Unsere Investoren und die Raubtiere der Gründerzeit

(c) ORF (Thomas Apolt)
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Ach ja, die Gründerzeit. Wie keine andere Ära hat sie Wien geprägt.

Freilich, wo viele heute bürgerliche Fassadenpracht, hohe Innenräume, weite Flügeltüren sehen, hatten Zeitgenossen auch Zinskasernen, Gangklosett und Bassenaelend vor Augen. Wohnungen seien damals „mit dem Hauptziel gebaut“ worden, „durch maximale Dichte der Bebauung so rasch wie möglich maximale Bodenpreissteigerung zu erzielen“, hielt Roland Rainer Jahrzehnte später fest. Was uns heutzutage bedenklich bekannt vorkommen muss.

Tatsächlich war das, was wir Raubtierkapitalismus nennen, in Sachen Immobilien nie raubtierischer als in einer Epoche, deren brutale Wirklichkeit uns mittlerweile hinter Fin-de-Siècle-Schöngeisterei abhandengekommen ist. Und spätestens wenn wir als glücklicher Gründerzeithausmieter in größter Heimwerker-Unschuld dem bröseligen Schlackenkonglomerat einer Zwischenwand mit Hammer oder – Gott behüte – Schlagbohrer zu nahe getreten sind, ahnen wir, dass es auch mit der Bauqualität des Althergekommenen nicht immer weit her war.

Andererseits: Ich selbst habe etliche fröhliche Jahre in einem Gründerzeithaus verlebt, und dass mir die zwei Meter Zimmerluft über meinem Kopf nebst dem Gefühl der Freiheit auch höhere Heizkosten eingetragen haben als in der um ein Viertel größeren Folgewohnung, ist mir erst im Nachhinein aufgefallen. Was also tun, wenn wieder einmal Altbestand gefährdet ist?

Eine „Initiative Abrissstopp Taborstraße 81–83“ hat sich zweier Gründerzeithäuser angenommen, die einem Neubau weichen sollen. Das Folgeprojekt wird morgen, Donnerstag, 17 Uhr, in der Gebietsbetreuung am Volkertplatz 9 vom Bauträger vorgestellt. Der huldigt auf seiner Homepage (www.vestwerk.com) einem Vorsatz voll Noblesse: „Der Zeit ihre Werte.“ Und mit welchen architektonischen Werten sich Investorenambition von heute am gschmackigsten verkaufen lässt, weiß man bei Vestwerk auch genau: Die Homepage ziert das Bild einer Fassade, und die stammt sichtlich – aus der Gründerzeit.

E-Mails an:wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2014)

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