Meister der Schneider

(c) Vincent Lappartient
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Als Präsident des französischen Modeverbandes wacht Didier Grumbach über die Haute Couture, der er eine große Zukunft prophezeit.

Vom Stellenwert, den die Mode in Frankreich hat, kann man in anderen Ländern nur träumen. Und das nicht erst seit gestern: Bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert ließ der Finanzminister von Ludwig XIV., Jean-Baptiste Colbert, verlauten: „Die Mode ist für Frankreich, was den Spaniern die Goldminen in Peru sind.“ Ausgehend von dieser Wahrnehmung verwundert wenig, dass der „Fédération Française de la Couture et du Prêt-à-Porter“ als Gralshüterin einer edlen Tradition mit größtem Respekt begegnet wird. Standesgemäß residiert man am Machtzentrum der Grande Nation vis-à-vis, und sogar leicht oberhalb, des Elysée-Palastes. Wenige Tage, bevor in Paris die Haute-Couture-Kollektionen der kommenden Saison gezeigt werden, trifft das „Schaufenster“ Didier Grumbach, den Präsidenten des französischen Modeverbandes. Seine provokante These: In der Haute Couture liegt die Zukunft eines Systems, das auf bahnbrechende Veränderungen zusteuert.


Die Haute Couture hat eine lange Vergangenheit und ist heute für den Markt nahezu bedeutungslos; Prêt-à-porter von berühmten Marken gibt es erst seit ein paar Jahrzehnten, es ist aber allgegenwärtig. Wodurch hat sich die Konstellation der Mode so grundlegend verändert?

Eine Frau, die es sich leisten konnte und modisch sein wollte, trug früher maßgeschneiderte Kleidung oder eben Haute Couture. Das hat sich erst Ende der Fünfzigerjahre verändert. Mit unter ihrem Namen vertriebener Prêt-à-porter-Mode reagierten Designer auf neue Konsumgewohnheiten. Außerdem gab es lang die Möglichkeit, durch Lizenzverträge in anderen Ländern gutes Geld zu verdienen. Das war unter anderem eine Folge protektionistisch organisierter Nationalökonomien: Lizenzen mit ausländischen Partnern machten es für Couturiers möglich, auch in Märkten wie Argentinien oder Mexiko präsent zu sein, in die sie selbst nicht exportieren konnten. Mit der Öffnung des Welthandels wurde auch Mode von der Stange wichtiger, weil Lizenzen nicht mehr zeitgemäß waren. Pierre Cardin konnte seinerzeit fünfzig Lizenzverträge für Männeranzüge haben. Heute gibt es ein Produkt für die ganze Welt, und Sie können mit höchstens einem Partner eine Lizenz abschließen.


Hat sich auch die Position der Modestadt Paris parallel zu dieser Entwicklung geändert?

Natürlich; man hat auf die zum Teil aggressiv betriebene Internationalisierung der Mode reagiert. Die Fédération zählt heute auch Marken wie Dries van Noten und Yohji Yamamoto zu ihren Mitgliedern, die keine französischen Häuser sind. Alles andere wäre völlig realitätsfern. Regionale Moden und Kleidungsstile gibt es heute nicht mehr oder anders gesagt: Eine französische Mode gibt es heute ebenso wenig wie eine chinesische.


Und trotzdem sprießen Modewochen wie Pilze aus dem Boden, auch wenn sie nicht immer von Bedeutung sind . . .

Sie sind nie von Bedeutung. New York ist die Provinz.


Was zählt denn dann? Nur Paris und Mailand?

Alle zählen auf eine gewisse Weise, aber sie verfolgen nicht dasselbe Anliegen. Lokale Modewochen sind deshalb wichtig, weil nicht alle Einkäufer nach Paris kommen können. Eine Marke muss an jenen Orten präsent sein, die für die angepeilten Märkte wichtig sind. Wer in Paris defiliert, den wird es nicht unbedingt in Peking zu kaufen geben. Und wer Südamerika anpeilt, muss in São Paulo zeigen, anders geht es nicht. Paris funktioniert aber anders: Wer hier ein Defilee hat, passt nämlich nicht unbedingt nach Europa. Die Mitglieder der Fédération leben zu 90 Prozent vom Export.

Paris ist eine ortlose Modestadt?

Ein Modehaus, das hier zeigt, ist jedenfalls mit dem lokalen Markt inkompatibel. Von Paris erwartet man sich das Ungewöhnliche. Hier muss eine Kollektion streitbar, provokant, vielleicht sogar vulgär sein; sonst wird sie enttäuschen. Auch insofern ist Paris ganz anders als Mailand. Außerdem dürfen dort Marken mit Zweitlinien defilieren; wer das in Paris tut, wird von der Fédération ausgeschlossen. Es gibt hier Regeln, die andere Länder nicht kennen. Das ist aber verständlich. Uns gibt es seit 1868; die Mailänder Modekammer erst seit 1952. 


