Leben On-Demand: Schnell, aber oberflächlich

Leben OnDemand Schnell aber
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Das Streben nach ständiger Verfügbarkeit verändert uns, weil wir die Möglichkeit des Verzichts völlig ausblenden.

„Das haben wir nicht mehr lagernd“, sagt die Verkäuferin im Schuhgeschäft, vor der man irgendwo zwischen nervös zappelnd und völlig genervt steht. „Ich kann nur fragen, ob es das noch in einer anderen Filiale gibt.“ Es geht nur um ein Paar Schuhe. Aber es zeigt sehr deutlich die Ungeduld, die wir längst verinnerlicht haben. Eine Ungeduld, die dann massiv nach außen dringt, wenn etwas nicht sofort verfügbar ist. Denn dann wird ein Prinzip verletzt, an dessen Funktionieren wir uns schon so gewöhnt haben, dass wir es für selbstverständlich halten: „Ich will alles – und das sofort!“

Das Internet hat uns vorgelebt, dass – zumindest theoretisch – jedes Bedürfnis mit einem einfachen Mausklick befriedigt werden kann. Wir schließen auf Facebook Freundschaften per Knopfdruck, können auf Google und Wikipedia jederzeit Wissen abrufen, auf Youporn sexuelle Stimulation – und auf Amazon & Co. auch physische Waren innerhalb kürzester Zeit in unser Wohnzimmer ordern. Auch Schuhe, ganz ohne mühsame Irrfahrten von Filiale zu Filiale. Und spätestens, seit das weltweite Netz auch den Sprung auf das Handy geschafft hat, muss man dafür nicht einmal mehr vor dem Computer sitzen. Fast alles funktioniert mittlerweile On-Demand.

Nun erscheint es uns nur allzu logisch, diese Entwicklung zu begrüßen. Schließlich waren lange Wartezeiten und mühsame Beschaffungsprozesse auch schon im Prä-Internetzeitalter ärgerlich. Gut also, dass wir die jetzt losgeworden sind. Und doch schwingt bei einer Gesellschaft, die auf Knopfdruck ihre Bedürfnisse befriedigen kann, schnell ein kulturpessimistisches Element mit. Das beginnt schon bei der Frage, ob der Mensch nicht viele Denkaufgaben an Wikipedia & Co. auslagert, sich kein breites Wissen mehr anlesen muss, weil er ja bei Bedarf einfach googeln kann.

Autoren wie der amerikanische Technologiekritiker Nicholas Carr sprechen davon, dass das Hirn auf diese Weise geradezu verkümmert. „Früher war ich ein Taucher im Ozean der Worte. Heute rausche ich auf der Oberfläche entlang wie ein Wasserskifahrer.“ Ein Befund, der sich wohl mit der eigenen Leseerfahrung weitgehend deckt. Allein – harte, neurowissenschaftliche Daten über die Effekte des digitalen Lesens sind bisher Mangelware.


Schnelle Befriedigung. Das Internet wirkt sich aber auch auf unser Gefühlsleben aus. Gerade das Gefühl, dass alles verfügbar ist, verführt geradezu zur Nutzung der „Instant Gratification“. Ein Pornovideo im Netz verspricht genau das – weder muss man sich dafür in einem Geschäft als Pornokonsument outen, noch ist manch langwierige Beziehungsarbeit notwendig. Befriedigung jetzt, unkompliziert und ohne Hürden. Ein erlerntes Verhalten, das psychologisch problematisch ist.

„Man muss auch lernen, Triebbefriedigungen aufzuschieben“, sagt der Salzburger Psychologe Wolf-Dietrich Zuzan. „Wenn man nie gelernt hat, Triebe aufzuschieben, versucht man, alles zu befriedigen.“ Wer etwa jedem kleinen Appetitgefühl nachgibt, wird sehr schnell übergewichtig werden. Der Körper verlernt so regelrecht, ein richtiges Hungergefühl zu entwickeln. Man isst nicht mehr, wenn man es braucht, sondern ständig zwischendurch. Mit allen negativen gesundheitlichen Folgen.

Verzicht gilt nicht als Tugend, sondern wird weitgehend an den Rand gedrängt. Das Weinen eines Kindes, das lernen muss, dass man eben nicht alles haben kann, gehört zum natürlichen Entwicklungsprozess. Doch genau dieser Prozess wird durch die vom Internet vorgelebte Illusion permanenter Verfügbarkeit ad absurdum geführt.

Was mitunter dazu führt, dass Menschen von der Fülle der Möglichkeiten und der Unmöglichkeit, sie alle zu nutzen, völlig überfordert sind. Zuzak kennt solche Fälle aus seiner Arbeit in der Männerberatung. „Man muss immer sofort reagieren und kann sich nichts mehr in Ruhe überlegen.“ Dass die Redewendung „über etwas schlafen“ heute kaum mehr Anwendung findet, sei ein Symptom dafür. Der Effekt: Es kommt zu unüberlegten, spontanen Reaktionen. Von unbedarften, verletzenden Äußerungen bis zum Extremfall von körperlicher Gewalt.

„Es gibt zu viel Angebot“, glaubt Zuzan. So versuche man alles unterzubringen, kaufe etwa ein neues Sportgerät und habe gar keine Zeit mehr, es überhaupt zu verwenden, weil es schon wieder etwas anderes, etwas Neues gibt. „Genau darunter leiden viele Beziehungen“, meint der Psychologe. Denn gerade für die Beziehungsarbeit, die viel Geduld und Zeit braucht, bleibt oft nichts mehr übrig.

Das liegt aber nicht nur daran, dass man selbst alles Verfügbare möglichst sofort ausprobieren will. Denn was man von allen anderen erwartet, wird längst auch von einem selbst als selbstverständlich vorausgesetzt – die ständige Verfügbarkeit. Besitzer eines internetfähigen Handys ertappen sich allzu oft dabei, dass sie gleich nach dem Aufstehen sofort ihre Mails checken, natürlich auch kurz vor dem Einschlafen – und auch dazwischen, zu jeder sich bietenden Gelegenheit. Häufig ist es schon ein Suchtverhalten – da wird daheim der Gang auf die Toilette schon einmal zum heimlichen Abrufen des Mailkontos genützt.


Wer sind die echten Freunde? Wirklich bewusst werden uns die Schattenseiten der Verfügbarkeit auf Knopfdruck vor allem dann, wenn wir an deren Grenzen stoßen. Wenn wir merken, dass das Smartphone in den letzten Rest unserer Privatheit eingedrungen ist. Wenn klar wird, dass man zwar einige hundert Freunde auf Facebook hat, jedoch in einer Lebenskrise keinerlei Hilfe von ihnen erwarten kann – im Gegensatz zu jenen Menschen, mit denen man intensiv eine persönliche Freundschaft pflegt. Oder auch dann, wenn wir eine Aufgabe lösen müssen, dabei aber nicht auf Google oder Wikipedia zugreifen können.

Und es ist, bei allen Vorzügen des Einkaufs On-Demand, noch ein Element, das gegen die ständige Verfügbarkeit spricht: Es ist die Freude, etwas geschafft zu haben. Jene Freude, die man verspürt, wenn man nach einer schier endlosen Schnitzeljagd endlich seinen Einkauf in Händen hält. Auch, wenn es nur ein Paar Schuhe ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2010)

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