Greenwich: Mini-Wall-Street im Grünen

(c) Dapd (Oliver Lang)
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Das Städtchen Greenwich, 50 Zugminuten entfernt von New York, lockt Hedgefonds, Milliardäre und Promis an. Jüngster Neuzugang: Karl-Theodor zu Guttenberg.

Wozu in die Ferne schweifen, wo das Edle, Schöne und Gute vor der Haustür liegt? Timothy Davidson, Brandon Lacoff und Gregory Skidmore, die Glückspilze des Super-Jackpots aus Greenwich in Connecticut, brauchen nicht eigens nach New York zu pilgern, in die Fifth Avenue oder die Madison Avenue, um ihr ihnen unverhofft zugeflogenes Vermögen standesgemäß zu verjubeln. Was die Nobel-Shoppingmeilen der Millionenmetropole zu bieten haben, damit kann die Greenwich Avenue im gleichnamigen Millionärsstädtchen, 50 Zugminuten von der Grand Central Station entfernt, auch aufwarten – im feinen Kleinformat.

Tiffany's, Saks, Rugby's: Wie Perlen fädeln sich die Luxusmarken den Hang hinauf, an dessen Ende eine weiße Kirchturmspitze das Postkartenidyll eines prototypischen Neuengland-Städtchens überragt. Statt Ampeln regeln in der Einkaufsstraße noch Polizisten den Verkehr. Die beiden blondierten Ladies in Reitstiefeln, die sich im „Aux Delices“ zum Lunch treffen, könnten dem Landadel-Klischee à la Ralph Lauren entsprungen sein.

Filmkulisse

Wie passend, dass in Old Greenwich einer im Tweed-Sakko auf dem Bock eines Zweispänners nach Gutsherrenart durch die Main Road kutschiert. Die „WASPs“, die aussterbende Elite der weißen, angelsächsischen Protestanten, kultivieren in Greenwich – benannt nach dem Londoner Stadtteil – den Lebensstil der Upper Class des britischen Empire. Die viktorianischen Landhäuser, Country-und Golf-Clubs und die Privatschulen geben davon Zeugnis ab. Womöglich hat dies auch einen prominenten Neuzugang angezogen: Karl-Theodor zu Guttenberg, den forschen Nicht-mehr-Minister und Leider-nein-Doktor, der via USA soeben sein politisches Comeback in Deutschland lanciert hat.

Es ist jedenfalls nicht weiter verwunderlich, dass Greenwich als Filmkulisse herhält: für Vorstadt- und Ehedramen wie „Revolutionary Road“ oder „Der Eissturm“, für Spionagethriller wie De Niros „Der gute Hirte“ oder Tragikomödien wie „Die Familie Stone“. In den verschlungenen Buchten des Long Island Sound, geschützt vor neugierigen Augen, ließen sich Hollywoodstars, Popdiven und Sportgrößen im Dutzend nieder: Glenn Close, Regisseur Ron Howard oder Mel Gibson, der sein Anwesen inzwischen um mehr als 20Mio. Dollar verhökert hat. Ivan Lendl schwingt mittlerweile mehr den Golf- als den Tennisschläger. Von Diana Ross wiederum geht die Fama, dass sie sich voriges Weihnachten eine zehn Meter hohe Tanne ins Wohnzimmer liefern ließ.

Das zumindest will Karen Campbell vernommen haben, deren Sohn als Securitychef für einen der „Big Guys“ arbeitet, wie sie mit stolzem Unterton anmerkt. „Das sind ganz normale Leute.“ Neidgefühle sind den Amerikanern ohnedies eher fremd. Sie haben den Glauben, es aus eigener Kraft selbst zum Millionär bringen zu können, mit der Muttermilch eingesogen. Doch der „American Dream“ hat längst an Glanz und Zugkraft verloren.

