Die Normalo-Outfits von Vetements sind der letzte Schrei.
Gewagt. Die Normalo-Outfits von Vetements sind der letzte Schrei.(c) Beigestellt

In der belgischen Hafenstadt zeigt das Mode-Museum MoMu ab 17. September die Ausstellung „Rik Wouters & The Private Utopia“, bei der Modedesign und Kunstwerke in einer symbiotischen Verklammerung ausgestellt werden. Die Entwürfe verschiedener belgischer Modedesigner – unter anderem die der „Antwerp Six“-Mitglieder Walter van Beirendonck, Ann Demeulemeester, Martin Margiela, Dries van Noten und Marina Yee – werden in der Ausstellung den expressiven, lebendigen Kunstwerken des post-impressionistischen Malers Rik Wouters gegenübergestellt. Mit Lacan und den eingangs erwähnten Rastern des Psychischen gesprochen, eröffnet die Ausstellung faszinierende Perspektiven auf den Bereich des Imaginären, der Projektionen und mythischen Selbst- und Körperbilder in der Mode und in der Kunst, die in ihrer destillierten Form auch immer wieder in der alltäglichen, normalen Mode verhandelt werden.

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