Das Grauen konnte den Blick länger halten

Ich habe das Grauen gesehen.

Es steckte in einem Plüschanzug, und es winkte, als ein paar hundert Leute auf einmal ihre Smartphones in die Luft reckten und „Hey Mickey Mouse“ riefen. Wir haben einander angestarrt, aber das Grauen konnte den Blick länger halten. Da war es schon zu spät, um umzukehren.

Selbst schuld, wenn man völlig unvorbereitet ins Euro-Disneyland stolpert. Was heißt stolpert, nein, man hat den Weg dorthin mit Euronoten gepflastert, und es ist ein langer, beschwerlicher Weg. Man muss dort wirklich hinwollen. Da dies so viele tun, wird es wohl die Reise wert sein. Glaubt man. Und wird zum Geisterfahrer in einem endlosen Strom an Fröhlichkeit.

Seit man so viel schon vorher anschauen kann, im Internet, auf virtuelle 360-Grad-Rundgänge gehen und im Detail studieren kann, wird einem so viel genommen. Der erste Blick von der Spitze des Eiffelturms auf Paris etwa, der hat so eine monumentale Wucht, wenn man nicht schon zuvor alles am Bildschirm gesehen hat. Blöd nur, dass man für den Blick auch monumentale drei Stunden (mindestens) warten muss, wenn man nicht Monate zuvor die Tickets online bestellt hat. Wie auch die Zugtickets, die Bustour und das Abendessen.

Wer sich Abstinenz verordnet hat, im Online-Bestellen und Vorher-Anschauen, landet dann aber auch ahnungslos in Disneyland. Und kann es kaum glauben: Zwei Stunden anstellen für eine Minute fünfzehn Sekunden Achterbahnfahrt? Die „Fastpass“-Tickets nicht rechtzeitig gecheckt? Das Frühstück nicht reserviert? Dann heißt es warten. Und zahlen. Und warten. In einem Meer aus Türkis und Rosa, eingehüllt in einen Musikteppich, der dich jeder Kraft beraubt. Die Warteschlange zeigt die Begehrlichkeit des Ziels – und wie clever der ist, der um sie herumkommt.

Zuckerwatte kann vieles wieder retten. Auf Französisch heißt sie übrigens „barbe à papa“ (und auf Englisch „candyfloss“). Auf den Fingern klebt sie in allen Sprachen gleich. Das ist dann aber wenigstens echt.

E-Mails an:friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2014)

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