Im Urlaub sollte jeder einmal Egoist sein dürfen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Höhere Gewalt ist leichter zu akzeptieren als ein Umstand, in den man sich selbst manövriert hat.

Wünscht man sich während ein paar wohl verdienter Urlaubstage bald den hektischen, aber vertrauten Alltag wieder, hat man entweder den richtigen Job oder die falschen Freunde. Weder noch, sagen Sie – das Gefühl ist Ihnen aber nicht unbekannt? Dann leiden Sie wahrscheinlich an Neophobie, der Angst vor allem Unbekannten. Oder aber, viel harmloser: Sie sind einfach nur genauso unflexibel wie die Person, für die mich manche halten – Menschen, die es wissen müssen, wohlgemerkt. Weil sie nämlich schon mit mir auf Urlaub waren.

Die Probe aufs Exempel? Nach langer Anreise und kurzer Nacht läutet der Wecker, als es draußen noch stockfinster ist. Die Fähre aber, deren Fahrplan wir dummerweise für eine halbwegs genaue Abbildung der Realität gehalten haben, legt heute wegen eines Streiks erst am späten Nachmittag ab. Der hohe Wellengang stellt auch das infrage.

Stoische Ruhe zu bewahren ist in so einer Situation nicht einfach; Sie geben mir da sicher recht – obgleich höhere Gewalt immer noch leichter zu akzeptieren ist als ein Umstand, in den man sich selbst hineinmanövriert hat: Etwa der beschauliche Heimaturlaub im gemeinsam angemieteten Apartment mit den lieben Bekannten, die den gewohnten Tagesablauf leider mit sehr viel Eigensinn und allzu kreativen Ideen durchkreuzen. Gemeinsames Frühstück um sieben Uhr, um mehr vom Tag zu haben? Ein Abendessen beim teuren Nobelitaliener, der nicht hält, was er verspricht? Die Höflichkeit gebietet es, Folge zu leisten – doch die Erholung bleibt dabei oft auf der Strecke.
Zynisch und rücksichtslos, sagen Sie jetzt? Ich sollte besser allein verreisen? Vielleicht. Denn manchmal muss man Egoist sein dürfen – und wann, wenn nicht im Urlaub?

E-Mails an:anna.gabriel@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2014)

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