Als „Big Guys“ apostrophiert Karen die neureichen Finanzmanager, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten unter den alten Geldadel Greenwichs gemischt haben, der am Ende des 19. Jahrhunderts den Küstenort als Sommerresidenz salonfähig gemacht hat. Als drittgrößte Hedgefonds-Kapitale nach New York und London genießt Greenwich in der Finanzbranche Ansehen. Vor allem nach den 9/11-Anschlägen hat ein wahrer Boom eingesetzt, Hedgefonds und Investmentfirmen zogen von der Wall Street ins Grüne, in die vermeintliche Sicherheit Connecticuts. 30Hedgefonds sind im Handelsregister eingetragen: „kleinere Fische“ wie Belpointe, gemanagt von den drei Lotteriegewinnern, und „große Haie“.

Die Superreichen

Die Milliardäre Steve Cohen, Edward Lampart und Paul Tudor Jones ringen nicht nur an der Wall Street um Geld und Macht. Im Versuch, sich gegenseitig zu übertrumpfen, haben sie sich in Greenwich Herrschaftssitze errichten lassen wie seinerzeit die Vanderbilts und Astors in Newport, einer riesiger als der andere – indessen weit nicht so protzig wie im Millionärsghetto von Palm Beach in Florida oder im kalifornischen Bel Air.

An den Gestaden des Atlantiks zwischen Greenwich und Old Greenwich residiert das Who's who der New Yorker Finanzwelt – jenes eine Prozent, gegen das die „Occupy Wall Street“-Bewegung mobil macht: Todd Combs, der Wunschnachfolger Warren Buffetts bei Berkshire Hathaway; Ex-Citigroup-Chef Sandy Weill oder Richard Fuld, der Lehman Brothers in die Pleite geführt hat. Raj Rajaratnam indessen muss sein Domizil am Montag mit einer Gefängniszelle tauschen. Ein New Yorker Gericht hat den aus Sri Lanka stammenden Investor wegen Insiderhandels zu elf Jahren Haft verurteilt.

Karen Campbell wartet derweil auf den Bus in die nahe Industriestadt Stamford, Wohnort des Dienstpersonals – zumeist Latinos. Wer dagegen etwas auf sich hält, fährt ein Auto deutscher Provenienz: Mercedes, BMW, Audi oder Porsche-SUV gelten als absolute Statussymbole. Für exquisite Geschmäcker bietet der Autohändler im „Carriage House Motor Cars“ eine ganze Flotte an Bentleys, Rolls Royces, Lamborghinis, Ferraris und Corvettes.

Nach einer gewissen Flaute in den Krisenjahren springt das Geschäft in der Auto- wie in der Immobilienbranche wieder an. Schilder zur Zwangsversteigerung in den Vorgärten sind sowieso verbannt. In den Maklerbüros halten die Mitarbeiter selbst am Samstagnachmittag die Stellung. Am Bahnhof listet die „New England Land Company“ den Landsitz „Beechcroft“ zum Wert von 18,9Mio. Dollar: „Ein englischer Landsitz von zeitloser Eleganz, Steinmauern, pittoreske Wasserfälle, majestätischer Park mit zwei Teichen.“

Im Hafen ankern „Double Dawn“ und „Francine“, 30Meter lange Jachten. Währenddessen werden Segelboote vertäut und winterfest gemacht. Und wer doch Sehnsucht nach der großen Stadt verspürt, begibt sich zum Greenwich Point Park, wo sich am Horizont die Silhouette Manhattans erhebt.

Greenwich

62.000 Einwohner leben in Greenwich auf einer Fläche, die doppelt so groß ist wie jene Manhattans. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen beläuft sich auf 120.000 Dollar, der Preis für ein Einfamilienhaus auf 2,8 Mio. Dollar.30 Hedgefonds-Gesellschaften haben ihren Sitz in Greenwich, was das Städtchen nach New York und London zur drittgrößten Hedgefonds-Kapitale der Welt macht. Nach den 9/11-Anschlägen hat ein wahrer Boom eingesetzt, viele Finanzfirmen sind nach Connecticut gezogen – und mit ihnen die Milliardäre Steve Cohen (SAC Capital), Edward Lampert (ESL), Paul Tudor Jones.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2011)

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