Ein Feuerwehrmann – und eine ganze Welt in Flammen

(C) Wolfgang Freitag
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Es steht ein Feuerwehrmann am Johann-Nepomuk-Berger-Platz.

Grimmig schaut er drein, als müsste er Atlas gleich den Himmelskreis stemmen; immerhin, ein nicht zu kleines Haus ist es, das er in seinen Händen zu halten hat, die schwere Rechte auf dem Dach, die Linke unter die Grundfesten geschoben, ein säkularer Sankt Florian, nur scheint höchst ungewiss, ob er das Haus behüten oder zwischen den Pranken zermalmen will. Und wäre da nicht diese Jahreszahl an der Konsole, die ihn trägt, es fiele schwer, ihn einer genauen Entstehungszeit zuzuschlagen. Ein Stück Rotes Wien? Ein Stück Austrofaschismus? Ein Stück „Ostmark“ womöglich?

„1938“ jedenfalls ist da deutlich zu lesen, und was dem pathetischen Mannsbild seinen Platz an einer sonst schmucklosen Fassade verschafft, ist rasch geklärt: gehört doch der Bau, dessen Südostecke er beherrscht, zu jenem Gebäudekonvolut, dem auch die Hauptfeuerwache Hernals zuzuzählen ist. Die, 1926 eingerichtet, ist zwar unstreitig ein Kind des Roten Wien, das Eckgrundstück zur Taubergasse hin, heute Wohnhaus samt Feuerwehrmann eben, war damals allerdings noch dem Varieté Westend vorbehalten, Auftrittsort, so die Überlieferung, eines Hans Moser oder einer Josephine Baker. Und auch sonst so populär, dass man sich ein wenig vorstädtische Wohltätigkeit leisten konnte: Im April 1931 lud die Direktion 1000 Arbeitslose zu einer Gratisvorstellung ein samt Überreichung eines „Liebesgabenpakets“ mit Wurst, Brot, Schokolade. Die Not der Zeit allerdings trieb ihrer 3000 vor die Varieté-Pforten, die nur mit Mühe und unter Polizeieinsatz an der Erstürmung des Etablissements gehindert werden konnten.

1938 war es vorbei mit der Varietiererei: Im Jänner machte die Spitzhacke den Platz frei für einen der wenigen kommunalen Wohnbauten zur Zeit des Ständestaats, den letzten, der vor dem „Anschluss“ begonnen wurde. Alsbald stand ein Feuerwehrmann an der Ecke Johann-Nepomuk-Berger-Platz/Taubergasse – und eine ganze Welt in Flammen.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2015)

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