An Einsamkeit streift man nicht gern an

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Themenbild(c) Erwin Wodicka - Bilderbox
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Man sieht sie jeden Tag, Einsamkeit, auch in der näheren Umgebung, in allen Schattierungen.

Der ältere Mann vor mir legt ein Paar Frankfurter, eine kleine Tube Senf und einen halben Liter Vollmilch auf das Band. Er lebt allein, denke ich mir. Der goldene Ehering an seinem Ringfinger ist viel zu weit. Er muss sehr viel an Gewicht verloren haben, seit damals, als er geheiratet hat. Wahrscheinlich ist seine Frau schon länger nicht mehr am Leben.

Unsere Blicke kreuzen sich kurz, er muss mein Starren auf die Würstel bemerkt haben. Er zahlt und geht, ein gebeugter, trauriger Mann, und ich schäme mich doppelt, für die indiskreten Blicke und dafür, dass sich die Einsamkeit für ihn vielleicht noch schmerzlicher anfühlt, wenn sie jemand bemerkt.

Man sieht sie jeden Tag, Einsamkeit, auch in der näheren Umgebung, in allen Schattierungen. Nein, nicht jeder, der allein mittagisst, wäre lieber in Gesellschaft. Manch einer aber vielleicht schon, nur fragt schon lange niemand mehr, ob man gemeinsam essen will. An Einsamkeit streift man nicht gern an. Sie kann nicht mit einer Geste gelindert werden, sie erfordert mehr.

Was soll man denn tun, mit einem unbekannten alten Mann im Supermarkt, der einen rührt? Weil man sich manchmal wünscht, ein bisschen mehr allein zu sein, als Luxus, und darüber vergisst, wie es sein muss, allein zu sein, immer. Ich sage nicht, hallo, wollen Sie zu uns zum Abendessen kommen, da ist es laut und lustig, manchmal mehr, manchmal weniger. Ich weiß nicht, ob ich seine Geschichte wirklich hören will, und wenn, was wir danach damit machen. Wer weiß, ob es ein Netter ist und nicht ein schwieriger, bitterer Mensch. Vielleicht streiten wir sogar, über Politik, oder darüber, wie Kinder sich beim Essen zu benehmen haben. Der Schritt auf einen Fremden zu ist eigentlich auch anmaßend. Wer weiß, ob er so etwas überhaupt will?

Wie gut, dass es Menschen gibt, die sich engagieren, mit Zeit und Herz, und einsamen Menschen ganz professionell helfen. Wie gut, dass man so viel auslagern kann, was ein großes Risiko wäre.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2016)

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