Paris punktet durch seine Geschichte?

Absolut. Ohne diese Geschichte hätte Paris keine Zukunft. Darum ist auch die Haute Couture so wichtig. Sogar in China oder in Indien weiß man, dass sich in Paris etwas Besonderes tut. Nur die Franzosen glauben, in Rio oder in São Paulo sei alles besser. Das ist doch merkwürdig, nicht? Auf der anderen Seite gibt es sogar den einen oder anderen französischen Minister, der sich dazu verleiten lässt, diesem Bild anzuhängen.


Mode ist in Frankreich auch ein Gegenstand, der für die Politik relevant ist? Immerhin hat die Luxusindustrie hier seit Colbert, dem Erfinder des Merkantilismus, einen besonderen Stellenwert . . .

Auf jeden Fall. Mode ist von der allergrößten ökonomischen und politischen Bedeutung. Das macht sie so faszinierend – übrigens auch für Menschen wie Sie selbst. Sonst wären Sie wohl kaum hier, um ein Interview mit mir zu führen.


Die Räumlichkeiten der Fédération an der Rue du Faubourg Saint-Honoré liegen direkt gegenüber vom Elysée-Palast. Auch ein Indiz für die Nähe zur Macht?

Wir liegen nicht nur gegenüber, wir schauen sogar auf den Sitz des Präsidenten hinunter, weil wir in einem der oberen Stockwerke untergebracht sind. Jeder Gedanke an Umzug ist also völlig ausgeschlossen.


Kommen wir nochmals auf die Haute Couture zu sprechen: In ihr gründet, meinten Sie, die Bedeutung der französischen Mode?

Ganz und gar. Darum ist es auch so wichtig, sie zu bewahren und für frisches Blut zu sorgen. Mit Designern wie Bouchra Jarrar oder On Aura Tout Vu, früher auch Felipe Oliveira Baptista, der ein unglaubliches Talent hat, ist uns das gelungen. Auch Viktor & Rolf waren anfangs im Couture-Kalender, ehe sie den Fehler begangen haben, zum Prêt-à-porter zu wechseln. Denn ich versichere Ihnen: Wer freiwillig aus der Haute Couture ausscheidet, bringt sich um etwas.


Sollten junge Designer ihre Karriere mit Couture lancieren?

Ihre Karriere lancieren und später auch dabei bleiben. Die meisten von ihnen verstehen das aber nicht; es zieht sie zur Masse. Anstatt bei der Haute Couture zu bleiben und eine Kollektion zu dem Zeitpunkt zu zeigen, zu dem sie fertig ist und an die Endkunden verkauft wird, wechseln sie zum Prêt-à-porter. Felipe Oliveira Baptista war zum Beispiel in der Couture viel besser aufgehoben. Wer kein Anzeigenkunde ist, hat mit Prêt-à-porter bei vielen Medien keine Chance auf eine Veröffentlichung. Nicht so in der Haute Couture; hier gibt es für einen Neuzugang wie Bouchra Jarrar ebensoviel Aufmerksamkeit wie für große Marken. Aber das sehen die meisten nicht.


Hat es noch Sinn, saisonal definierte Kollektionen zu zeigen, die mehr oder weniger den Jahreszeiten
folgen?

In der Haute Couture schon. Dahinter steht ja die Idee, dass Frauen am Beginn einer Saison ihre Garderobe erneuern und sich neue Maßkleider bestellen. Wer will schon ein Sommerkleid, wenn der Winter noch nicht einmal angefangen hat? Also nützt der Prêt-à-porter-Kalender in seiner aktuellen Form eigentlich niemandem; außer den Nachahmern, die sich gleich an die Arbeit machen können. Wenn man aber, wie in der Haute Cou­ture, eine Kollektion dann zeigt, wenn sie vom Endkunden bestellt werden kann, hat das Defilee unterstützende Werbewirkung für den Verkauf.


Die Annahme, dass man nur mit Mode von der Stange kommerzielle Erfolge feiern kann, ist ein Irrglaube?

Vom Beaujolais spricht man, wenn er in die Restaurants kommt, nicht wahr? Die Haute Couture folgt diesem Prinzip. Das Prêt-à-porter aber nicht, und so ist die Mode die einzige Branche, in der das Produkt groß gezeigt wird, noch ehe die Bestellungen des Großhandels bestätigt sind und Monate, bevor es in die Läden kommt. Das ist von so unglaublicher Dummheit, dass man sich in dreißig oder vierzig Jahren, wenn das aktuelle System kollabiert ist – und ich bin überzeugt, dass es das tut –, fragen wird, wie es jemals so weit kommen konnte. Aus Perspektive der Modemacher ist das alles unsinnig, und deshalb wird es Veränderungen geben. Sie werden es noch sehen.

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