Baustelle als Top-Reiseziel

(c) Clemens Fabry
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Zusammenbruch, Umbruch und Aufbruch, das genialisch Unfertige der Stadt und ihrer schrägen Vögel: „That's so fucking Berlin.“

Kohlmarkt, Champs-Élysées, Ramblas: Jede Stadt, die etwas auf sich hält, hat ihre Prachtstraße. Nur nicht die Berliner. Die haben eine Baustelle. Sie heißt Unter den Linden und ersetzt die einstige Renommiermeile der Preußen. Aber immer noch trotten das ganze Jahr über Millionen Besucher vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor. Man fragt sich ernsthaft, warum. Zu sehen gibt es dort nur Absperrungen und Bagger. Angeblich für eine U-Bahn, die aber, dem Genius malignus loci gemäß, nie fertig wird. Dazu ertönt der Sound der Presslufthämmer. Auf dem Boulevard, der einst den Duft der großen weiten Welt verströmte, holt man sich heute eine Staublunge. Auf nur einer Fahrspur wälzen sich Buildingsiteseeing-Busse im Schritttempo voran.

Auf halbem Weg liegt die gut verpackte Staatsoper. Sie wird schon ewig umgebaut, Endtermin und Kosten sind nicht abzusehen, wie beim Flughafen. Neu und von imposanter Größe ist das Loch, aus dem sich irgendwann einmal das Stadtschloss-Remake erheben soll. Skepsis ist angebracht. Solange es nicht fertig ist, wird die aparte Szenerie von der „Humboldt-Box“ gekrönt. Das ist ein zum halben Hochhaus aufgeblasener Baustellen-Infostand, der aussieht wie ein zerknüllter Schuhkarton in Türkis. Nur leider sehr viel größer.

Die Touristen aber sind selig. Sie kommen immer wieder, sie werden immer mehr. Baugruben und missglückte Provisorien, das ist offenbar genau das, was sie sich von der deutschen Kapitale erwarten, garniert mit Mauerresten und Komasaufen. Zusammenbruch, Umbruch und Aufbruch, das genialisch Unfertige der Stadt und ihrer schrägen Vögel: „That's so fucking Berlin.“

Ich fürchte, zu Hause machen wir etwas falsch. Das Willkommenschaos in Wien Mitte war ein netter Versuch, der Murks mit der Mariahilfer Straße durchaus bemüht. Aber Wiener, da geht mehr! Grabt die ganze Ringstraße auf, leitet den Verkehr um durch die Innere Stadt, ersetzt den langweiligen Präsidenten in der Hofburg durch einen coolen Elektro-DJ. Baut eine Mauer auf und reißt sie wieder ab. Sonst fliegen die Touris mitsamt ihren Euros und Dollars bald alle nur noch nach Berlin.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2014)

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