Das Jahr der Trostpflaster

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trostpflaster(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Seit das Kind auf der Welt ist, habe ich mehr Geld in Pflaster investiert als in den 30 Jahren davor.

Seit das Kind auf der Welt ist, habe ich mehr Geld in Pflaster investiert als in den 30 Jahren davor. Nicht, weil sich das Kind so oft in den Finger schneidet oder die Knie aufschürft. Sondern weil es ständig ein Pflaster zum Spielen braucht. Schon mit ein, zwei Jahren hat das Kind alles mit Pflastern zugeklebt, was irgendwie im Verdacht stand, ein Aua zu haben: die Stofftiere, die Reifen des Puppenwagens, die Kratzer am Bobbycar. Auch heute noch will das Kind, wenn es sich einen blauen Fleck geholt hat oder ihm der Knöchel wehtut, ein Pflaster drauf: Objektiv gesehen völlig sinnlos, gibt es subjektiv für kleine Kinder kaum ein stärkeres Symbol für „Es wird alles wieder gut“.

Natürlich haben die Hersteller die Chance längst erkannt und spezielle (und speziell teure) Kinderpflaster (rosa mit Prinzessin, gelb mit Winnie Puh, gestreift im Tigerlook) auf den Markt geworfen, die gutmütige Erziehungsberechtigte kaufen, auch wenn schon die Erwachsenenvariante im unverfänglichen Zartbraun nicht ganz billig ist. Auch Waren, die gar nicht explizit für Kinder gedacht sind, werden mittlerweile für die Zielgruppe U10 gestaltet: Da gibt es Küchenrollen mit Märchenfiguren und Klopapier mit Hello Kitty. Im Supermarkt muss man also längst nicht mehr nur den Gang mit den Süßigkeiten umfahren, sondern auch die Hyigeneartikelabteilung. Dort hat das Kind neulich Taschentücher mit Cartoon-Meerestieren entdeckt. Während es seine klebrigen Finger abwischt oder sich die Nase putzt, kann ich ihm dank des Mini-Wikipedia auf der Verpackung erzählen, dass der See-Elefant eine Stunde lang die Luft anhalten kann. Weiterbildung beim Schnäuzen also. Und irgendwie sympathischer, als den verschütteten Kakao mit Schneewittchen-Küchenrolle wegzuwischen.

Apropos: Neulich hat das Kind eine schicke, große Frau und einen grantigen, kleinen Mann gemalt. Wer die beiden denn seien, frage ich. Schneewittchen und die sieben Zwerge, sagt das Kind. Aber da ist nur ein Zwerg, sage ich. Ja, sagt das Kind, ich habe nur den siebenten gemalt. Ein Trostpflaster für die Zwerge eins bis sechs, bitte!

E-Mails an:mirjam.marits@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2015)

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