Heldendämmerung: Männer suchen das Mannsein

Maenner suchen Mannsein
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Im Windschatten des Feminismus drohen die Männer auf der Strecke zu bleiben. Die Forschung hat zwar neue Männerbilder ausgemacht, aber das starke Geschlecht bleibt verunsichert: Wie ist man(n) "männlich"?

Als hätten Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise nicht schon gereicht: Jetzt also die Krise der Männer und ihrer Männlichkeit. Sinkende Schulbildung, fehlende berufliche Perspektiven, eine sich zwischen „Neue Väter“-Wunschdenken und Bürostress-Wirklichkeit zerfleddernde Rolle innerhalb der Familie, immer unabhängiger werdende Frauen – das alles schwächt das starke Geschlecht. Und hat zu einer handfesten „Krise der Kerle“ geführt. In seinem gleichnamigen Buch (erschienen 2007) führt der deutsche Soziologe, Pädagoge und Autor Thomas Gesterkamp diese Baisse der Burschen auf eine „Krise der männlichen Identität und der politischen Strukturen, die auf dem Mann als Haupternährer beruhen“, zurück. Es ist eine Analyse, die bei der österreichischen Männertagung, die am vergangenen Donnerstag und Freitag in Graz stattfand, mehrheitsfähig war.

Das starke Geschlecht als die neuen Schwachen? Heldendämmerung? Die Männer auf der Verliererstraße? Opfer ihres selbst kreierten Gesellschaftsmodells, in dem die Erfolgsparameter der Wirtschaft dominieren? In dem das Recht des (ökonomisch) Stärkeren regiert?

„Es ist ein erschreckendes Bild, da schon in der Erziehung menschliches Einfühlungsvermögen und persönliche Betroffenheit sorgfältig ausgeklammert wurden“, sagt Raewyn Connell über die Wurzeln dieser Entwicklung. Die australische Soziologin, Gastreferentin bei der Tagung in Graz, gilt als geistige Mutter des Systems der „hegemonialen Männlichkeit“. Demnach gibt es mehrere Ausprägungen von Männlichkeit, die in einer Kultur als Orientierungsrahmen parallel existieren. Aber ein vorherrschendes Handlungsmuster: Connell hat es in einem „weißen, heterosexuellen, durchtrainierten und erfolgreichen Manager“ ausgemacht. Dieses globale Role Model bindet manche Männer komplizenhaft ein, andere Typen werden untergeordnet oder sogar ausgeschlossen.

Es ist ein schleichender, aber sich beschleunigender Prozess, der seit der Jahrtausendwende auf einer immer breiter werdenden gesellschaftspolitischen Ebene diskutiert wird. „Wann ist ein Mann ein Mann?“ – Die vom deutschen Popsänger Herbert Grönemeyer Mitte der 1980er-Jahre zur Hitparadenhymne verklärte maskuline Verunsicherungsparole, gilt immer noch. Antworten lieferte zuletzt der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner. In einer 2009 veröffentlichten Studie im Auftrag kirchlicher Männerorganisationen in Deutschland filterte er vier unterschiedliche Männertypen heraus.

• Den „(teil-)traditionellen Mann“, der sich noch immer als Haupternährer der Familie sieht, aber zunehmend die Berufstätigkeit von Frauen und Müttern anerkennt. Dieser Gruppe gehören 27 Prozent der knapp 1500 befragten Männer zwischen 17 und 85 Jahren an.
• Den „modernen Mann“ (19Prozent), der für eine gleichberechtigte partnerschaftliche Arbeitsteilung in Beruf und Familie ist.
• Den „balancierenden Männertyp“ (24 Prozent), der sich aus den traditionellen und modernen Werten das herausfiltert, was in sein Lebenskonzept passt.

• Den „suchenden Mann“ (30 Prozent). Er hat seinen festen Platz in der Gesellschaft, in Familie und Beruf noch nicht gefunden.


Diese Typisierung und auch die Mengenverteilung stimmt weitgehend mit anderen Untersuchungen überein. Die Reaktionen unter den Männern sind vielfältig. Teilweise sei es ein „plakativer Opferdiskurs über das ,Mängelwesen Mann‘“, analysiert Thomas Gesterkamp. Zum einen führe eine „beleidigte Haltung des Übersehenwerdens“ in einen Antifeminismus. Der wiederum weise eine heikle Nähe zu rechtskonservativen bis -extremen politischen Strömungen auf, warnt Gesterkamp. Zum anderen speist die Orientierungslosigkeit auch eine altbekannte Kritik am Bildungssystem und dessen sehr weiblich geprägten Strukturen. Der typische Bewegungsdrang, das ritualisierte Kräftemessen der Burschen werde als Störfaktor abgekanzelt. „Wir haben zu wenig männliche Pädagogen als Identifikationsfiguren“, bemängelt Gesterkamp.

Die Folgen spiegeln sich im Schulerfolg wider: Die Mehrheit der Sitzenbleiber und zwei Drittel der Schulabbrecher sind Burschen. Später brauchen sie immer häufiger Einführungs- und Nachschulungen, um von der Wirtschaft überhaupt als Berufseinsteiger akzeptiert zu werden. Viele bleiben später in prekären Arbeitsverhältnissen stecken. „Ein männliches Proletariat, das schlecht ausgebildet und anfällig für Gewalt und Extremismus ist, entsteht“, fasst Gesterkamp die soziale Sprengkraft dieser Entwicklung zusammen. In einer freundlicheren Definition bezeichnet er sie als „Virtuosen der Fernbedienung“, die jedenfalls keine Chance mehr haben, ein „ehrbarer Familienvater“ zu werden.


Aufstieg der Frauen. Dem gegenüber stehen Mädchen, die für den Soziologen die „moderneren Kinder“ sind, weil sie „besser auf die Dienstleistungsökonomie vorbereitet sind“. Die steigende weibliche Erwerbsbeteiligung sei überhaupt der wichtigste Wandel seit der Industrialisierung. Frauen betrachten ihren Beruf nicht mehr als Intermezzo vor Heirat und Familiengründung. Für die Männer sei es umgekehrt „schwer, dort hineinzuhüpfen“, so Gesterkamp, „wo die Frauen gerade herauskommen“: nämlich in eine neue, stärker soziale Aufgaben wahrnehmende Rolle in der Familie. Gesterkamp: „Dafür braucht es viel Mut und Flexibilität im Kopf.“ Viele Alternativen sieht er aber nicht.

Unterstützung kommt aus der Literatur. Der isländische Kultautor Hallgrimur Helgason hat in seinem Roman „Eine Frau bei 1000 Grad“ einen Krisenauslöser ausgemacht: „Das kapitalistische Denken geht dann auf, solange nichts den Mann von seiner Arbeit abhält, die Frau seine Hemden in die Reinigung bringt, keine Kinder zur Welt kommen und kein älterer Mensch zum Arzt gebracht werden muss.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2011)

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