Großglockner: Der Berg, der die Autos rief

Grossglockner Berg Autos rief
Grossglockner Berg Autos rief(c) APA (ARCHIV GROHAG)
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360 Grad Österreich: Vor 75 Jahren wurde die Großglockner Hochalpenstraße eröffnet. Eine Reminiszenz an Zeiten, als Straßen noch gut waren.

Wenn man den Berg bezwingen will, braucht man schon seine 100 Pferde – und, so man Kinder dabei hat, einen guten Magen. Spätestens bei der zehnten Kehre werden deren Gesichter grün, bei Nummer 15 kommt das Frühstück hoch, und bis man die letzte 180-Grad-Wende genommen hat – insgesamt gibt es 36 – sind auch die Spaghetti von vorletzter Woche im Plastiksackerl gelandet.

Das muss man in Kauf nehmen. Dafür wird man mit einem atemberaubenden Panorama belohnt, wenn man auf der Edelweißspitze auf 2571 Meter Höhe aus dem Auto steigt. Und man ist nicht einmal außer Atem. Dank der Technik, die vor 75 Jahren von der Natur Besitz nahm, musste sich nur der Motor anstrengen.

Eigentlich ist es ja eine Skurrilität, die selbst in den USA für Verwunderung sorgt, wo man alles mit dem Auto im „Drive Thru“ erledigen kann: Den Kaffee bei Starbucks holen, Geld vom Bankomat abheben, in Florida kann man im Auto heiraten und sich in Las Vegas sogar in einem bestatten lassen. Nur eines kann man nicht: Auf den höchsten Berg der USA fahren. Das haben wir den Amis voraus.


300.000 Fahrzeuge pro Jahr. Etwas mehr als eine halbe Stunde braucht man vom Gasthof Lukashansl an der Salzachbrücke in Bruck, wo sich Kilometerstein 0 befindet, über die Großglockner Hochalpenstraße auf die Edelweißspitze. Fährt man auf der anderen Seite wieder hinunter, nach Heiligenblut in Kärnten, ist es eine knappe Stunde. Dann kann man stolz den Mautkleber vorweisen als Beweis, dass man es über die Hochalpenstraße geschafft hat – oder vielmehr das Auto.

Fast 300.000 Fahrzeuge werden von ihren Besitzern jedes Jahr über die 1815 Höhenmeter gequält. Oben bei der Edelweißspitze oder beim legendären „Mankeiwirt“, beim Haslinger Herbert mit seinen Murmeltieren, trifft man die stolzen Motoristen mit ihren Trophäen: den Mautpickerln der absolvierten europäischen Passstraßen. Wenn es die nicht gibt, dann einen runden Aufkleber auf der Stoßstange als Beleg für den befahrenen Asphalt. Dazu die Schilderungen: „Schöner als an der Amalfi-Küste geht nicht.“ – „Fahren Sie einmal von Sospel nach La Bollène Vésubie in Südfrankreich. Das ist erst etwas.“ – „Ah ja, und dann von Chateauneuff-Grass über Gourdon nach Thorenc. Mein Gott, dieser Blick über das Mittelmeer – ein Traum.“

Es ist diese Sorte Mensch, der man den Bau der Straße in den 1930er-Jahren verdankt: Franz Wallack, leidenschaftlicher Cabriolet-Fahrer, nach Eigendefinition „begeisterter Freund der Bergwelt“ und im Beruf Ingenieur. Und Franz Rehrl, Autonarr, mit einem Herzfehler geboren (daher die Straße?) und im Beruf Landeshauptmann von Salzburg. Wie sehr die Wirtschaftskrise als Ermöglicher der Großglocknerstraße mitspielte, bleibt fraglich. 2000 Menschen, manche sprechen von 4000, hatten dank der Bauarbeiten von 1930 bis 1935 Arbeit. Nicht unbedingt das großartige Beschäftigungsprogramm: Die damalige Arbeitslosenrate in Österreich betrug 27 Prozent.

Die Straße kostete 25,8 Millionen Schilling, nach heutigem Wert entspräche das 71 Millionen Euro, und war in jeder Beziehung einzigartig. Ein wirklich einmaliger Beitrag zum Straßenbauwesen wird dabei freilich oft übersehen: Der Bau war um 200.000 Schilling billiger als budgetiert. Das hat es in der Geschichte der öffentlichen Aufträge zweifellos nie wieder gegeben.

Als Rehrl am 22.September 1934 mit seinem Steyr 100 als Erster über die Passstraße fährt – offiziell eröffnet hat man sie erst am 3.August 1935 –, ist der Mythos von der Technik geschaffen, die die Natur bezwang; von der österreichischen Ingenieurskunst; ein Monument des Straßenbaus und eine neue Freizeitbeschäftigung: der automobile Alpinismus.

Seine Anhänger sind die, die noch heute bei der Edelweißspitze über die Vorzüge diverser Straßen diskutieren. Durchaus ältere Herrschaften, Überbleibsel einer Zeit, als Straßen noch uneingeschränkt gut und Autos Statussymbole waren. Das Kriterium eines Ausflugs in die Berge ist dabei nicht das Gefühl, einen Gipfel erstiegen zu haben, sondern, wie breit und in welchem Zustand die Straße ist.

In den Glanzzeiten, in den 1960er-Jahren, fuhren jährlich weit mehr als eine Million Menschen über den Pass. Und das wirklich wegen der schönen Landschaft. Zurück zur Natur, aber eben im Auto. Eine ähnliche Frequenz erreichte man nur noch 1990 nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als Osteuropa die verlorenen Jahrzehnte nachholen musste.


„Morfi“ Nummer drei. Ob man heute so eine Straße gesellschafts- und umweltpolitisch noch einmal bauen könnte? „Das bezweifle ich“, meint sogar der Pressesprecher der Großglockner Hochalpenstraßen AG. Da man sie aber hat, wird sie entsprechend inszeniert: mit einem Museum, Ausstellungen, Souvenirläden, mit einer aufwändig-spektakulären Schneeräumung und Lehrpfaden. Das scheint noch immer anzukommen: Heuer wird der 60-millionste Besucher erwartet.

Aber so wie einst wird es nie wieder, als die „Wiener Zeitung“ bei der Eröffnung von einer „frohen Stimmung“ schrieb, die die „Alpenbewohner beseelt“, die mit „hell leuchtenden Augen und Stolz im Blick“ neben der Straße stünden. Heute kann es schon einmal passieren, dass weniger Beseelte gegen den Verkehr demonstrieren.

„Früher samma alle Angestellten von allen Betrieben z'sammg'sessen, habn g'sungen und trunken”, erzählt Herbert Haslinger, der seit 1978 beim Gasthof Fuscherlacke arbeitet, seit 1990 als deren Besitzer. „Heut schaut ma scho, was der andere für Gäst' hat, es gibt a bissl an Neid. Es ist fast wie im Tal unten.“ „Wie im Tal unten“ ist für einen Hochgebirgler Ausdruck tiefster Verachtung.

Nur eines scheint Bestand zu haben: Haslingers zahmes Murmeltier „Morfi“, das seit Jahrzehnten um das Gasthaus wieselt oder auf seiner Schulter sitzt. Das Geheimnis: Es ist in Wahrheit schon „Morfi Nummer 3“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2010)

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