Das Leben in Obstsaisonen

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Es gibt schon recht kompliziertes Obst.

Daran muss man denken, während die Saison prachtvoll anläuft, endlich gibt es wieder mehr als Glashauskinder, Kellerbewohner und weit gereiste Exoten. Vor allem die roten Früchte sind nicht frei von Allüren. Himbeeren etwa sind sehr sensibel. Da reicht ein stechender Blick und sie gehen ein. Nur von ihren Kernen hat man länger etwas. Die Ribiseln muss man erst erobern. Ein aufwendiges Unterfangen: Behutsam vom Strauch pflücken, ohne zu viele Beeren zu zerquetschen, dann abrebeln, nachzupfen, und noch immer ist erst der Boden der Schüssel bedeckt. Auch die Stachelbeere schmeißt sich einem nicht gerade an den Hals, kein Wunder, sie gehört zur selben Familie. Das Ribiselrot ist übrigens die schönste Rotschattierung aller beteiligten Obstsorten.

Richtiggehend abweisend sind die Brombeeren, für die man sich diese haarfeinen Kratzer an Beinen und Armen holt, ohne die ein richtiger Sommer früher undenkbar gewesen wäre. Zwar kann man sie schon gepflückt kaufen, aber nie schmecken sie dann so wie nach dem Überwinden einer wild wuchernden Brombeerhecke. Da muss man kurz an Dornröschen denken. Schon klar, das waren Rosen, aber es hätten auch Brombeeren sein können.

Die Kirschen sind die Königinnen des Sommers. Wunderschön, manchmal mit Wurm, aber das merkt man nicht immer. Die Kerne müssen gespuckt werden, selbst wenn man kein Volksschüler mehr ist. Weichseln sind melancholischer. Ihr Entkernen führt zu einem Blutbad. Und die Flecken gehen auch nie wieder raus. Weichseln sind zudem in ihrer Konsistenz vorerst labil und laufen erst nach der Weiterverarbeitung zu Höchstleistungen auf.
Auch die Marillen hinterlassen Spuren. Vor allem an den Fingern. Aber um sie geht es hier nicht, sie sind noch nicht reif. Wer sie jetzt schon kauft, hat nicht verstanden, dass das Leben in Obstsaisonen eine Schule fürs Leben ist.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)

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